Erdbeeren und Nektarinen sind Luxus, der für das Gros seiner Kunden nicht mehr erschwinglich ist. Abdullah Ünal hat sie aus den Regalen seiner Supermärkte verbannt. Auch spezielle Teigwaren, Schafkäse und Oliven wurden Ladenhüter. Gekauft wird nur noch das Allernotwendigste: Mehl und Zucker etwa. Wer es kann, bäckt lieber wieder selbst.

Leidet die Vielfalt im Supermarktregal? Händler bauen ihre Eigenmarken aus, viele Konsumenten kaufen nur noch das Allernotwendigste.
Foto: Regine Hendrich

Ünal führt mit seiner Familie in Wien die Diskontkette Etsan, beliefert als Großhändler hunderte Nahversorger und produziert Fleisch. Es sind vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen und Migrationshintergrund, die sich in seinen Ethnomärkten mit Lebensmitteln versorgen. Diese galten einst als Treffpunkt der türkischen Community. Spätestens seit die hohe Inflation Einkommen beschneidet, kaufen Kunden quer durch alle Bevölkerungsschichten in den Filialen ein.

Weniger Vielfalt

Er habe das Sortiment um gut ein Fünftel reduziert, da vielen Konsumenten Ausgefalleneres schlicht zu kostspielig wurde, zieht Ünal Bilanz. Erstmals seit Bestehen der Handelskette gab Etsan heuer einen der 31 Standorte auf. Bei ein bis zwei weiteren sei der Fortbestand ungewiss.

Noch stärker sieht der gebürtige Österreicher kleine türkische Greißler und Bäckereien unter Druck. Viele kämen mit den rasant gestiegenen Fixkosten, allen voran teurer Energie, nicht länger zurande. "Uns werden beinahe schon täglich freie Geschäftslokale angeboten. Ein Sterben der Händler ist im Gange."

Wie eng es finanziell geworden ist, erlebt Ünal auch bei den eigenen Mitarbeitern. Obwohl er deutlich über Kollektivvertrag zahle, gehe vielen das Geld lange vor Monatsende aus. Sie litten unter hohen Mieten sowie Zinsen für Kredite, die während der Corona-Zeit aufgenommen wurden – und bürdeten sich Nebenjobs bis hin zum nächtlichen Taxifahren auf.

Aus seiner Sicht brauche es eine stärkere Senkung der Lohnnebenkosten gezielt für Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen, sagt Ünal. "Das ist besser, als Geld mit der Gießkanne zu verteilen."

Preise als Gratwanderung

Seine Familie habe ihre Ware nur sehr wenig verteuert. "Dennoch beschweren sich Kunden. Das ist zuvor noch nie vorgekommen." Als ein vergleichsweise kleiner Händler erhalte er jedoch vor allem bei Gemüse, Obst und Milchprodukten schlechtere Einkaufskonditionen als große Supermarktketten. "Unser Glück ist es, nicht von österreichischen Produzenten allein abhängig zu sein."

Dass sich Marktmacht eingrenzen lässt, bezweifelt Ünal. Das zeigten Erfahrungen der Türkei. Die türkische Regierung versuchte zudem, Lebensmittelpreise über Exportverbote für Agrarprodukte zu bremsen, und eröffnete staatliche Geschäfte, um Grundnahrungsmittel günstiger anzubieten. Geholfen habe es zum Teil. Für Österreich sei jedoch keine der Maßnahmen eine Option. Dafür seien große Händler längst zu groß.

In keinem anderen Land Europas gibt es pro Einwohner mehr Supermarktfläche als in Österreich. Dieses dichte Filialnetz, das finanziert und beliefert werden muss, gilt als eines der vielen Kostentreiber des Handels. An den Pranger gestellt hat die Regierung am Rande hitziger Inflationsdebatten auch Eigenmarken der Supermarktriesen, da sich diese stärker verteuerten als jene der Industrie.

Das Thema birgt Zündstoff. Denn der Anteil eigener Labels von Rewe, Spar, Hofer und Lidl macht wertmäßig bereits satte 34 Prozent der Einkäufe in Supermärkten aus. Jedes zweite bei ihnen gekaufte Produkt läuft nicht mehr unter dem Namen eines Markenherstellers.

Machtk ampf um Eigenmarken

Für den Handel liegt die in Relation größere Verteuerung der Eigenmarken auf der Hand. 70 bis 80 Prozent von deren Kosten basierten auf der Produktion – Entwicklung und Marketing spielten eine untergeordnete Rolle. Kostspieligere Rohstoffe, Verpackung und Energie schlugen stärker auf Verkaufspreise durch.

Für viele Lieferanten, die sich durch den zügigen Vormarsch der Eigenmarken unter Druck sehen, ist diese Argumentation Wasser auf ihre Mühlen. "Große Supermärkte geben damit erstmals zu, was sie stets in Abrede gestellt haben, nämlich dass sie die Industrie hemmungslos kopieren", sagt Günter Thumser, Chef des Markenartikelverbands, im Gespräch mit dem STANDARD.

Der Appetit der Lebensmittelriesen auf Private Labels, die derzeit intensiver denn je beworben werden, ist nicht neu. Zum einen wurden sie als Feuermauer gegen Diskonter geschaffen, zum anderen als Waffe gegen Industriekonzerne, deren höhere Marge Händlern stets ein Dorn im Auge war. Wer selbst oder über Partner produziert, erhält tieferen Einblick in Kalkulationen, kontrolliert Erzeugerpreise und Rezepturen.

Eigene Marken helfen dabei, sich von Rivalen zu differenzieren. Lieferanten werden austauschbarer. Und so knapp die Margen dafür im Preiseinstiegsbereich bemessen sind, so üppig sind sie bei etlichen gepflegten Marken für Bio und Veganes.

"Spielarten der Erpressung"

"Viele Innovationen gäbe es nicht ohne den Handel, der Trends vorantreibt", betont Spar-Konzernsprecherin Nicole Berkmann. Thumser spricht Supermärkten neue Ideen nicht ab. Ihm seien dennoch dutzende Fälle bekannt, in denen diese Innovatives nur listeten, wenn es als Handels label geführt werde.

Globale Markenartikler ließen sich darauf schon allein aufgrund ihrer Marktdominanz nicht ein. Für die Mehrheit österreichischer Lieferanten aber, die ihre Kapazitäten weiter auslasten müssen und die auf Präsenz in den drei größten Handelskonzernen hierzulande angewiesen sind, führe daran kein Weg vorbei – meist zulasten ihrer eigenen Marken. "Und wer einmal mit Handelsmarken anfängt, wird erpressbar."

Thumser kennt viele Spielarten der Machtausübung: Lieferanten etwa, die es mit neuen Produkten in die Regale schafften, würden dort von Private Labels gleich einmal um 60 Prozent unterboten. "Im bösesten Fall kupfert der Handel Ideen ab und lässt sie anderswo erzeugen." (Verena Kainrath, 13.5.2023)