Die österreichische Wirtschaftspolitik muss aktiv werden, sagen Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und Senior Economist Josef Baumgartner in ihrem Gastkommentar, und sie listen auf, was kurzfristig gegen die Teuerung unternommen werden kann.
In Österreich steigen die Verbraucherpreise ab der zweiten Jahreshälfte 2022 stärker als im Rest der Eurozone. Seit Jänner 2023 liegt die monatliche Inflationsrate um 2,5 bis 3,0 Prozentpunkte höher als im Durchschnitt der Eurozone, nachdem sie in der ersten Phase der aktuellen Teuerungskrise noch darunter war.
Hohe Inflation ist ein sozialpolitisches Problem. Sie führt zu ungeplanter Umverteilung, typischerweise zuungunsten der weniger Betuchten, weg von Sparbuchsparern zu Aktionären und von Gläubigern zu Schuldnern. Und über höhere Steuereinnahmen profitiert auch der Staat. Hohe Inflation belastet auch das Wachstum, weil sie die Unsicherheit über zukünftige Preise steigert und es für Unternehmen und Konsumentinnen und Konsumenten schwieriger wird, Veränderungen der relativen Preise von Veränderungen im Preisniveau zu unterscheiden.
Außerdem verliert ein Land an Wettbewerbsfähigkeit, wenn seine Inflationsrate und als Folge die Lohnanstiege beständig über jenen im Durchschnitt der Währungsunion liegen. Die Europäische Zentralbank orientiert sich in ihren geldpolitischen Entscheidungen naturgemäß am Durchschnitt der Eurozone. Daher muss auch die österreichische Wirtschaftspolitik aktiv werden.
In Österreich ist der Handlungsbedarf größer als anderswo, weil die Inflation schon seit 2011 höher war als im Eurozonen-Durchschnitt. Der Preisindex ist von Jänner 2011 bis März 2023 um knapp elf Prozentpunkte stärker gewachsen. Da in vielen Bereichen eine quasi automatische Inflationsanpassung praktiziert wird, etwa bei Löhnen, Pensionen, Mieten oder öffentlichen Gebühren, bleibt eine einmal hohe Inflationsrate auch nachhaltig hoch. Diese Indexierung abzuschwächen erweist sich als äußerst schwierig. Daher braucht es weitere Maßnahmen, die über das Abfedern des Kaufkraftverlustes durch die Teuerung hinausgehen.
Was kann kurzfristig getan werden? Gefragt sind vor allem Maßnahmen, die nicht durch neue staatliche Schulden finanziert werden und damit als Nebeneffekt tendenziell auch über die Nachfrage die Inflation erhöhen. Für Maßnahmen mit Budgetwirkung bräuchte es daher eine Gegenfinanzierung, die selbst nicht wieder preistreibend wirkt.
· Gebühren einfrieren In Österreich stehen 8,4 Prozent des Warenkorbes im direkten Einfluss der öffentlichen Hand. Dabei handelt es sich um diverse Gebühren wie Rezept- oder Kindergartengebühr, Eintrittsgebühren in Hallenbäder, Theater und so weiter. Ihre Preisanpassungen sind meist an die Entwicklung der Inflation im Vorjahr gebunden. Sie sollten nun für ein Jahr eingefroren werden. Betroffene Gemeinden, Länder, Verkehrsverbünde, Wassergenossenschaften, Kulturinstitutionen müssten vom Bund kompensiert werden.
· Maximaler Druck auf Energieversorger In Österreich scheinen die nun sinkenden Großhandelspreise im Bereich von Energie besonders langsam bei den Kundinnen und Kunden anzukommen. Hier sollte der Staat maximalen Druck ausüben – da kann er gerade bei den von ihm weitgehend kontrollierten Energieversorgern nachlegen. Sie sollten ihre Tarife senken, sodass die Maßnahme auch wirklich in die Inflationsrechnung eingeht, und nicht komplizierte Rabattaktionen starten, die die Vergleichbarkeit der Angebote erschweren.
· Echte Preistransparenz schaffen Jede Maßnahme zur Verbesserung der Preistransparenz ist begrüßenswert und sollte rasch umgesetzt werden. Sie sollte sich aber nicht auf einige wenige Aktionsprodukte beschränken, sondern möglichst breit und tagesaktuell angelegt sein. Wenn die Lebensmittelketten zudem "freiwillig" bei einem Teil ihres Sortiments auf weitere Preiserhöhungen verzichten und bereits sinkende Erzeuger- und Großhandelspreise an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergeben: wunderbar. Gekoppelt mit einem Preistransparenz-Tool könnten Preiserhöhungen in anderen Sortimentsteilen zur Gegenfinanzierung dieser Werbeaktion eingedämmt werden.
Und schließlich ist jetzt noch nicht der Zeitpunkt, die abgesenkten Energiesteuern wieder zu erhöhen. Weil die Spritpreise deutlich zurückgegangen sind, sollte die erweiterte Pendlerpauschale wieder rückgeführt werden; noch besser wäre es, endlich ihre Ökologisierung und soziale Staffelung in Angriff zu nehmen. So könnte die Gegenfinanzierung der Maßnahmen dargestellt werden.
Jeder Versuch, den Sozialpartnern zu helfen, in ihrer Preis- und Lohnpolitik auf die Bremse zu steigen, ist willkommen. Hier bräuchte es kreative Ideen, weil es, anders als in den 1970er-Jahren, keine Instrumente der Preispolitik mehr gibt. Klar ist, dass eine langfristig höhere Preisdynamik als im Ausland niemandem nützt und die Wettbewerbsfähigkeit verringert.
· Mehrwertsteuersenkung als Ultima Ratio Was ist zu tun, wenn die Inflation in den nächsten Monaten weiter hartnäckig über dem Eurozonen-Durchschnitt bleibt? Dann sollte eine temporäre Senkung der Mehrwertsteuer etwa bei Grundnahrungsmitteln, Mieten und Heizen kein Tabu mehr sein. Sie wäre in der Lage, die Inflation kurzfristig zu senken, sowohl im Durchschnitt als auch für die besonders betroffenen Haushalte. Aber sie ist definitiv die Ultima Ratio, denn sie ist teuer, entlastet die reicheren Haushalte absolut stärker als die ärmeren und kommt, zumindest teilweise, auch den Supermarktketten zugute. Und sie erfordert eine Gegenfinanzierung.
Bei der kurzfristigen Inflationsbekämpfung müssen alle sinnvollen Möglichkeiten zum Einsatz kommen, damit die Teuerung in Österreich rascher zum Eurozonen-Durchschnitt und dann zum gewünschten Zwei-Prozent-Ziel zurückkehrt. Ansonsten stehen der soziale Frieden, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und damit auch die Zukunft des Landes auf dem Spiel. (Gabriel Felbermayr, Josef Baumgartner, 10.5.2023)