Wundmanagerin Brigitte Bichelhuber (links), stv. Pflegedirektorin Sonja Milachowski und Breast-Care-Nurse Olga Scheidl (rechts) an einem Pflegestützpunkt in der Klinik Favoriten.

Foto: Heribert Corn

Sie inspiziert Körperstellen, die Zartbesaitete nicht einmal ansehen können. Brigitte Bichelhubers Spezialgebiet sind Wunden, die länger als sechs Wochen keine Heilungstendenz zeigen. Die drahtige 40-Jährige ist diplomierte Pflegekraft in der Klinik Favoriten und seit gut einem Jahr Wundmanagerin.

Am Donnerstag hat Bichelhuber ihren blauen Rucksack mit den verschiedenen Verbandsmaterialien, mit dem sie sich durch die Stationen des Spitals des Wiener Gesundheitsverbunds (Wigev) bewegt, in einem Büroraum an die Wand gelehnt und zwischenbilanziert für den STANDARD ihr Arbeitsleben.

Es ist der Tag vor dem Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai. Sozialorganisationen, Politiker, Sozialpartner, Berufsverbände und andere Interessenvertreter nehmen das Datum zum Anlass, einmal mehr auf Forderungen und Maßnahmen gegen den Pflegemangel aufmerksam zu machen.

Noch am Mittwoch hat sich eine Enquete des Bundesrats dem Problem gewidmet, dass bis 2030 mindestens 75.000 Pflegekräfte in Österreich fehlen werden. Expertinnen und Experten forderten mehr Geld für den gesamten Bereich. Zugleich machten dieser Tage Gangbetten in der Klinik Ottakring Schlagzeilen – wieder einmal ein Fall fragwürdiger Versorgung wegen Personalnot.

Hälfte wollte aussteigen

Bichelhuber muss man trotz vieler beunruhigender Schlagzeilen nicht davon überzeugen, in der Pflege zu bleiben: "Ich würde den Weg wieder so einschlagen", sagt sie. Sie begann als Kindergartenpädagogin zu arbeiten, wechselte aber nach wenigen Jahren in die Pflege, wo sie geblieben und zufrieden ist. In der Pandemie ergab eine Befragung des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands allerdings, dass damals knapp die Hälfte des Akutpflegepersonals in Österreich an einen Ausstieg dachte.

Bemerkt man davon in der Chefetage etwas? "Es gibt in jedem Beruf eine Fluktuation", hält sich Sonja Milachowski, stellvertretende Pflegedirektorin in Favoriten, bedeckt. Abteilungen mit Engpässen gebe es, ja – entsprechend dem allgemeinen Trend. Konkreter will Milachowski da nicht werden. Die Zahl der Pflegebediensteten in den Wigev-Kliniken hat sich seit 2020 um insgesamt rund 340 Vollzeitäquivalente auf derzeit rund 6541 Personen verringert. Circa 700 Betten waren Anfang Mai gesperrt, oft liegt dem Personalmangel zugrunde.

"Bis zur Pension"

Auf der Radio-Onkologie hatte Bichelhuber nach der Geburt ihrer Kinder einen Job, der ihr sehr gefiel. "Ich dachte, das bleibe ich jetzt bis zur Pension." Dann wurde sie gefragt, ob sie sich zur Wundmanagerin weiterbilden will. "Ich bin aus meiner Komfortzone gegangen und bereue es nicht", sagt sie.

Ähnliche Worte findet ihre Kollegin Olga Scheidl, für die Pflege "schon immer der Traumberuf war". Die 50-Jährige ist Breast-Care-Nurse in der Klinik Favoriten, betreut also dank Zusatzausbildung Frauen mit Brusterkrankungen, oft Brustkrebs. "Erst gestern hat mir eine Frau gesagt, wie froh sie ist, dass es mich gibt", sagt sie. Sie habe eine Stunde mit der Patientin gesprochen. Während diese von Urlaubsplänen erzählt habe, habe sie sich überlegt, was für die Versorgung der Narben dann zu bedenken sein werde. So viel Zeit für Gespräche können sich andere im Pflegealltag freilich nur wünschen. Und der Wunsch ist da: Befragungen zur Arbeitszufriedenheit von Pflegebediensteten zeigen, dass sich viele mehr Zeit für die zu Pflegenden wünschen.

Nur Tagdienste

Scheidl und Bichelhuber arbeiten zudem nur Montag bis Freitag von sieben bis 15 Uhr. Nie nachts oder am Wochenende. Scheidl war nach ihrem Berufseinstieg zehn Jahre in einer internen Abteilung, mit Wochenend- und Nachtschichten. "Das war stimmig. Aber dann bin ich Mutter geworden, und es hat nicht mehr gepasst." Ihre Chefin Milachowski gibt bezüglich der Dienstzeiten zu bedenken, dass, wer in die Pflege gehe, wisse, worauf man sich da einlasse. Und es gebe beim Wigev eine gewisse Flexibilität.

Im Schnitt machen Pflegeangestellte beim Wigev vier bis fünf Überstunden pro Monat. Die Gesamtzahl lag im April 2023 höher als 2020 oder 2021, voriges Jahr noch höher. 2022 wurden zahlreiche Überlastungssituationen wegen Personalmangels angezeigt. Scheidl sagt, sie habe von Engpässen durch Urlaube und Krankenstand im Kollegenkreis anderer Häuser gehört, sie selbst aber nicht erlebt.

"Nur Tagdienste zu machen geht halt nicht für jeden", gibt Edgar Martin von der Gewerkschaft Younion, die tausende Wigev-Angestellte vertritt, am Telefon zu bedenken. "Wenn man mit jemandem spricht, der 20 Jahre am Bett im Schichtbetrieb gearbeitet hat, hört sich das wohl anders an", meint er. Doch nicht nur Tag- und Nachtschichten in einem höheren Alter seien etwas, worunter Pflegebedienstete leiden können. Auch der Berufseinstieg sei sehr herausfordernd.

Mentoring für Einsteiger

"Oft klaffen Theorie und Praxis weit auseinander", sagt Martin. Es brauche daher mehr Mentoring. Ein neues Projekt in Favoriten sieht er als positiven Schritt: Zwar gibt es an jeder Station dezidiert für die Ausbildung zuständige Pflegekräfte, doch diese haben auch viele andere Aufgaben. Seit Anfang Mai werden drei Ansprechpartnerinnen allein zur Betreuung der Pflegestudierenden eingesetzt.

Etwas, das Martin ebenfalls als sehr wichtig erachtet, sind die Dienstplansicherheit und wirklich gute Entlohnung für jene, die einspringen, wenn andere verhindert sind. An Hotspot-Abteilungen mit Personalnot hat der Wigev kürzlich einen Bonus von 500 Euro für Extradienste eingeführt. "Ein Signal", meint der Gewerkschafter.

Langsam wandle sich in der Gesellschaft das antiquierte Bild von der "Krankenschwester", die Essen bringt und Betten macht, meint Scheidl, hin zu einer Fachkraft mit Expertenwissen. Was in der aktuellen Debatte aber untergehe, sei, wie vielfältig die Pflege sei. "Es gibt so viele verschiedene Bereiche und Karrierewege", pflichtet Milachowski bei. Bei aller Kompetenzerweiterung und Professionalisierung sei es aber wichtig, dass die diplomierte Pflege den Patientenkontakt nicht verliere, warnt Gewerkschafter Martin. "Er ist das Fundament." (Gudrun Springer, 12.5.2023)