Sangria macht alles wieder gut: Modeopfer in "Das Licht im Kasten".

Peter Griesser

Eine Textverkürzungsshow mit KI-Beteiligung: "Tod-krank.Doc" (im Bild: Malte Sundermann und Malakoff Kowalski, v. li.)

Anna Zehetgruber

Vier Theaterstücke an einem Abend? Mit derlei geballter Ladung hatte das Werk X von Ali M. Abdullah und Harald Posch noch nie Schwierigkeiten. Schon als Drama X sowie als Kellerbühne Garage X hat das Leitungsduo es verstanden, mit Schüben von Verdichtung Aufmerksamkeit zu erzeugen. Nach nun neun Jahren als Zweihäuserhausherren – einerseits am Standort des ehemaligen Kabelwerks in Wien-Meidling, andererseits am innerstädtischen Petersplatz – geht diese Ära popkulturellen Theaterschaffens nun zu Ende. Ab Herbst übernimmt Esther Holland-Merten die Tandembühne.

Zuvor aber finden als großes Finale noch Jelinek-Festspiele statt. Miloš Lolić und das Theaterpaar Gintersdorfer/Klaßen inszenierten mit Aber sicher! und Strahlende Verfolger. zwei österreichische Erstaufführungen – DER STANDARD berichtete. Mit Das Licht im Kasten sowie der Schlingensief-Hommage Tod-krank.Doc legten nun die Regisseurinnen Thirza Bruncken und Angela Richter nach. Alle vier Inszenierungen sind am Samstagabend hintereinander zu sehen.

Sangria einsaugen

Die deutsche Regisseurin Thirza Bruncken setzt den das Verhältnis von Mensch und Mode behandelnden Text Das Licht im Kasten in ein typisches Jelinek-Setting aus kapitalistischer Kaputtheit. Fünf unter den Verlockungen von Werbebildern zu exaltierten Modepuppen avancierte Frauen (Nora Jacobs, Jaschka Lämmert, Ines Schiller, Bettina Schmidt und Lisa Weidenmüller) halten sich im Beisein von gestrandeten Einhorn- und Seepferdchenschwimmreifen ihre von den mechanischen Redeströmen trocken gewordenen Münder mit nonstop aus einem großen Kelch aufgesaugtem Sangria feucht.

Allmählich verrutschen ihre blonden Perücken, löst sich die verkleisterte Haut von den Gesichtern, analog zu dem bröckelnden Versprechen eines besser ausschauenden Ichs. Den industriell eingepflanzten Mädchenträumen gebietet oft nur mehr ein Hackbeil Einhalt. Die Inszenierung operiert gekonnt mit einer Politik des Blickens, taucht Szenen ins beinahe Unsichtbare oder verleiht den Figuren kalte Konturen. Bedauerlicherweise kommen die Sätze in einer fast durchgehend anhaltenden Soundcollage unter die Räder.

Hinauf auf die Showtreppe

Jelinek, aber ganz anders – dafür hat sich Angela Richter entschieden. Die Regisseurin ist dem Haus seit Garage-X-Zeiten verbunden und wurde durch ihr Interview mit Julian Assange einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Den aus mehreren Kapiteln bestehenden Tod-krank.Doc-Text, den Jelinek ursprünglich für Christoph Schlingensiefs Mea Culpa-Abend im Burgtheater 2009 schrieb und der u. a. dessen Lungenkrebserkrankung behandelt, konfrontiert Richter mit dem KI-Programm ChatGPT.

Die vier Inszenierungen unterliegen alle der brenzligen Zeitvorgabe von je maximal sechzig Minuten. Das schreit nach künstlicher Intelligenz (KI). Die beiden Showmaster Wojo van Brouwer und Malte Sundermann ereilt denn nach ihren ersten Showtreppenmanövern bald der Kürzungsruf ihres Spielleiters (Malakoff Kowalski). Die KI namens Hal (benannt nach dem Bordcomputer aus Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum) wird folglich für verlockende Textvarianten befehligt: Jelinek im Stil eines Rammstein-Songs, bitteschön! Oder als Jazz-Standard, oder als Billie Eilish, als Muppet Show-Kommentar mit Waldorf und Statler, aber auch "für Kinder erklärt".

Jelineks Sanktus

Das zeitigt bedenkliche Sager und setzt auch regelmäßig den Alarm des Sensitivity-Readings (Lektorat bei sensiblen Themen) in Gang, gibt szenisch aber nicht so viel her, weil die Schauspieler neben Musikeinlagen live vom Bildschirm ablesen. Für einen Sechzigminüter reicht diese Idee aber allemal, und es wird dank der Musik sogar feierlich. Auch Jelinek gab dazu – verlesen von der Regisseurin – entspannt ihren Sanktus. (Margarete Affenzeller, 12.5.2023)