Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa in Erklärungsnot.

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Südafrika hatte vergangene Woche gute Gründe zum Feiern. Nelson Mandelas Amtsantritt jährte sich: ein Tag, an dem Millionen von Bürgerinnen und Bürgern des Landes einst Tränen der Freude vergossen. Auch 29 Jahre später weinen die Kapbewohner wieder. Heute allerdings Tränen der Wut und Verzweiflung.

Das Kap der sinkenden Hoffnung tauchte in der vergangenen Woche in neue Tiefen ab. Ein möglicher Totalkollaps des Stromnetzes deutet sich an, die Wirtschaft stürzt ab, Mandelas Organisation, der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC), stolpert von einem Skandal in den anderen. Zu allem Überfluss wird schließlich noch bekannt, dass aus Südafrika Waffen an das kriegführende Russland geliefert wurden. "Nie wieder wird dieses wunderschöne Land das Stinktier der Welt sein", hatte Mandela in seiner Inaugurationsrede versprochen. Nun scheint es doch wieder so weit zu sein.

Am verheerendsten wirkt sich die Stromkrise aus. 14 Jahren nach Beginn der Flaute muss in Südafrika immer öfters am Tag die Elektrizität abgestellt werden, um den Kollaps des Netzes zu vermeiden. Das vernichtet rund zwei Prozent des Wirtschaftswachstums, das auch in diesem Jahr höchstens knapp über dem Nullpunkt liegen wird.

Ausgeplünderte Staatskonzerne

Trotzdem stellt sich Energieminister Gwede Mantashe beharrlich der vernünftigsten Lösung des Problems, nämlich einer mit geballten Investitionen in erneuerbare Energien, in den Weg. Mit Sonne und Wind ist das Land fast wie kein anderes gesegnet. Mantashes Sturheit wird eigentlich nur verständlich, wenn ihm und einzelnen Parteigenossen ein persönlicher Nutzen am Stromnotstand unterstellt wird – ein Vorwurf, den André de Ruiter, der geschasste Chef des staatlichen Stromkonzerns Eskom, in seinem jetzt erschienen Buch der Abrechnung erhebt. Es seien mit der Regierungspartei vernetzte Verbrechersyndikate, die Eskom in den Ruin treiben, schreibt de Ruiter.

Präsident Cyril Ramaphosa hatte bei seinem Amtsantritt im Februar 2018 versprochen, mit den Machenschaften seines Vorgängers Jacob Zuma Schluss zu machen, der den Staat als Selbstbedienungsladen behandelt hatte. Südafrika atmete auf: Wenn überhaupt jemandem, dann wurde dem ehemaligen Gewerkschaftsführer, den sich schon Nelson Mandela als Nachfolger gewünscht hatte, eine Radikalkur des bis auf die Knochen korrupten ANC zugetraut.

Fünf Jahre später hat sich herausgestellt, dass der inzwischen 70-jährige Präsident zu schwach oder seine Partei schon zu verrottet ist. Noch immer sitzt Jacob Zuma nicht im Gefängnis, werden die Staatskonzerne ausgeplündert und müssen unfähige oder unwillige Amtsinhaber mit keinen Konsequenzen rechnen. Nur dass inzwischen auch Ramaphosa selbst in einen Skandal verwickelt ist: In seinem privaten Wildgehege wurden tausende aus dem Büffel-Verkauf stammende Dollarscheine offenbar an der Staatsbank und dem Fiskus vorbei in einem Sofa versteckt. Auch ein Jahr nach seinem Bekanntwerden hatte der Skandals keine Konsequenzen. Eine Tatsache, die selbst der ehemalige ANC-Präsident Thabo Mbeki für unerträglich hält.

Entzauberung des Saubermanns

Sein politisches Überleben verdankt Ramaphosa dem erwähnten Gwede Mantashe. Der Vorsitzende der Regierungspartei rammte Ramaphosa gegen alle Kritik durch den ANC-Parteitag im Dezember. Der nebenamtliche Büffelzüchter wurde erneut zum ANC-Präsidenten gewählt – und Mantashe trotz seiner katastrophalen Energiepolitik zum "untouchable" im Kabinett. Um dessen verhängnisvollen Einfluss zu mindern, stellte ihm Ramaphosa jüngst einen zweiten Energieminister zur Seite. Nun ist die Verwirrung perfekt. Die Hoffnung der Bevölkerung in den angeblichen Saubermann des ANC ist der Verzweiflung gewichen. Ramaphosa wird inzwischen das Rückgrat eines Regenwurms nachgesagt.

Der tiefste Grund für das Versagen der Regierungspartei wird in deren Politik des "cadre deployment" ausgemacht – der Besetzung öffentlicher Ämter durch die Partei. Diese Praxis hatte schon Richter Raymond Zondo scharf verurteilt, nachdem er als Vorsitzender einer Untersuchungskommission Zumas "state capture" nachgegangen war, der Inanspruchnahme des Staats zur persönlichen Bereicherung einer politischen Clique. Obwohl sich Ramaphosa verpflichtete, die Empfehlungen der Zondo-Kommission umzusetzen, wagte er sich auch nicht an dieses heiße Eisen.

Steilvorlage für Rassisten

Südafrikas eingefleischte Rassisten sehen sich in ihrer Voraussicht bestätigt, dass der einst – zumindest für die weiße Minderheit – gut regierte Staat mit der Machtübernahme des ANC in den Schlamm gefahren wird. Derzeit befindet sich alles im Niedergang, außer der Kriminalitätsrate und der Inflation. Neben der Stromversorgung leidet die Infrastruktur – mit immer größeren Schlaglöchern in den Straßen und einem zerstörten Schienennetz. Das öffentliche Gesundheitswesen befindet sich im freien Fall: In Sowetos Baragwanath-Hospital, dem größten Krankenhaus der südlichen Erdhalbkugel, starben in den vergangenen drei Jahren mehr als 900 Kinder, die unter "normalen" Umständen nicht hätten sterben müssen.

Offensichtlich ist der einst ehrenwerten Befreiungsbewegung Nelson Mandelas das Gewissen abhandengekommen. Kürzlich kündigte Ramaphosa das Ausscheren seines Landes aus dem Internationalen Strafgerichtshof in den Haag an, um die Einladung Putins zum Brics-Gipfel im August aufrechterhalten zu können: Der in Den Haag Angeklagte müsste sonst sofort verhaftet werden. Kurz später wird bekannt, dass aus Südafrika Waffen nach Russland geliefert wurden, wo sowohl die Menschenrechte (wie damals im Apartheidstaat) als auch das internationale Recht mit Stiefeln getreten werden. Der Waffenhandel könnte Südafrika teuer zu stehen kommen – sollte Washington dem zum Schurkenstaat mutierten Regenbogenstaat die Handelserleichterungen entziehen. Ob der Schaden, den der ANC für Südafrikas Bevölkerung anrichtet, noch zu beziffern ist? (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 15.5.2023)