Guter Kaffee ist letztlich vor allem eines: Geschmackssache.

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Guten Espresso zuzubereiten ist eine Kunst, die sich vor allen Dingen auf Erfahrung gründet. Ein fähiger Barista kennt seine Brühmaschine und weiß über das Zusammenspiel von Druck, Temperatur sowie Röstung, Sorte und Mahlgrad der Bohnen Bescheid.

Was Letzteres betrifft, lautet die gern verbreitete Regel: Ein gelungener Espresso braucht sehr fein gemahlene Bohnen. Die logisch klingende Erklärung dafür: Das Kaffeepulver hat in der Brüheinheit der Espressomaschine nicht viel Zeit, die Geschmacksstoffe an das Wasser abzugeben – Fachleute sprechen von Extraktion. Die größere Oberfläche eines hochfeinen Mahlgrads würde mehr Aromen freisetzen und den Zeitverlust aufwiegen, so zumindest die Annahme.

Doch das ist ein Irrtum, wie ein Forschungsteam 2020 überraschenderweise beobachten konnte. Seine Strömungsberechnungen boten schließlich auch eine Erklärung dafür, warum Kaffeepulver ab einem gewissen Feinheitsgrad unverlässliche und oft geschmacklich enttäuschende Resultate liefert: In solchen Fällen nämlich verklumpt der Kaffee an manchen Stellen, und das Wasser beginnt unregelmäßig an den beteiligten Partikeln vorbeizuströmen, während es Aromen mitnimmt. Diese ungleichmäßige Aufnahme von Geschmack wurde umso ausgeprägter, je feiner der Kaffee gemahlen war.

Besser und sparsamer

Der Tipp der Fachleute um Chemiker Christopher Hendon von der University of Oregon lautete also: Für eine beständige Qualität mahlt man die Bohnen nicht zu Puder! Ein geringerer Mahlgrad lieferte zudem einen wirtschaftlich positiven Nebeneffekt. Auf diese Weise könne man auch bei den Bohnen sparen und habe trotzdem ein verlässliches Geschmackserlebnis, so die Forschenden.

Nun hat ein Team der University of Huddersfield in Großbritannien noch einmal einen näheren mathematischen Blick auf die Ergebnisse geworfen, um herauszufinden, was genau dort zwischen Kaffeepartikel und heißem Wasser vor sich geht. Konkret wollten William Lee und seine Kolleginnen und Kollegen die vorangegangenen Ergebnisse – nämlich, dass ein ungleichmäßiger Wasserfluss entlang verklumpter Kaffeepartikel zu einem unbefriedigenden Espresso führt – mithilfe eines neuen Modellsystems untermauern.

Extraktion gerät aus dem Lot

Dafür entwickelten Lee und seine Gruppe ein reduziertes Modell, das aus zwei Zonen bestand. In einer der beiden Regionen war der virtuelle Kaffee besonders dicht gepackt, in der anderen blieb er lockerer geschichtet. Dann schickten die Forschenden virtuelles Wasser durch den mathematischen Versuchsaufbau. Wie erwartet, zeigte sich der Fließwiderstand je nach Zone unterschiedlich: Durch die dichter gepackten Körner floss das Wasser schneller.

Das Schema illustriert das Modell, mit dem die Forschenden gearbeitet haben: Q steht für die Durchflussmenge, Epsilon
für die Porosität (die mit der Extraktion des Kaffees zunimmt). c gibt die Konzentration des gelösten Kaffees an.
Grafik: W.T. Lee, A. Smith, and A. Arshad

Dieses schon zu Beginn vorhandene Ungleichgewicht beim Wasserfluss kippt schließlich immer weiter, wie die Forschenden im Fachjournal "Physics of Fluids" berichten. Denn die allmähliche Herauslösung der Geschmacksstoffe verringert den Strömungswiderstand zusätzlich, da die Kaffeekörnchen während des Prozesses 20 bis 25 Prozent ihrer Masse verlieren.

Rückkopplungsschleife

"Unser Modell zeigt, dass Durchfluss und Extraktion den anfänglichen Unterschied im Durchfluss zwischen den beiden Regionen durch eine positive Rückkopplungsschleife vergrößert haben", meinte Lee. Kurz gesagt: Wo der Durchfluss steigt und zu mehr Extraktion führt, schrumpft der Strömungswiderstand, was wiederum den weiter Durchfluss erhöht. "Dieser Effekt scheint so lange aufzutreten, bis in einer der Regionen die gesamten löslichen Aromasubstanzen extrahiert sind."

Das Modell bestätigte damit die vorangegangenen Befunde, indem es einen ungleichmäßigen Durchfluss über verschiedene Teile des Kaffeebetts vorhersagte. "Dies ist wichtig, weil der Geschmack des Kaffees so sehr vom Grad der Extraktion abhängt", erklärte Lee. Zu wenig herausgelöste Aromen und der Geschmack des Kaffees sei das, was Fachleute 'unterentwickelt' nennen. Zu viel Extraktion, und der Kaffee gerät zu bitter. Zu fein gemahlener Kaffee bewirkte also eine Mischung aus unterentwickeltem und bitterem Kaffee, die von Mal zu Mal unterschiedlich ausfallen kann.

Weitere Berechnungen

"Wenn man die Ursache für die ungleichmäßige Extraktion versteht und sie vermeiden kann, ist man in der Lage, besseren Kaffee zuzubereiten und gleichzeitig durch die effizientere Nutzung der Bohnen Geld zu sparen", ist Lee überzeugt. Und weil sein Modell noch recht einfach ist, will das Team es in einem nächsten Schritt realistischer gestalten. "Wir hoffen damit auf detailliertere Erkenntnisse über dieses verwirrende Phänomen", so Lee. "Erst dann können wir darüber nachdenken, wie wir die Espressozubereitung so variieren, dass die ungleichmäßige Extraktion noch seltener auftritt." (Thomas Bergmayr, 10.5.2023)