Als die Liga der Arabischen Staaten im November 2011 die Mitgliedschaft Syriens suspendierte, schien im Nahen Osten und in Nordafrika ein neues Zeitalter angebrochen: Ägypten bereitete sich auf die ersten Parlamentswahlen nach dem Sturz Hosni Mubaraks vor, in Tunesien – dort war Ben Ali in die Wüste geschickt worden – hatten sie bereits stattgefunden. Muammar al-Gaddafi war tot, von Rebellen getötet, im Jemen bemühten sich die arabischen Golfstaaten, Machthaber Ali Abdullah Saleh zum Aufgeben zu überreden.

Nach dem Erdbeben, Ende Februar: Syriens Machthaber Bashar al-Assad empfängt eine Delegation arabischer Parlamentarier.
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In Syrien lief der Aufstand erst so richtig an, und die Arabische Liga, damals unter der Führung eines weit über seine Verhältnisse erstarkten Katar, glaubte, den Zeichen der Zeit zu folgen, als sie Bashar al-Assad ausschloss. Elfeinhalb Jahre, eine halbe Million tote Syrer und Syrerinnen und Millionen Flüchtlinge später wird Assad am 19. Mai zum Gipfel der Liga in Saudi-Arabien erwartet. Syrien gehört wieder dazu.

Es ist nicht nur ein Sieg des inzwischen 57-jährigen Assad. Es hat auch der gute alte arabische Autoritarismus gesiegt: Das Regime von Abdelfattah al-Sisi in Ägypten ist repressiver, als es Mubarak war. Auch Tunesien, das auf dem demokratischen Pfad am längsten durchhielt, hat wieder seinen Autokraten, den erratischen Kais Saied.

Im Jemen und in Libyen, beides Kriegsländer, wären – so zumindest die arabische Sicht – starke Männer willkommen, wenn sie Stabilisierung brächten. Vor allem jedoch gibt es eine neue Generation von Golfautokraten, die noch dazu den Spagat schaffen, von oben Modernisierung zu verordnen und Freiheit und Toleranz zu predigen. Ausgenommen natürlich, es betrifft ihre eigenen politischen Systeme.

Die Staaten der Arabischen Liga haben handfeste Gründe, Syrien wieder aufzunehmen. Mit iranischer und russischer Hilfe hat Assad den Krieg militärisch überstanden, auch wenn er über Teile seines Staatsgebietes noch immer keine Souveränität ausübt. Seine Allianz mit dem Iran – die ein Grund für die Araber war, ihn loswerden zu wollen – blüht und gedeiht. Die USA, alter strategische Partner der Araber am Golf, hat unter Barack Obama den Atomdeal mit dem Iran geschlossen.

Der Krieg gegen Assad ist gescheitert, nun kommt die Umarmung. Zur neuen arabischen Strategie gehört die Verständigung mit Teheran, mit der zuletzt Riad überrascht hat.

Pragmatische Gründe

Außer dem strategischen Nutzen gibt es auch etliche pragmatische Gründe. Syrien ist in einem schrecklichen Zustand, es droht der wirtschaftliche und soziale Kollaps. Das hat man jahrelang ignoriert, aber das Erdbeben und die ausbleibende Hilfe haben die öffentliche Meinung in anderen arabischen Staaten aufgeweckt. Die Katastrophe war auch eine gute politische Ausrede, um wieder Kontakte zum Regime aufzunehmen: Saudi-Arabien sandte seinen Außenminister nach Damaskus, der Bann war gebrochen.

Auf der Agenda ganz oben steht, Syriens endgültiges Abrutschen zum Narkostaat zu verhindern. Von Syrien aus wird der Nahe Osten mit Captagon geflutet, mit Millionen Fenetyllin-Kapseln, oft in libanesischen Obst- und Gemüseexporten versteckt. Sie sind die Haupteinnahmequelle des Regimes. Will man das stoppen, muss man sich mit Assad engagieren, ist der Gedanke.

Die Dringlichkeit unterstrich Jordanien am Tag nach der Bekanntgabe der Normalisierung mit einem Luftschlag gegen den syrischen Drogenhändler Marai al-Ramthan – auch seine Frau und sechs Kinder sollen getötet worden sein – auf syrischem Territorium, nahe der Grenze zu Jordanien. Außer dem Captagon haben die Nachbarstaaten noch ein dringliches Problem: die Flüchtlinge aus Syrien, die sie loswerden wollen. Die Volkswirtschaften stehen schon ohne Flüchtlingsproblem am Abgrund. Und aus dem Sudan kommt die nächste Welle.

Politische Reformen?

Katar, von Saudis und Vereinigten Arabischen Emiraten wieder geschrumpft, hat sich am längsten gegen eine Rückkehr Syriens gesträubt. In einer jordanisch-saudisch-ägyptisch-irakischen Stellungnahme, die vorige Woche die offizielle Normalisierung einleitete, wird der von Doha verlangten Form Genüge getan und Reformen von Assad eingefordert. Am Durchsetzen einer demokratischen Ordnung oder einer Sühnung der Verbrechen hat keiner dieser Staaten Interesse.

Die USA, Europa und die Uno, die seit Jahren unergiebige Gespräche in Genf zwischen Opposition und Regime organisiert, dürfen zuschauen. Für sie bleibt eine Bedingung für ihr Engagement, dass ein Ende der Assad-Herrschaft abzusehen ist. Große Genugtuung gibt es in Russland, zu dem die arabischen US-Partner trotz des Ukrainekriegs ihre Beziehungen intensiviert haben. Auch China ist längst nicht mehr nur ein wirtschaftlicher Riese in der Region – es hat die saudisch-iranische Versöhnung organisiert.

USA sind abgemeldet

Washington reagierte auf die Verlautbarung, dass Assad wieder an den arabischen Busen zurückkehren darf, erwartungsgemäß mit einer Bekräftigung, keine Beziehungen zu Assad aufnehmen zu wollen. Die USA teilten jedoch die Ziele der Araber, die Krise in Syrien zu lösen.

Im August 2013 erwartete Saudi-Arabien nach Assads Chemiewaffenangriff in Ghouta einen US-Luftschlag, der – so die Hoffnung – kriegsentscheidend hätte werden können. Aber Obama wollte nicht den Fehler der 1980er in Afghanistan begehen, wo islamische Extremisten vom US-Krieg gegen die Sowjetunion profitierten. Moskau fand dann eine diplomatische Lösung für die syrische C-Waffen-Frage; die USA waren abgemeldet. (Gudrun Harrer, 9.5.2023)