Nach jahrelanger Durststrecke lichten sich die Nebel, und es kommen laufend Urteile im Dieselskandal.

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Wien – Im Jahr acht nach dem VW-Dieselabgasskandal kommt der Oberste Gerichtshof bei ausstehenden Dieselurteilen in die Gänge: Der Käufer eines VW mit einem "Thermofenster" im Motor, das bewirkt, dass die Abgasreinigung nur bei milden Temperaturen aktiv ist, kann das Auto zurückgeben und den Kaufpreis zurückverlangen.

Die vom deutschen Kraftfahrt-Bundesamt zur Sanierung des Problems vorgeschriebene Software, mit der das Problem eigentlich saniert werden sollte, enthalte erneut ein solches "Thermofenster" und saniere den Schaden für den Käufer deshalb nicht, urteilte das Höchstgericht (10 Ob 2/23a).

16 Sammelklagen

Der Spruch des österreichischen Höchstgerichts dürfte Bewegung in die an 16 Landesgerichten anhängigen Sammelverfahren des Vereins für Konsumenteninformation für mehr als 9.000 Kläger bringen. "Diese Entscheidung ist der 'Löser' für sämtliche Verfahren, die wegen des ursprünglichen Skandalmotors (EA189) geführt werden. Die Ansprüche sind auch noch nicht verjährt", sagt der mit zahlreichen Dieselklagen befasste Rechtsanwalt Michael Poduschka. Er vertritt im vorliegenden OGH-Verfahren einen Einzelkläger. Die Auswirkungen auf alle anderen vom Abgasskandal betroffenen Automarken seien enorm.

Falsche Tatsachen?

VW hingegen kritisiert, dass der OGH seiner Entscheidung falsche Tatsachen über das Thermofenster in der neuen Software zugrunde gelegt habe. Sonst hätte das Höchstgericht anerkennen müssen, dass der ursprüngliche Mangel mit dem Software-Update behoben wurde, meint der Fahrzeughersteller.

In Anlehnung an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hält der OGH fest, dass die Abschaltung der Abgasreinigung außerhalb eines definierten Temperaturbereichs (Thermofenster) für den Käufer einen Schaden darstellt, da die weitere Nutzung des Fahrzeugs damit ungewiss wird.

Beweislastumkehr

Der OGH hat in dem soeben zugestellten Urteil auch festgestellt, dass Volkswagen nachweisen müsste, im Zusammenhang mit der Abschaltvorrichtung für die Abgasreinigung nicht einmal fahrlässig gehandelt zu haben. Da die Abgasnormen eine Schutznorm darstellen, gelte hier eine Beweislastumkehr.

"Die Fahrzeughersteller müssen beweisen, dass sie nichts davon gewusst haben, dass die Thermofenster gegen geltendes Recht verstoßen – das wird keinem gelingen", erwartet Poduschka.

Nur auf dem Prüfstand

Hintergrund des aktuellen Urteils ist der im September 2015 in den USA aufgeflogene VW-Abgasskandal. In der Folge hat das Unternehmen zugegeben, dass zumindest bei einem weit verbreiteten Motorentyp (EA189) die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand umfassend funktioniert hat, im Realbetrieb aber nur zwischen 15 und 33 Grad eingeschaltet wurde, also nicht im Winter oder bei großer Hitze. Seither laufen zahlreiche Prozesse um Schadenersatz, und das nicht nur in Österreich. Auch andere Autohersteller sind mit Klagen konfrontiert, weil die Abgasreinigung nur in einem eingeschränkten Temperaturbereich funktioniere.

VW hatte diesen Mangel mit einem Software-Update zu sanieren gesucht, der Vorgang war von der deutschen Genehmigungsbehörde, dem Kraftfahrt-Bundesamt, akzeptiert worden. Da aber auch die neue Software eine verharmlosend "Thermofenster" genannte temperaturabhängige Abschalteinrichtung enthält, sei der Schaden damit eben nicht saniert worden, stellte nun der OGH fest. Vor dem österreichischen Höchstgericht hatte bereits der Europäische Gerichtshof Thermofenster für unzulässig befunden.

"Falsche Tatsachen"

VW hält dem entgegen, dass das Erstgericht, dessen Urteil der OGH nun im Wesentlichen bestätigt, das Thermofenster zu eng angenommen habe. In Wahrheit sei das Thermofenster weiter, die Abgasreinigung funktioniere also auch bei höheren und tieferen Temperaturen als im Urteil angenommen. VW geht daher davon aus, dass der Mangel bei der Abgasreinigung durch die neue Software doch saniert wurde.

Der OGH habe seine Entscheidung auf Basis falscher Tatsachen getroffen, meint VW. Diese hätten aber in diesem Verfahren nicht mehr korrigiert werden können. Daher habe das Urteil auch nur Auswirkungen auf "eine zweistellige Anzahl an Verfahren" mit vergleichbaren "unzutreffenden und nicht mehr korrigierbaren Tatsachenfeststellungen" in der ersten Instanz, so VW. Das Unternehmen glaubt, dass das aktuelle OGH-Urteil keine Auswirkungen auf die übrigen Verfahren – fast 1.500 – hat.

Hersteller haftet, nicht Händler

Poduschka hingegen meint, dass VW diesfalls für jedes Fahrzeug nachweisen müsste, wo genau das Thermofenster liegt. Das freilich wäre aufwendig und teuer, pro Messung würde dies an die 50.000 Euro kosten.

Der OGH hat in diesem Urteil auch ausdrücklich festgestellt, dass der Fahrzeughersteller auch ohne direktes Vertragsverhältnis mit dem Käufer schadensersatzpflichtig ist, also auch, wenn der Kauf über einen Händler abgewickelt wurde. (APA, ung, 12.5.2023)