Der Weg zum Ziel ist klar: Selbstbewusst zur Fotowand mit den Sponsoren-Logos schreiten. Noch selbstbewusster posieren. Schon ist Aufmerksamkeit erweckt – jene der Fotografen genauso wie die anderer Gäste. Mehr oder weniger prominent zu sein hilft. Das Haar bunt gefärbt zu haben, Dekolleté zu zeigen, eine Uniform auszuführen, alternativ auch.

Die Ausläufer eines Freitags im Mai, 5th Avenue, am südöstlichen Rand des Central Parks. Hier, mitten in Manhattan, formiert sich eine ganz eigene Version eines ureigenen Teils von Wien: des Opernballs. Seine New Yorker Ausgabe findet an diesem Abend zum 67. Mal statt.

Weltweit gibt es 35 bis 40 Opernball-Klone dieser Art: in Stanford, Mailand, London, Berlin zum Beispiel. Der Viennese Opera Ball, wie das New Yorker Event offiziell heißt, gilt als einer ältesten und prestigeträchtigsten. Mittlerweile hat er sogar zwei Mal öfter stattgefunden als das Original – der Grund dafür sind häufigere Ausfälle in Wien, etwa wegen Corona. Und er ist jener mit der authentischsten Kleiderordnung: Nur in New York herrscht für Herren Frack-Zwang.

Gleich ist da wie dort das Motto: Sehen und gesehen werden. Der entscheidende Schauplatz dafür ist in der Wiener Staatsoper die Feststiege. In New York ist es der schummrige Terrace Room des berühmten Plaza – seines Zeichens Luxushotel, Wahrzeichen und Kulisse für Filme wie Kevin allein in New York und The Great Gatsby.

Daniel Serafin, künstlerischer Leiter des Wiener Opernballs in New York und Veranstalterin Silvia Frieser.
Foto: Stefan Joham

Unter schweren Lustern und bemalten Decken trinkt die Wiener und New Yorker Kultur-, Polit-, Tourismus- und Seitenblicke-Szene Sprudel, winkt, lässt sich ablichten. Milliardärin Ingrid Flick ist da; ebenso Harald und Inge Serafin mit Sohn Daniel, der den Ball künstlerisch leitet. Traditionell ist das Waldorf Astoria in der Park Avenue das Stammquartier des Balls. Weil das Art-Deco-Gebäude wegen Umbauarbeiten seit 2017 geschlossen hat, ist der Ball nun auf Wanderschaft durch New Yorker Luxushotels.

Als die Scheinwerfer zu blinken beginnen, tönt es: aus den Lautsprechern "Please Ladies and Gentlemen, may I ask you to the third floor". Jetzt geht es richtig los.

Wiens Image als Ballhauptstadt

Im Ballsaal wird schließlich der deutlichste Unterschied zu Wien sichtbar: Der Raum ist großzügig mit runden Tischen bestückt, die Tanzfläche eher klein. Der erste Gang, Baby-Kale-Salat mit Quinoa, ist angerichtet, noch bevor die Fächerpolonaise erklingt. Ball, bedeutet in New York offenbar mehr Dinner-Party als Tanzabend.

Der erste Gang, Baby-Kale-Salat mit Quinoa, ist angerichtet, noch bevor die Fächerpolonaise erklingt.
Foto: Stefanie Rachbauer

Das ist bereits im Ticket-System angelegt: Ballkarten sind fast ausschließlich mit Sitzplatz zu haben. Die teuerste Tisch-Variante für zehn Personen kostet 25.000 Dollar, das günstigste Einzelticket mit Sitzplatz 650 Dollar. 350 Tickets wurden diesmal verkauft, beim Wiener Opernball sind es jedes Jahr rund 5.000.

Für Norbert Kettner, Chef der städtischen Tourismus-Organisation Wien Tourismus, haben beide Ball-Typen ihren Reiz: "Die Frage nach dem Original stellt sich für mich nicht. Ein Ball ist ein lebendiger Organismus. Jeder Veranstalter hat sein eigenes Bild von einem Ball, das ist in Wien ja auch so."

Wirtschaftstadtrat Peter Hanke (SPÖ) mit Gattin Sabine und Wien-Tourismus-Chef Norbert Kettner.
Foto: Stefan Joham

Kettner sieht die internationalen Geschwister des Opernballs als Beitrag, um Wien als Ballhauptstadt zu positionieren. Und zwar als einen, der nicht von der Politik oder vom Tourismus kommt, sondern von der lokalen Bevölkerung mit Verbindungen zu Wien. Der Viennese Opera Ball etwa wurde von Österreicherinnen und Österreichern initiiert, die in die USA ausgewandert sind. Bei anderen Opernbällen im Ausland waren aus Wien heimkehrende Studenten die treibende Kraft.

Hanke: "Ball ist Einladung nach Wien"

Debütantinnen, die mit weißen Kleidern und Tiara an der Seite von Jungherren in Frack und Handschuhen einziehen, dazu vor Stolz platzende Eltern: All das gehört auch zum Viennese Opera Ball dazu. Allerdings in kleinerem Maßstab: Statt der zuletzt 144 Paare in Wien sind es in New York lediglich 17. Die Zulassungskriterien dürften in New York etwas weniger streng sein als in Wien: Eine Debütantin hat ein Tattoo am Rücken – in der Bundeshauptstadt ein No-Go.

17 Debütantinnen- und Debütantenpaare eröffneten den Ball in New York, in Wien waren es zuletzt 144.
Foto: Stefan Joham

Bei Einzug geht alles glatt. Dann folgen die berühmten zwei Worte: "Alles Walzer!". Auf das Publikum haben sie allerdings fast keine Wirkung: Nur wenige Paare erheben sich, um den ersten Walzer mitzutanzen. Ein nahezu paradiesischer Zustand im Vergleich zum Gedränge und Geschubse in Wien. Unter den Tanzenden: Der Wiener Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ), der mit einer Delegation angereist und hier zum ersten Mal offizieller Vertreter der Stadt ist. Von Ambiente und Eröffnung zeigt er sich angetan: "Großartig. Der Viennese Opera Ball ist eine Visitenkarte für Österreich und eine Einladung nach Wien."

Einen Politiker oder eine Politikerin zu Wiener Opernbällen im Ausland zu schicken, ist nur eine Form der Unterstützung der Stadt für derartige Veranstaltungen. Zur Verfügung gestellt werden auch Damenspenden und Geld – 2.000 bis 4.000 Euro pro Ball.

Turnschuhe statt Stöckelschuhe

Auch aus der Rathaus-Opposition sind Vertreter da: Stadtrat und Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp mit Klubobmann Maximilian Krauss. Die beiden hätten in New York unter anderem republikanische Abgeordnete getroffen, am Ball seien sie privat, sagt Nepp.

Zu etwas späterer Stunde fühlt sich der New Yorker Opernball wie ein richtiger Ball an: Es wird getanzt, die Stimmung ist ausgelassen.
Foto: Stefanie Rachbauer

Ein politisches Statement wird an dem Tisch dennoch gesetzt: Als bei der Eröffnung US-Hymne und österreichische Bundeshymne erklingt, steht Nepp, wie es Usus ist, auf. Bei der folgenden Europahymne lässt er sich nieder. Warum? "Nationalhymnen sind wichtig, da hat man zu stehen", sagt Nepp knapp.

Je später die Stunde, desto voller wird die Tanzfläche – und desto gelöster die Stimmung. Zwischendurch gibt es Gesang aus der Oper Carmen und eine Auktion: Unter anderem eine Sachertorte wird für den guten Zweck um 500 Dollar versteigert. Nach der Mitternachtsquadrille wird der Abend in den Terrace Room zurückverlegt, dort legt nun ein DJ auf. Wer auf den Boden schaut bemerkt: Einige Debütantinnen haben die Pumps gegen Turnschuhen getauscht, um weitertanzen zu können.

Und noch etwas fällt auf. Der Raum ist von einem unverkennbaren Geruch durchzogen: Dem selchigen Duft von Käsekrainern und Frankfurtern. Auch in New York ist klar: Ein Ball endet eben erst mit dem Schaulaufen beim Würstler. (Stefanie Rachbauer aus New York, 15.5.2023)