Insgesamt 2,8 Millionen Menschen wurden in den vergangenen drei Jahren von den USA mithilfe des Gesetzesartikels "Title 42" an der Grenze zurückgewiesen. Diese wurde von der Regierung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump mit Ausbruch der Covid-Pandemie eingesetzt und ermöglichte es den Behörden, Migrantinnen und Migranten ohne Verfahren abzuweisen. Nun läuft die Bestimmung aus – und es stellen sich einige Fragen. DER STANDARD hat einige Antworten gesammelt.

Schwierigkeiten mit der US-App an der Grenze.
AFP

Frage: Was ist "Title 42" überhaupt?

Antwort: Dabei handelt es sich um einen Artikel des US-Gesetzes, das sich mit der öffentlichen Gesundheit, Sozialhilfe und Bürgerrechten befasst. Es ermöglicht der US-Regierung, Personen und Güter von der Einreise in die Vereinigten Staaten abzuhalten, wenn die Gefahr besteht, dass eine übertragbare Krankheit eingeschleppt wird. Ex-Präsident Donald Trump hatte diesen "Title 42" im März 2020 in Kraft gesetzt, um die Ausbreitung von Covid-19 an der Grenze einzudämmen. Somit konnten Migrantinnen und Migranten sowie Asylsuchende ohne Prozess an der Grenze zurückgewiesen werden.

Menschen versuchten am Donnerstag noch vor Ende des "Title 42" am Rio Bravo in die USA zu gelangen.
Foto: REUTERS/Daniel Becerril

Frage: Warum ist diese Regelung nun ausgelaufen?

Antwort: Eigentlich hätte die Regelung bereits früher enden sollen. Die US-Seuchenschutzbehörde CDC verkündete im April 2022, dass es wegen der damals weitverbreiteten Verfügbarkeit von Impfstoffen und Behandlungsmöglichkeiten gegen Covid-19 das Vorgehen an der Grenze nicht mehr brauche. Republikanisch geführte Bundesstaaten klagten daraufhin auf einen Verbleib des "Title 42". Doch mit dem Ende des nationalen Covid-Notstands am 11. Mai um 23.59 Uhr (Ortszeit in Washington, 12. Mai, 5.59 Uhr österreichischer Zeit) endete auch die Grundlage für die "Title 42"-Regelung.

Frage: Was geschah in den Minuten nach dem Ende von "Title 42"?

Antwort: US-Medien beschrieben ruhige Szenen an den Grenzübergängen. US-Grenzschutzbeamte in Schutzausrüstungen standen bereit, um etwaige Ausschreitungen zu verhindern, doch es gab keine. Jene Gruppen, die an der Grenze aufgegriffen wurden, wurden etwa in Camps in Mexiko gebracht, jene, die es in die USA geschafft haben, in dortige Registrierungszentren. Auch weitere Stunden nach dem Ende der Regelung sind die befürchteten massenhaften Grenzübertritte zunächst ausgeblieben, sagte der Abteilungsleiter im Innenministerium Blas Nunez-Neto am Freitag vor Journalisten.

Menschen werden in Bussen in Registrierungszentren gebracht, nachdem sie illegal die US-Grenze überquert haben.
Foto: EPA/ETIENNE LAURENT

Frage: Welche Folgen hat das Ende von "Title 42"?

Antwort: Die US-Behörden und Fachleute gehen davon aus, dass mit dem Ende der Regelung die Zahl der Grenzübertritte steigen wird. Versuchten im März noch 5.000 Menschen täglich in die USA zu gelangen, sollen es im Mai mehr als 10.000 pro Tag sein. Und bereits kurz vor dem tatsächlichen Ende wurden Rekordankünfte registriert.

Am Dienstag überquerten 11.000 Menschen die südliche Grenze – und die große Mehrheit war gar nicht von "Title 42" betroffen. Nur 17 Prozent der Migrantinnen und Migranten an diesem Tag seien aufgrund der Regelung an der Grenze abgewiesen worden, sagte der Chef des US-Grenzschutz Raul Ortiz am Mittwoch und fügte hinzu, dass das Ende von "Title 42" womöglich gar keine so große Auswirkung auf die Grenzübertritte haben werde wie prognostiziert.

Frage: Wohin werden Abgewiesene gebracht?

Antwort: Vor allem nach Mexiko. Seit dieser Woche gibt es ein Übereinkommen zwischen den USA und dem südlichen Nachbarland, wonach Migrantinnen und Migranten aus Kuba, Haiti, Nicaragua und Venezuela zurück nach Mexiko gebracht werden können. Das ist das erste Mal, dass die Regierung in Mexiko-Stadt Abgewiesene, die keine mexikanische Staatsbürgerschaft besitzen, aufnimmt.

Mexikanische und US-amerikanische Einsatztruppen bei einer Übung vor dem Ende von "Title 42".
Foto: Joebeth Terriquez / EPA

Frage: Wenn noch immer so viele Menschen an der Grenze stehen – wie wollen die Behörden die Asylanträge abarbeiten?

Antwort: Die Regierung von US-Präsident Biden hat sich mit dem Ende von "Title 42" auf mehrere Maßnahmen verständigt, die entweder jetzt umgesetzt werden oder in Planung sind:

  • Asylsuchende müssen sich nun vor einem Grenzübertritt via "CBP One"-App einen Termin bei den US-Behörden ausmachen. Zwischen 800 und 1.000 Termine werden täglich freigeschaltet. Doch bereits im Vorfeld berichteten Medien, dass die App störanfällig sei.
  • Waren die Strafen für einen illegalen Grenzübertritt unter "Title 42" ausgesetzt, kehren sie nun wieder zurück. Zwischen 50 und 250 US-Dollar sowie zwischen sechs Monaten und zwei Jahren Haft stehen auf das Vergehen. Die Strafen verdoppeln sich, wenn man das zweite Mal aufgegriffen wird. Höhere Strafen gibt es auch für jene Personen, die bereits vorbestraft sind, wenn sie die Grenze illegal überqueren.
  • Insgesamt gibt es strengere Regeln für Asyl in den USA. Damit sollen nur noch jene um Schutz ansuchen können, die belegen können, dass sie bereits in Drittstaaten einen Asylantrag gestellt haben und abgewiesen wurden. Ausgenommen sind unbegleitete Minderjährige, Menschen in unmittelbarer Gefahr und bestimmte Opfer von Menschenhandel.
  • Für bedrohte Familien soll es ein beschleunigtes Verfahren geben. Zeitnah sollen sie einem Asylrichter gegenübergestellt und bis dahin nicht inhaftiert werden.
Für Familien soll es in den USA künftig ein beschleunigtes Asylverfahren geben.
Foto: AP Photo/Fernando Llano

Frage: Die US-Regierung will gleichzeitig legale Wege in die USA ausbauen. Wie steht es um diese Strategie?

Antwort: Monatlich können 30.000 Menschen aus Haiti, Venezuela, Nicaragua und Kuba um humanitären Aufenthalt in den USA ansuchen. Dazu benötigen sie aber jemanden in den Vereinigten Staaten, der für sie haftet. Wird der Aufenthalt genehmigt, erhalten die Menschen eine zweijährige Arbeitserlaubnis. Zudem sollen (vorerst) in Guatemala und Kolumbien Registrierungszentren entstehen, in denen Menschen um Asyl in den USA, Kanada oder Spanien ansuchen können.

Donald Trumps milliardenteure Grenzbefestigung ist nicht unüberwindbar.
Foto: APA/AFP/GUILLERMO ARIAS

Frage: Was will Joe Biden gegen die Personalnot an der Grenze machen?

Antwort: Der US-Präsident hat angekündigt, dass es mehr Beamte und Asylrichter beziehungsweise Asylrechtsanwälte für die Südgrenze geben soll. Eine genaue Zahl ist nicht bekannt. Fest steht aber, dass mit Ende von "Title 42" 1.500 Soldatinnen und Soldaten an die Grenze verlegt werden, um den Grenzschutz zu unterstützen.

Frage: Wie geht es den Menschen an der US-Grenze im Moment?

Antwort: Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten berichten von unhaltbaren Zuständen an der Grenze. Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden registrierte laut CNN allein die NGO Human Rights First mehr als 13.000 Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung oder anderer Gewaltverbrechen an Menschen, die in Mexiko festsitzen oder via "Title 42" zurückgewiesen wurden. (Bianca Blei, 11.5.2023)