Die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines war jenes Einzelereignis, das mehr Methan in die Atmosphäre entwichen ließ als jedes andere. Nachdem am 28. September mehrere Detonationen drei der vier Leitungen der Nord-Stream-Pipelines zerstörten, strömte tagelang Gas in die Ostsee und weiter in die Luft. Wie chinesische Forscher im Fachblatt "Advances in Atmospheric Sciences" ermittelten, gelangten laut der Auswertung von Satellitendaten rund 0,22 Millionen Tonnen Methan in die Atmosphäre – und damit doppelt so viel wie beim bisherigen Spitzenreiter, einem Unfall im Jahr 2015 am kalifornischen Aliso-Canyon-Gasfeld.

Methan ist ein besonders starkes Treibhausgas und trägt viel stärker zur Erderwärmung bei als etwa CO2. Die Menge muss deshalb zumindest mit dem Faktor 28 (nach anderen Berechnungsmethoden mit dem Faktor 80, weil es kurzfristig 80-mal mehr Wärme als CO2 speichert) multipliziert werden, um auf die entsprechende Zahl an CO2-Äquivalenten zu kommen.

Vergleiche machen sicher

Im Fall der Nord-Stream-Lecks betrug diese Menge bei einer Multiplikation mit 28 etwas über sechs Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Österreich emittiert in einem Jahr knapp 80 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente.

Das absichtlich herbeigeführte Leck in der Ostsee ist im Vergleich zu den Methanmengen, die in Turkmenistan in den letzten Jahren austraten, zwar nicht unbedingt ein Lercherl – doch einigermaßen überschaubar. Bereits im Vorjahr wiesen Satellitenbilder der US-Weltraumagentur Nasa und eine Studie in der Zeitschrift "Environmental Science and Technology" darauf hin, dass die Westküste Turkmenistans "einer der größten Methan-Hotspots der Welt" ist.

Ein Satellitenbild von Methanemissionen östlich von Hazar in Turkmenistan, aufgenommen im Oktober 2022. Die Stadt befindet sich an der Ostküste des Kaspischen Meers.
Foto: Nasa/JPL-Caltech/AFP/Getty

Das wurde nun durch eine neue Untersuchung bestätigt: Wie die führende Umweltbeobachtungsfirma Kayrros für die britische Zeitung "The Guardian" ermittelte, entwichen im Jahr 2022 allein aus zwei turkmenischen Erdgasfeldern 4,6 Millionen Tonnen Methan. Das ist – konservativ mit dem Faktor 28 umgerechnet – mehr als die eineinhalbfache Treibhausgasmenge Österreichs pro Jahr.

840 Superemissionen

Die Satellitendaten, die Kayrros zur Erkennung von Methan verwendet, wurden seit Anfang 2019 gesammelt, und die Gesamtemissionen Turkmenistans, das Chinas größter Gaslieferant ist und seine Exporte ins Reich der Mitte zu verdoppeln plant, zeigen seither einen gleichbleibenden Trend. Die Satelliten haben außerdem 840 Superemissionen festgestellt, das heißt Lecks aus einzelnen Bohrlöchern, Speichern oder Rohren mit einer Rate von einigen Tonnen pro Stunde oder mehr – die meisten aller Länder weltweit.

Die meisten der Anlagen, aus denen das Methan austritt, gehörten Turkmenoil, der staatlichen Ölgesellschaft. Weitere unentdeckte Methanemissionen würden von Turkmenistans Offshore-Öl- und -Gasanlagen im Kaspischen Meer ausgehen. Kayrros führte auch eine hochauflösende Überwachung des Nord-Bugdayli-Feldes im Westen Turkmenistans durch. Die Zahl der Superemitter-Ereignisse hat sich dort zwischen 2021 und 2022 auf fast 60 verdoppelt, wobei bei einem der jüngsten dieser Ereignisse fast sechs Wochen lang Methan ausströmte.

Ausströmen lassen statt abfackeln

Ein Grund für die Zunahme könnte sein, dass man in Turkmenistan den Umgang mit ausströmendem Methan änderte: Wurde früher Gas abgefackelt, was weithin sichtbar war, aber statt Methan vor allem das harmlosere CO2 in die Atmosphäre abgab, lässt man es seit ein paar Jahren einfach entweichen – und das dürfte zu den Spitzenwerten geführt haben.

Dieses entströmende Methan kann erst seit kurzem durch neue Satellitentechnologie erkannt werden – und so wurde man auch auf den Superemittenten Turkmenistan aufmerksam.

Auch das gibt es in Turkmenistan: Im rund 70 Meter breiten Krater von Derweze, der vermutlich in den 1970er-Jahren durch einen Einsturz über einem Gasfeld entstand, verbrennt seit mehreren Jahrzehnten unkontrolliert Methan. Der Krater wird als Touristenattraktion vermarktet.

Wenig Interesse beim Präsidenten

Die schnellste und billigste Möglichkeit, die Methanemissionen und damit die globale Erwärmung zu verringern, wäre die Bekämpfung von Lecks aus Lagerstätten fossiler Brennstoffe. Maßnahmen zur Eindämmung von Lecks machen sich oft von selbst bezahlt, da das aufgefangene Gas verkauft werden kann. Turkmenistan ist aber laut Fachleuten wahrscheinlich das Land, das weltweit am schlechtesten mit Methanlecks umgehen könne.

Auch für den Präsidenten Serdar Berdimuhamedow, ohne dessen Zustimmung im autoritär regierten Staat kaum etwas geschieht, habe das Thema keine Priorität. Er begrüßte zwar die Globale Methanverpflichtung (Global Methane Pledge, GMP) zur Senkung der Emissionen. Doch Turkmenistan hat sich den 150 Ländern, die sie unterzeichnet haben, nicht angeschlossen. (tasch, 9.5.2023)