Für Verwirrung und zusätzliche Polemik im Fall des Anfang April von einer Bärin getöteten Joggers in der norditalienischen Provinz Trentino hat die Tierschutzorganisation Leal gesorgt. Sie hatte zu Wochenbeginn ein Gegengutachten einer Veterinärin und eines Veterinärs veröffentlicht, das die "Problembärin" mit dem Namen JJ4 entlasten soll. Nach dieser Expertise könne nur ein ausgewachsenes Bärenmännchen den 26-jährigen Mann getötet haben – nicht aber die vergleichsweise kleine JJ4.

Ein europäischer Braunbär (Ursus arctos arctos) im Nationalpark Bayerischer Wald. Symbolbild, es handelt sich nicht um das Tier JJ4.
Foto: IMAGO/Dominik Kindermann

Informationen, denen zufolge auch DNA-Analysen eine solche "Tätertheorie" unterstützen würden, erwiesen sich als falsch: Wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa dem STANDARD bestätigte, habe bisher nur die italienische Staatsanwaltschaft eine Autopsie mit DNA-Test durchgeführt, nicht aber die Autonome Provinz Trentino – und schon gar nicht die fragliche Tierschutzorganisation. Die offizielle Autopsie weise in vielfacher Weise auf JJ4 hin. Die Schlussfolgerungen der Tierschutzorganisation Leal würden ausschließlich auf fotografischer Evidenz beruhen und seien im Vergleich zu den Gentests weniger stichhaltig.

Von Seiten der Autonomen Provinz Trentino gab und gibt es keine offizielle Stellungnahme. Wie die Ansa aber Montagabend in Berufung auf namentlich nicht genannte Quellen bei den zuständigen Behörden berichtete, sei man überzeugt davon, dass die genetischen Analysen korrekt waren.

Rücktritt gefordert

Die Tierschützer beharren laut italienischen Medienberichten jedenfalls auf ihrem Gutachten und fordern nicht nur die sofortige Freilassung von JJ4 – sie war nur wenige Tage nach dem tödlichen Vorfall in die Falle von Jägern gegangen –, sondern auch den Rücktritt des in ihren Augen politisch für diese Panne verantwortlichen Landeshauptmanns der Autonomen Provinz Trentino, Maurizio Fugatti.

Der Politiker der rechtspopulistischen Lega hatte in den vergangenen Wochen lautstark für den Abschuss der meisten Bären in seinem Bezirk Stimmung gemacht, ohne groß auf gesetzliche Bestimmungen Rücksicht zu nehmen. Eine von ihm erlassene Verordnung zur Tötung von JJ4 wurde nach einem Einspruch mehrerer Tierschutzorganisationen zwischenzeitlich gerichtlich aufgehoben. Einen definitiven Beschluss über die Zukunft der Bärin soll nach aktuellem Stand das Verwaltungsgericht am 25. Mai fassen.

Der 26-jährige Andrea P. war am 5. April auf einem Forstweg in der Trentiner Gemeinde Caldes in der Val di Sole tot aufgefunden worden. Bei der später gefangengenommenen Bärin JJ4 handelt es sich um die Schwester des bereits im Jahr 2006 in Bayern erschossenen "Problembären" Bruno. Schon 2020 hatte es den Antrag zur Tötung von JJ4 gegeben, ein Gericht entschied damals aber dagegen, das Tier blieb in Freiheit.

Nach Angaben der Provinz Trentino hat die Zahl der freilebenden Bären und Bärinnen in dem Gebiet seit dem Start des EU-Projekts "Life Ursus" stark zugenommen. Statt der geplanten 50 wildlebenden Tiere seien nun rund 100 bekannt. (Gianluca Wallisch, 9.5.2023)