Die La-Ghriba-Synagoge ist die älteste noch genutzte Synagoge auf dem afrikanischen Kontinent.

Foto: AP/Mosa'ab Elshamy

Die Bilder und Ereignisse vom Vorabend lassen dunkle Erinnerungen wach werden. Vor mehr als zwanzig Jahren, im April 2002, hatte ein Al-Kaida-Terrorist die La-Ghriba-Synagoge auf der südtunesischen Insel Djerba angegriffen. Damals waren mindestens 19 Personen, darunter 14 Deutsche und ein französischer Tourist, getötet worden.

Am Dienstagabend hat ein Sicherheitsbeamter insgesamt drei Polizisten und zwei Besucher der gerade zu Ende gehenden Pilgerfahrt anlässlich des jüdischen Lag-Baomer-Fests getötet. Ein weiterer Polizist sei Medienberichten zufolge in der Nacht seinen Verletzungen erlegen.

Die getöteten Pilger sind ein jüdischer Tunesier von der Insel Djerba sowie sein Cousin. Er ist französischer Staatsbürger und soll in Marseille einen koscheren Lebensmittelladen geführt haben, wie Bekannte der Opfer in sozialen Netzwerken bestätigten. Mindestens neun Menschen wurden verletzt.

Hintergründe unklar

Die Hintergründe der Tat und das Motiv des Täters sind nach wie vor vollkommen unklar. Er habe bei der nahen Hafenwache gearbeitet, bestätigte das tunesische Innenministerium. Dort habe er zunächst einen Kollegen getötet und dann dessen Dienstwaffe, Munition und ein Quad entwendet und sich damit auf den Weg Richtung Synagoge begeben. Warum er auf der rund 20 Minuten langen Fahrt nicht aufgehalten wurde, ist unklar.

Nach dem Attentat von 2002 war der Gebäudekomplex der Synagoge stärker gesichert worden. Außerdem war die Polizeipräsenz aufgrund der Pilgerfahrt verstärkt. Daher konnte der Täter wohl nicht bis ins Innere des Gotteshauses vordringen. Auf dem Parkplatz vor der Synagoge habe der Täter aber wahllos um sich geschossen, bevor er selbst von anwesenden Polizisten getötet wurde. Von Pilgern aufgenommene Videos, die in sozialen Netzwerken verbreitet wurden, zeigen panische Besucher innerhalb des Gebäudekomplexes der Synagoge. Auf den Aufnahmen sind deutlich Salven von Schüssen zu hören.

Die jährliche Pilgerfahrt war bis dahin friedlich verlaufen, sie hätte am Dienstagabend nach sechs Tagen zu Ende gehen sollen. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten war bereits vergangene Woche gewesen. Dieses Jahr hätten rund 5.000 Personen an der Wallfahrt teilgenommen, so die Organisatoren.

Wichtige Synagoge

Die Pilgerfahrt ist der jährliche Höhepunkt jüdischen Lebens auf Djerba, wo die größte jüdische Gemeinde Tunesiens lebt. Auch viele ausländische, vor allem tunesischstämmige Jüdinnen und Juden besuchen zu diesem Anlass jährlich das Land. Tunesien unterhält zwar keine diplomatischen Verbindungen zu Israel, lässt dessen Bürger und Bürgerinnen aber im Rahmen organisierter Touren zum Fest ins Land einreisen. Nach einem Besuchereinbruch während der Corona-Pandemie hatte es dieses Jahr wieder in vollem Umfang stattgefunden.

Die La-Ghriba-Synagoge ist die älteste noch genutzte Synagoge auf dem afrikanischen Kontinent. Sie wurde im sechsten Jahrhundert errichtet und im 19. Jahrhundert durch das aktuelle Gebäude ersetzt. Ihr Grundstein soll aus dem zerstörten Tempel von Jerusalem stammen. Auch außerhalb der Wallfahrt ist sie mit ihren prachtvoll gestalteten Innenräumen eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten der bei Touristen beliebten Insel.

In der Tourismusbranche herrscht nun große Angst und Nervosität, dass der Angriff die erfolgreich begonnene diesjährige Sommersaison beeinträchtigen könnte. Er könne verheerende Folgen für den wichtigen Wirtschaftszweig haben. Dieser war nach zwei Terroranschlägen 2015 und dann wieder während der Corona-Pandemie eingebrochen. Bis jetzt habe es allerdings noch keine Stornierungen gegeben, sagte Tourismusminister Moez Belhassine gegenüber einem tunesischen Radiosender. (Sarah Mersch aus Tunis, 11.5.2023)