Mid-Career-Crisis? Vielleicht betrachten Sie Ihre Jobkrise lieber ganzheitlich – mit Privatleben und anderen Gegebenheiten.
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Im Leben eines jeden Menschen kommt früher oder später eine Krise um den Sinn von dem, was man tut. Vor allem über die Karriere denkt vermutlich jede und jeder einmal: Mache ich überhaupt das Richtige? Eine Extremform dieser Grübelspirale hat – wie so vieles in der Jobwelt in den letzten Jahren – einen eigenen Ausdruck bekommen: die Mid-Career-Crisis.

Aus kitschigen Filmen oder Büchern kennt man meist die "Midlife-Crisis" von Personen, die alles Erreichte (oder nicht Erreichte) infrage stellen und letztlich ausbrechen, um etwas "Verrücktes" zu tun: ein Strandcafé zu eröffnen, statt öde Akten im Büro zu sortieren etwa. Oder Freiwilligenarbeit leisten, statt im Konzern groß rauszukommen.

Ganz so klischeehaft passiert das im echten Leben meistens nicht. Sinnkrisen – auch wenn sie den Karriereweg betreffen – können ganz schön erschöpfend und anstrengend sein. Laut einer Studie des US-Forschungsinstituts Hinge Research aus dem Jahr 2022 kommen sie gar nicht so selten vor. Von fast 100 Befragten, die sich in der Mitte ihrer Karrierelaufbahn befanden, kündigten 30 Prozent im letzten Jahr ihren Job oder wechselten den Arbeitsplatz, zeigt die Studie.

Aber hat die sogenannte Mid-Career-Crisis immer etwas mit dem Alter zu tun? In vielen Medienberichten ist zu lesen: "Meistens betrifft die Mid-Career-Crisis Menschen zwischen Mitte 40 oder Anfang 50." Oft wird auch ein Zusammenhang mit dem fortschreitendem Alter, persönlicher Weiterentwicklung und einer Veränderung der Bedürfnisse gezogen. So weit, so logisch – aber was, wenn die Krise um Job und Sinn sich bereits mit 30 im Kopf breitmacht?

Alter macht nicht aus

Durchaus gibt es Menschen jeden Alters, die eine Art Mid-Career-Crisis verspüren. Weder muss man dafür "in der Mitte des Lebens" sein, noch muss sie genau in der "Mitte" der Karrierelaufbahn stattfinden. Viel mehr bedeutet sie ein Symptom einer Reihe von Veränderungen im Leben.

Auf Tiktok heißt es dann eher "Millennial-Career-Crisis".

Längst zeigen auch junge Menschen auf Social Media ihre Jobkrise, die dort genannte "Millenial-Career-Crisis" – wieder dasselbe Problem in anderem Kleid. Die junge Tiktokerin Kelly Weimert ging mit ihrem Kurzvideo viral, in dem sie das Phänomen erklärt: Junge Menschen, die im Jobleben bereits Fuß gefasst haben, arbeiteten in Ausbildung und Studium jahrelang auf einen Job hin, der ihnen plötzlich doch nicht mehr gefällt. Mehr als 400.000 Aufrufe hat ihr Video erreicht.

Die Soziologin Christiane Funken hingegen hat bereits vor acht Jahren erforscht, dass Anfang 50 ein Karriereknick in der Laufbahn folgen kann – vor allem bei Frauen. Managerinnen der Babyboomer-Generation hatten zahlreiche Ausbildungen, Auslandsaufenthalte und promovierten. Dann aber folgten jahrelang der immense Leistungsdruck und die Mehrfachbelastung. Bis dann eben viele mit 50 einfach aussteigen wollten. Funken erklärt das Phänomen mit patriarchalen Strukturen, die Frauen deutlich mehr unter Druck setzten als ihre männlichen Kollegen.

Punkt der Veränderung

In der Beratung – egal in welchem Alter oder mit welchem Geschlecht – zählt jedenfalls nicht die Begrifflichkeit, sondern das Handeln: Wichtig ist, wie man mit der Phase der Ungewissheit und der Nervosität umgeht. "Das Thema ist ein ganz ähnliches wie in der Midlife-Crisis", erklärt Sabina Haas.

Sie ist Karriereberaterin in Wien und beschäftigt sich unter anderem mit Sinnkrisen ihrer Klientinnen und Klienten im Beruf. "Wir entwickeln uns im Laufe unseres Lebens weiter, und manche Bereiche können nicht Schritt halten", sagt sie, "oft sind es die beruflichen Möglichkeiten, die sich nicht in der Dynamik weiterentwickeln, wie wir uns persönlich entwickeln." Dann komme der Punkt, an dem man überlegen muss, was man verändert.

Meistens komme das Gefühl schleichend. Die Motivation sinkt, es kommen körperliche Symptome wie etwa Schlafprobleme dazu. Manche Personen fangen etwa exzessiv mit einer anderen Tätigkeit an, etwa Sport. Andere versuchen sich die Situation noch schönzureden, obwohl sie sich nicht mehr wohlfühlen ("Da verdiene ich viel" oder "Da arbeitet auch mein gewohntes Umfeld").

Wichtig ist das Handeln und wie man die Sinnkrise nutzt, sagt Sabina Haas, Karriereberaterin in Wien.
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In Konzernen, internationalen Firmen oder wachsenden Start-ups wird der Druck immer größer, die Geschäfte immer schneller. Menschen werden immer kleinere Rädchen im System, die Karriere ist irgendwann limitiert, erklärt Haas. Viele Menschen fühlen sich irgendwann nicht mehr gesehen oder wertgeschätzt.

Der Grat zum Burnout

Wie aber merkt man bei einer längeren Flaute, ob es eine Sinnkrise oder schon ein Burnout ist? Beides kann von einer langanhaltenden Überforderung, wenig Entspannung inklusive körperlicher Warnsignale wie Konzentrationsstörungen oder emotionaler Abflachung kommen. Das eine kann aber in das andere überlaufen. "Gerade wenn verdrängt wird, dass der Sinn in der Arbeit eigentlich schon fehlt, kann es nach längerer Zeit in Unzufriedenheit zu einem Burnout kommen", sagt Haas.

Für eine Karrierekrise benennt sie mehrere Strategien, um schnell ins Tun zu kommen und etwas zu verändern.

  • Unterstützung suchen und anerkennen, dass dies auch okay ist.
  • Neue Ziele fassen: Man kommt ins Handeln, mit dem Gedanken "Ich will, dass es mir wieder gutgeht" – und überlegt, was man dafür braucht.
  • Sich bewusst machen, dass nichts verlorengeht von dem, was man bisher erreicht hat.
  • Oft herrscht die Angst, woanders weniger zu verdienen oder mit dem Team nicht gut auszukommen. "Netzwerk, Menschen und Erfahrungen kann man aber in die Zukunft mitnehmen," sagt Haas.
  • Nicht (mehr) erwarten, dass der Job alle Interessen und Bedürfnisse abdeckt.
  • Den Fokus umlegen: Soziale Projekte beginnen, Mentorin oder Mentor werden et cetera.
  • Planen: Am besten nimmt man sich auch Zeit für sich selbst und erörtert: Was erwarte ich mir für die Zukunft, und gibt das mein Beruf jetzt her? Wie will ich das Leben gestalten?

Haas betont außerdem aus der Erfahrung mit ihren Klientinnen, es sei wichtig, klischeehafte Glaubenssätze zu brechen. Dazu gehört zum Beispiel, den Jobwechsel oder die Kündigung ohne neuen Job nicht als Versagen oder Verlust zu sehen. "Das, was wir kennen, wird immer positiver bewertet als das Neue", erklärt Haas unbewusste Bias. Oft bewahrheite sich das aber nicht. (Melanie Raidl, 16.5.2023)