Die Ziege im Gemeindebau wirkt relativ unscheinbar.

Foto: Peter Autengruber

Auch das neuere Kunstwerk an der Fassade des Georg-Emmerling-Hofes im zweiten Bezirk gefällt nicht allen. "So schließt sich der Kreis", sagt Autengruber.

Foto: Peter Autengruber

Wohnen ist teuer geworden – daher rückt der soziale Wohnbau in den Fokus, der sich durch unbefristete Mietverträge und vergleichsweise geringe Mieten auszeichnet. Eine große Rolle spielen da in Wien die Gemeindebauten, die – mit Unterbrechungen – seit rund hundert Jahren gebaut werden und in denen rund 500.000 Menschen leben.

Die beiden Historiker Peter Autengruber und Ursula Schwarz haben für ihr kürzlich erschienenes Lexikon der Gemeindebauten (Wundergarten-Verlag) viel Wissen zu den insgesamt rund 1800 Bauten zusammengetragen. Ihr Fokus liegt auf den Namen der Bauten sowie auf Denkmälern, Sehenswürdigkeiten und weiteren Details, von denen man so noch nicht gehört hat.

Magere Ziege

Etwa beim Georg-Emmerling-Hof im zweiten Bezirk, direkt gegenüber dem Schwedenplatz. Der schnörkellose Bau wurde in den 1950er-Jahren in Zeiten großer Wohnungsnot errichtet und ersetzte Altbauten, die im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren. Im Innenhof befindet sich neben einem Kindergarten und versteckt zwischen Sträuchern die eigentlich unscheinbare Skulptur einer Ziege von Alois Heidel.

Das sichtlich abgemagerte und mitgenommene Tier sorgte in den 1950er-Jahren für Aufregung. Es habe deswegen ein "Riesentheater" in den Medien gegeben, sagt Auten gruber, die Ziege sei als "Leprakranke" bezeichnet worden. Die Skulptur habe nämlich nicht dem damaligen Kunstverständnis entsprochen.

Exotik entsprach mehr dem Zeitgeist, wie andere Gemeindebauten zeigen: Im Rudolfine-Muhr-Hof im 13. Bezirk steht eine Giraffe, im Chopinhof im zweiten Bezirk ein Kamel.

Der Kreis schließt sich

Der Emmerling-Hof wurde jüngst saniert und aufgestockt, im Zuge dessen wurde ein weiteres Kunstwerk realisiert. Am besten sieht man es vom Schwedenplatz aus. Auf Höhe des sechsten Stocks ist Themroc von Christoph Steinbrenner, Rainer Dempf und Martin Huber zu sehen: Zwei Männer sitzen auf einem Balken, einer davon scheint die Mauer des Gemeindebaus zu zerschlagen. Auch dieses Kunstwerk sei nicht bei allen gut angekommen, sagt Autengruber: "So schließt sich der Kreis."

Als Recherche für das Buch waren Peter Autengruber und Ursula Schwarz in jedem Gemeindebau, nicht immer gemeinsam. Immer wieder sei es aber vorgekommen, dass ein Kunstwerk, das auf der Website von Wiener Wohnen beschrieben wurde, vor Ort nicht gefunden wurde und man gemeinsam ausrücken musste. Die Natursteinplastik Gladiator von Alfred Hrdlicka in der Großfeldsiedlung blieb dennoch unauffindbar.

Noch etwas ist dem Historiker aufgefallen: "Es gibt viele Kunstwerke, die beschädigt wurden", ein Mosaik etwa im Eingangsbereich des Marschallhofes, in das für eine Elek troinstallation gebohrt wurde. Ein Problem sei, dass bei den meisten Kunstwerken die Beschriftung und Hintergrundinfos fehlen würden: "Ob das Vandalismus verhindern würde, weiß ich nicht, aber vielleicht würde es das Bewusstsein erhöhen", sagt Autengruber.

Katastrophale Wohnverhältnisse

Das Rote Wien hat mit dem Bau von Gemeindebauten als Reaktion auf katastrophale Wohnverhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg angefangen. 90 Prozent der Wohnungen hatten laut Historiker Autengruber damals lediglich eine Wasserentnahmestelle auf dem Gang, Bettgeher gehörten zum Wohnalltag. Finanziert wurden die ersten Gemeindebauten aus Mitteln der Wohnbausteuer auf vermietbare Räume, außerdem über eine Luxussteuer, die etwa auf Autos, Sekt, aber auch Dienstboten eingehoben wurde, und eine Fürsorgeabgabe, die rund vier Prozent der Lohnsummen ausmachte.

Bis 1934 entstanden so 64.000 Wohnungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde weitergebaut. Anfang der 2000er-Jahre hat die Stadt den Bau neuer Gemeindewohnungen beendet, ab 2015 aber wiederaufgenommen. Der erste der neuen Gemeindebauten war der Barbara-Prammer-Hof im zehnten Bezirk, in dessen Eingangsbereich ein Mosaik im Gedenken an die verstorbene Nationalratspräsidentin zu finden ist. Insgesamt ist ein lesenswertes Stück einer Geschichte entstanden, die immer noch weitergeschrieben wird. (Franziska Zoidl, 20.5.2023)