Bevor das Interview beginnt, zupft sich Michael Burkett die Netzstrümpfe und das enge Leder-Outfit zurecht. Sein bürgerlicher Name steht allerdings nur im Reisepass, wer den 56-Jährigen kennt, kennt ihn als "Fat Mike". Der NOFX-Sänger und Bassist sitzt in seinem Studio in Las Vegas und lächelt in die Kamera, das Gespräch findet via Zoom statt. Während einer Tour gibt er keine Interviews.

Fat Mike zählt zu den wichtigsten Größen der Punkrock-Szene. Neben NOFX hat er das Label Fat Wreck Chords gegründet, er ist Produzent, Solokünstler und Festival- bzw. Tourveranstalter. NOFX wird Anfang Juni den letzten Österreich-Auftritt beim SBÄM-Fest in Linz haben. Im Vorfeld sprach er mit dem STANDARD über Frauenbekleidung, machtlose Politiker, die Zukunft von Punkrock und die Probleme von mittelmäßigen Bands.

STANDARD: Man hört, dass Sie sich auf Interviews gerne mit Sadomaso-Spielchen oder sogenannten Kinky-Partys vorbereiten. War das heute auch so?

Fat Mike: Das mache ich tatsächlich gerne. Mit meiner Freundin wird es oft sehr verrückt, die Schmerzen im Schlafzimmer bereiten mir Freude, aber jetzt gerade arbeite ich im Studio. Dass ich mich feminin kleide, ist ganz normal. Das mache ich auf der Bühne und daheim.

Der NOFX-Sänger fühlt sich einerseits in Frauenkleidung wohl, andererseits will er Menschen dazu ermutigen, dass alle machen können, was sie wollen.
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STANDARD: Wollen Sie damit ein Statement setzen?

Fat Mike: Würde ich mich in Frauengewand nicht wohlfühlen, würde ich es nicht tragen. Was ich anziehe, spielt in Wahrheit keine Rolle – aber ich glaube, es kann Menschen positiv beeinflussen. Ich will zeigen, dass jeder machen kann, was er will. Es gibt keine Regeln. Natürlich nur, solange niemand anderer unter dem eigenen Verhalten leidet.

STANDARD: Sie standen mit NOFX 40 Jahre auf der Bühne, spielen gerade die große Abschiedstournee und haben mit den Codefendants trotzdem schon ein neues Bandprojekt am Start. Sie haben also immer noch Freude an der Musik?

Fat Mike: Mittlerweile macht es mir sogar viel mehr Spaß Musik zu machen als früher. Bei NOFX habe ich fast alles allein geschrieben, bei den Codefendants arbeiten wir gemeinsam an den Songs. Wir wohnen sogar gemeinsam in einem Haus und zerlegen jedes Lied immer und immer wieder. Es ist eine ganz neue Erfahrung für mich.

STANDARD: Werden Sie NOFX vermissen, oder haben Sie innerlich bereits abgeschlossen?

Fat Mike: Ich hasse das Touren mit NOFX nicht, aber ich mochte es in den vergangenen Jahren nicht mehr besonders. Auf Tour werde ich auch mit den Codefendants nicht mehr gehen, schreiben und produzieren reicht mir mittlerweile. Nach 40 Jahren möchte ich andere Dinge machen. Sich in den unterschiedlichen Städten von all den Menschen zu verabschieden, die uns jahrelang begleitet haben, wird dennoch sehr emotional. Das hat man schon beim Tourstart in Texas gemerkt. So wie für diese Tour hat sich die Band noch nie vorbereitet.

STANDARD: Inwiefern?

Fat Mike: Wir haben noch nie so viel geprobt, teilweise sechs Tage am Stück. Einerseits um unsere alten Lieder zu perfektionieren, andererseits um Songs zu lernen, die wir noch nie live gespielt haben. Wir geben bei jeder Show 100 Prozent, das war nicht immer so.

Der Name NOFX ist eine Anlehnung an Negative FX, eine Hardcore-Band aus Boston. Wer Fat Mike in einem Interview nach der Namensherkunft fragt, riskiert, dass er das Gespräch auf der Stelle abbricht.
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STANDARD: Sie haben nie einen Hehl aus Ihrem Drogenkonsum gemacht, das hat unter anderem auch zu einigen schlechten Shows geführt. Bereuen Sie rückwirkend etwas?

Fat Mike: F**k no! Ich war 40 Jahre mit meinen besten Freunden unterwegs, so viel Glück im Leben muss man erst einmal haben.

STANDARD: Sind die Freundschaften nach wie vor so eng?

Fat Mike: Nein. Wir bleiben eine Familie, so viel, wie wir miteinander durchgemacht haben, aber die besten Freunde sind wir nicht mehr. Während Corona hat sich viel geändert, das Thema Geld strapazierte die Beziehungen untereinander – vor allem ab dem Zeitpunkt, als ich den anderen gesagt habe, dass ich NOFX beende.

STANDARD: Die Abschiedstournee umfasst 40 Shows in 40 Städten mit je 40 Songs. Nach welchem Muster wird ausgewählt, welche Alben wo gespielt werden?

Fat Mike: Es gibt keine konkrete Idee dahinter. Ich mache die Setlist, und ich stelle sie so zusammen, worauf ich gerade Lust habe. In manchen Städten spielen wir zweimal, um möglichst viel unterzubringen. Circa 30 Locations stehen fest, die Tour wird jedenfalls noch bis 2024 dauern. Es müssen aber auch die Konditionen der Veranstalter passen. Zum Beispiel wollen wir einen Anteil an den Tickets und dem Barumsatz.

"Freundlichkeit verändert Meinungen eher als Songs."

STANDARD: Wirklich?

Fat Mike: Es ist unsere letzte Tour, wir müssen vorsorgen und Geld verdienen.

STANDARD: Sie waren die treibende Kraft für das heuer eröffnete Punk Rock Museum in Las Vegas. Was gehört zu den wertvollsten Ausstellungsstücken?

Fat Mike: Es gibt beispielsweise einen Jam-Room mit Schlagzeug und Verstärkern aus dem Proberaum von Pennywise, aber vor allem die kleinen Dinge machen mich glücklich. Wir haben etwa eine Postkarte aus dem Jahr 1984. Ein 15-Jähriger hat damals an die Band Necros geschrieben: "Ich mag eure Band, lasst mich wissen, wenn ihr in die Gegend von D.C. kommt. Und schickt Sticker." Unterzeichnet: Dave Grohl. (Anm. Sänger der Foo Fighters und Schlagzeuger von Nirvana)

STANDARD: So etwas lässt bestimmt viele Besucherinnen und Besucher nostalgisch werden.

Fat Mike: Jeder verlässt das Museum mit einem Grinser. Die Hälfte der Leute weint sogar, weil so viele Erinnerungen an die eigene Jugend hochkommen.

STANDARD: Stichwort Jugend. Bereits auf dem Album "War on Errorism" im Jahr 2003 sangen Sie: "When did Punkrock become so safe". Mittlerweile ist alles noch "safer". Sowohl auf als auch abseits der Bühne wurden die Leute älter, von nachkommender Jugend kaum eine Spur. Sehen Sie eine Zukunft für Punk?

Fat Mike: Natürlich. In den letzten Jahren wurden weniger junge Bands sehr bekannt, das stimmt. Aber so lange es Jugendliche gibt, die in einer Garage in ihre Instrumente dreschen, lebt Punkrock weiter. Man muss kein guter Musiker sein, um Punkrock zu spielen, in erster Linie geht es um Spaß. Wir beide sehen keine Shows von 17-Jährigen, wir wissen nicht mal, dass sie stattfinden. Aber deren Freunde wissen davon, und die gehen hin. Warum sollten junge Menschen zu Shows von uns Oldtimern gehen? Wäre ich noch mal jung, würde ich auch meine Freunde sehen wollen und keine alten Säcke, die 30 Jahre alte Songs spielen.

STANDARD: NOFX spielt sogar noch ältere Lieder. Der große Durchbruch kam mit "Punk in Drublic", in Interviews sprechen Sie aber öfter von "War on Errorism". Ist Letzteres Ihr Lieblingsalbum?

Fat Mike: Weder noch. "Punk in Drublic" hat viel bewegt, ist aber bei weitem nicht unser bestes Album. Meine Favoriten sind "Wolves in Wolves Clothing" und "Self Entitled".

PUNK ROCK TV - Stage Dive Films

STANDARD: Hat Punkrock noch die Kraft, um Leute auf die Straße zu bringen bzw. gegen Ungerechtigkeiten aufstehen zu lassen?

Fat Mike: Vermutlich ja, aber die Welt ist ein ziemlich kaputter Ort, und man kann nicht viel tun, das wirklich etwas bringt. Das passiert nur ab und zu. Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat einiges bewegt – nicht genug, aber es hat einen Unterschied gemacht. Viele Punkrocker waren bei den Protesten dabei. Vermutlich kann ein Song Menschen dazu bewegen, ihre Meinung zu ändern. Aber der beste Weg ist, eine Stunde mit jemandem zu sprechen und dabei freundlich zu sein.

STANDARD: NOFX war stets eine sehr politische Band. Nun steht abermals das Duell Biden gegen Trump an. Was sagen Sie dazu?

Fat Mike: Raten Sie mal (lacht). Als Barack Obama Präsident wurde, hatte die ganze Welt Hoffnung. Er war ein guter Präsident, aber er hatte in Wahrheit keine Macht. Seit den 1950er-Jahren trifft das Militär die wichtigen Entscheidungen. Trump war der schlechteste Präsident aller Zeiten, schlimmer als unter ihm kann es nicht werden. Aber egal ob Trump oder Biden, wir sind sowieso im Arsch. Das Klima kollabiert, die Polkappen schmelzen. Bereits wir werden eine andere Welt sehen, und unsere Kinder werden eine völlig andere Welt kennenlernen müssen. Die Situation ist ziemlich hoffnungslos, deswegen versuche ich möglichst entspannt dahinzuleben. Jeden Tag ,wenn ich aufwache, sage ich zu meiner Freundin: "Es wird ein guter Tag." Man muss es laut aussprechen, klingt blöd, hilft aber tatsächlich.

"Jeder kann machen, was er will. Es gibt keine Regeln."

STANDARD: Ein anderes leidiges Thema für Label-Betreiber ist Streaming. Wie sehr hat die Entwicklung Fat Wreck Chords zugesetzt?

Fat Mike: Es hat die ganze Record-Label-Industrie zerstört. Fat Wreck hatte Büros auf der ganzen Welt und mehr als 20 Angestellte, jetzt sind es nur noch fünf. Wir halten uns gerade so über Wasser. Früher haben Bands 200.000 Scheiben verkauft, sie haben gut verdient, wir haben gut verdient. Heutzutage verkaufen sie vielleicht 5.000 Stück. Geld ist nur noch bei Live-Shows zu holen. Unterm Strich aber auch egal. In den 40er- und 50er-Jahren verdiente auch niemand etwas mit Aufnahmen, sondern live.

PUNK ROCK TV - Stage Dive Films

STANDARD: Sollen demnach die Ticketpreise steigen?

Fat Mike: Nein, die Dinge haben sich eben so entwickelt. Mittelmäßige Bands leiden darunter, denn sie schaffen es definitiv nicht mehr, von ihrer Musik zu leben. Großartige Bands haben auch in Zukunft kein Problem. Sich mit einem eigenen Sound von der Masse abzuheben, wurde aber noch wichtiger.

STANDARD: Wer hat so einen Sound?

Fat Mike: Zum Beispiel Flogging Molly oder Against Me. Get Dead hat es mit einem eigenen Sound geschafft.

STANDARD: Sie haben Get Dead groß gemacht und den Sound entwickelt.

Fat Mike: Das nennt man "Producing". Außerdem mag ich solche Hitzköpfe wie die Jungs von Get Dead.

STANDARD: Wizo-Sänger Axel Kurth meinte gegenüber dem STANDARD einmal, Punkrock habe Parallelen mit Kinderliedern. Könnten Sie sich "Linoleum" als Kinderlied vorstellen?

Fat Mike: Punkrock hat meiner Meinung nach eher Ähnlichkeiten mit Folkmusic, aber wer bin ich, um einem großartigen Musiker wie Axel zu widersprechen. Bei den Lyrics gibt es jedenfalls keine Parallelen, und das ist auch gut so. (Andreas Danzer, 18.05.2023)