Die Regierung steht nach dem erfolglosen Lebensmittelgipfel am Montag unter Zugzwang, Maßnahmen gegen die Teuerung auf den Boden zu bringen. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) ruft zu einer Expertenrunde kommenden Freitag. Er sprach sich zuletzt für eine Preisdatenbank aus, um Kostenkalkulationen transparenter zu gestalten. Eingriffe in den Markt, etwa eine Senkung der Mehrwertsteuer oder Preisdeckel auf einzelne Grundnahrungsmittel, lehnt Kocher ab. Das ließ er in Gesprächen mit Lebensmittelkonzernen diese Woche erneut durchklingen.

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Die Regierung will den zweiten Gipfel innerhalb einer Woche ob der scharfen Kritik am ersten nicht mehr abwarten. Im Ministerrat soll daher noch am Mittwoch ein Paket gegen die Teuerung beschlossen werden. Dieses zielt auf den Energie- und Lebensmittelmarkt ab, hieß es Dienstagabend aus Koalitionskreisen.

Fix war angesichts der starken politischen Kontroversen rund um vielfältige Antiteuerungsrezepte im Vorfeld nichts. Was den Lebensmittelhandel betrifft, der nach den Wünschen des Sozialministeriums stärker in die Pflicht genommen werden soll, zeichnet sich jedoch eine Variante ab, die weder der Regierung noch der Wirtschaft besonders wehtut.

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Transparenz durch App

Im Raum stehen 30 Grundnahrungsmittel. Deren aktuelle Verkaufspreise sollen über einen virtuellen Warenkorb für Konsumenten einfach ablesbar gemacht werden – sofern sie über ein Smartphone und die dafür notwendige App verfügen.

Diese will Preisvergleiche erleichtern. Hoher Aufwand droht großen Handelsketten damit nicht. Sie legen die Preise für alle ihre beziehungsweise den Großteil ihrer Produkte über Online-Einkaufsplattformen ohnehin schon offen.

Supermärkte wie Rewe, Spar, Hofer und Lidl hatten über den Handelsverband zuvor signalisiert, für die Dauer der Inflationskrise dem Sozialministerium wöchentlich eine Liste mit Verkaufspreisen der 20 bis 30 günstigsten Preiseinstiegsprodukte zu übermitteln. Diese sind zumeist freilich Eigenmarken des Handels, was die Verhandlungsposition vieler Landwirte und Produzenten schwächen könnte.

Datenbank und Gebührenstopp

"Eine Preisdatenbank hat viel für sich", sagte Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats, am Mittwoch im Ö1-"Morgenjournal" über die angedachte Maßnahme. Diese werde die Probleme aber nicht allein lösen. Einer zeitweisen Mehrwertsteuersenkung für Grundnahrungsmittel kann er nichts abgewinnen: Dies sei eine "ganz, ganz große Gießkanne", die zwei Milliarden Euro oder mehr kosten würde. Zudem fragte Badelt: Welche künftige Regierung werde diese Maßnahme wohl wieder abschaffen und dadurch als Preistreiber bei Lebensmitteln dastehen wollen?

Dafür sprach sich Badelt für einen Gebührenstopp aus: "Da bin ich sehr dafür." Man müsse alles tun, um die Inflation zu senken – und dafür auch ein Zeichen setzen. Der Fiskalratspräsident forderte die Regierung zudem eindringlich auf, eine weniger expansive Fiskalpolitik zu betreiben "und jede Menge Geld unter das Volk zu werfen".

Wohl müsse man jenen, die sich den Alltag nicht mehr leisten können, sofort soziale Leistungen zukommen lassen. Badelt kann sich etwa vorstellen, Arbeitslose mit einer "sozialhilfeähnlichen" Maßnahme vorübergehend zu unterstützen. Sollten die Preissteigerungen bei Mieten und Lebensmitteln wieder abflachen, könne man die Unterstützung wieder auslaufen lassen. Badelt ist aber "absolut gegen eine Einmalzahlung".

Druck aus dem Finanzministerium

Druck auf die Lebensmittelbranche kam im Vorfeld aus dem Finanzministerium, das ein französisches Modell der Inflationsbekämpfung favorisiert: Ein freiwilliger Preisdeckel auf einzelne Produkte soll ein Quartal lang sicherstellen, dass deren Kosten für Konsumenten nicht weiter steigen. Warum die gut gemeinte Idee für viele Franzosen wenig bringt: Carrefour als Platzhirsch unter den Handelsriesen zieht nicht mit.

Kleine Greißler wiederum, die sich die Preisbremse finanziell nicht leisten können, verlieren Kunden. In die Bredouille bringen könnte die Maßnahme auch österreichische Nahversorger auf dem Land. Diese räumen aufgrund der hohen Kosten für Energie und Personal sowie sparsamerer Kunden seit Ende der Corona-Krise reihenweise das Feld.

"Ungleiche Waffen"

Sozialminister Rauch (Grüne) ließ Dienstagabend im "Report" des ORF wissen, dass noch verhandelt werde – eine Einigung aber absehbar sei. Ihm jedenfalls reiche es, teilte er mit Blick auf Supermärkte mit – und betonte einmal mehr die Bedeutung von Transparenz und Kontrolle. Die Bundeswettbewerbsbehörde etwa müsse Hausdurchsuchungen vornehmen können. Bisher sei es ein Kampf "mit ungleichen Waffen" gewesen. Wenn der Markt nicht funktioniere, müsse eben die Politik eingreifen. Rauch will die Wettbewerbshüter daher mit mehr Instrumentarien ausgestattet sehen.

Sozialminister Rauch im ORF-"Report".
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In der Vergangenheit hatte die Behörde gemeinsam mit der Politik dabei versagt, die rasante Konzentration des Lebensmittelhandels in Österreich auf drei mächtige Konzerne zu bremsen. Spar, Rewe und Hofer teilen sich mittlerweile mehr als 80 Prozent des Marktes. Sie spät, aber doch zumindest ansatzweise in die Schranken zu weisen ist eine entsprechend heikle Mission.

Keine schnelle Kettenreaktion

Nicht zu unterschätzen ist auch die Macht internationaler Industriekonzerne, die nicht bereit sind, ihre Margen im Dienste einzelner Regierungen zu beschneiden. Auch Österreichs Molkereiwirtschaft wiegt schwer. Raiffeisen und tausende Milchbauern geben den wenigen großen Verarbeitern Rückendeckung.

Bei den Bauern sinken die Preise, doch das käme nicht an der Supermarktkasse an, ärgert sich Rauch. Butter kostet mittlerweile jedoch wieder annährend so viel wie vor einem Jahr. Bei stark verarbeiteten Lebensmitteln dauert es Experten zufolge bis zu einem halben Jahr, bis niedrigere Rohstoffkosten auf die Verkaufspreise durchschlagen.

Was die gesamte Wertschöpfungskette rund um Lebensmittel verbindet, sind Klagen über teure Energie. Rauch will Energiekonzerne künftig dazu verpflichten, die Vertragsgestaltung mit Kunden nicht zu ihren eigenen Gunsten auszulegen: Jetzt sinkende Energiepreise gehörten weitergegeben.

Der Sozialminister rechnet mit entsprechenden Beschlüssen vor dem Sommer. In Kraft treten würden diese spätestens vor der nächsten Heizsaison. Bereits deutlich früher, so hofft die Regierung, sollen Rezepte gegen teure Lebensmittel ihre Wirkung entfalten. (Verena Kainrath, 10.5.2023)