Sie halfen an Tankstellen, in der Gastronomie, in Altersheimen, auf Baustellen und in Fußballstadien aus. Die Einsatzorte wechselten so rasch wie die Dienstzeiten. Gearbeitet wurde teilweise bis zu 18 Stunden am Tag, bezahlt wurde weit unter dem Mindestlohn.

Hat Ausbeutung System? Arbeitnehmervertreter fordern eine Haftung der Erstauftraggeber für Löhne.
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Zuschläge für Überstunden gab es nicht. Auch das Weihnachts- und Urlaubsgeld blieb der Auftraggeber schuldig. Wer dagegen aufbegehrte, wurde mit wirksamen Waffen eingeschüchtert: der Angst vor Jobverlust und Abschiebung ins Ausland.

Ein mittlerweile insolventer Arbeitskräfteüberlasser soll in Österreich über viele Jahre hinweg mehr als 200 Menschen, vor allem Asylwerbende aus dem Irak, sowie Migranten und Migrantinnen aus Drittstaaten brutal ausgebeutet haben.

Verdacht auf Menschenhandel

Die Arbeiterkammer (AK) spricht von Verdacht auf Menschenhandel und Lohndumping und zieht Parallelen zum Skandal rund um den Maskenhersteller Hygiene Austria. Sie sieht den aktuellen Fall, in den namhafte Firmen quer durch die Branchen verwickelt sind, infolge schwerer systemischer Fehler auf dem Arbeitsmarkt als Spitze eines Eisbergs.

Im Visier der Justiz steht der Personalverleiher S.H.G. Gegen den Geschäftsführer und eine Mitarbeiterin des Betriebs ist ein Strafverfahren am Landesgericht Linz anhängig. Anklage wurde wegen etlicher Delikte erhoben, unter anderem wegen mutmaßlichen Menschenhandels. Die Gesundheitskasse diagnostizierte bei 200 Dienstnehmern des österreichischen Arbeitsvermittlers Scheinselbstständigkeit.

Scheinselbstständig

Diese seien unter Druck gesetzt worden, sich mit einer Gewerbeberechtigung als Subunternehmer zu verdingen. Tatsächlich seien sie aber wie klassisches Leihpersonal eingesetzt worden – zu Löhnen von 9,50 Euro brutto pro Stunde, erzählt Johanna Schlintl, die undokumentiert Arbeitende bei der Beratungsstelle Undok juristisch unterstützt.

Gesetzlich zugestanden wären ihnen gemäß Kollektivvertrag je nach Verwendungsgruppe bis zu 21 Euro. Von den 9,5o Euro zahlten die Asylwerbenden die Sozialversicherung. Rechtswidrige Pauschalen für Unterkünfte und Transporte schmälerten den kargen Verdienst zusätzlich.

Bei einzelnen Betroffenen, die bei ihr um Hilfe ansuchten, summierten sich offene Forderungen auf bis zu 25.000 Euro, rechnet Schlintl vor. "Sie wurden um einen Großteil ihres Lohnes betrogen." Teil des Systems seien überlange Arbeitszeiten, fehlende Zuschläge und Sonderzahlungen gewesen. Wer krank wurde oder Urlaub wollte, musste mit dem Verlust der Beschäftigung rechnen.

Austauschbar

Profiteure der Ausbeutung seien Auftraggeber der S.H.G. gewesen, ist Ludwig Dvořák, Leiter der Abteilung Rechtsschutz in der Arbeiterkammer, überzeugt. "Betriebe wie die S.H.G. sind austauschbar. Solange andere damit ihre Kosten senken können, sind sie erfolgreich."

Die Liste jener Unternehmen, die den Dienst des Personalvermittlers in Anspruch nahmen, reicht vom Sicherheitsdienstleister Securitas bis hin zur Fast-Food-Kette Burger King und etlichen Tankstellenbetreibern.

Securitas will bei der Aufklärung des Falles mitwirken, heißt es in einer Stellungnahme auf Anfrage des STANDARD. Man habe während der Covid-Krise infolge starken Personalmangels Subfirmen eingesetzt, um Auftragsspitzen abzudecken, wobei die Zusammenarbeit mit der S.H.G. im November 2020 beendet wurde. Generell erfülle man die höchsten Maßstäbe, was die Anstellung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen betreffe. Dasselbe gelte auch für den Einsatz von Subunternehmern.

"Nichts gewusst"

Masterfranchisenehmer von Burger King ist die Eatery Group. Diese weist Vorwürfe der AK rund um "brutale Ausbeutung" bei Burger King als "schlicht unrichtig und kreditschädigend" zurück.

Die S.H.G. habe zwei selbstständigen Franchisenehmern Personal angeboten, das in zwei Filialen eingesetzt wurde. Alle Rechnungen der Leiharbeitsfirma seien über den Kollektivvertrag bezahlt worden, alle arbeitsrechtlichen Bestimmungen eingehalten worden. Dass S.H.G. ihr Personal nicht ordentlich entlohnt habe, sei den Franchisenehmern nicht bekannt gewesen.

Dvořák will Burger King, Securitas und Co dennoch in die Verantwortung nehmen. Seien diese nicht bereit, für ausständige Entgeltanteil zu haften, bereite man Klagen vor.

"Risiko abwälzen"

Dvořák fordert eine Haftung der Erstauftraggeber für Löhne und Sozialversicherung. Nur so verliere das System der Ausbeutung seinen wirtschaftlichen Reiz. Als "unerträglich" bezeichnet er, dass schwarze Schafe den Sozialstaat plünderten, indem sie Risiko auf die Allgemeinheit abwälzten. Im Falle ihrer Pleite springt der Insolvenzentgeltfonds ein.

Reinhold Binder von der Gewerkschaft Pro-Ge drängt auf mehr Kontrollen und strengere Strafen für Sozial- und Lohndumping. Für Johanna Schlintl sind die Missstände eine logische Konsequenz restriktiver Arbeitsmarktregelungen. "Der Zugang zum Arbeitsmarkt für geflüchtete Menschen gehört erleichtert." (Verena Kainrath, 9.5.2023)