Mit Blick auf die Pisa-Studien sind die Ergebnisse für Schülerinnen und Schüler ohne Behinderung bestenfalls im Mittelfeld, für Kinder mit einer Beeinträchtigung unzureichend.

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Angekündigt wurde sein Besuch in einem formalen Brief. Dieser informierte uns, dass der Amtsarzt an einem Wochentag zwischen 14 und 18 Uhr Ende April bei uns erscheinen würde, um zu überprüfen, ob unser Kind noch eine Behinderung habe.

Bereits diese Ankündigung fanden wir merkwürdig, da uns bekannt ist, dass eine Autismus-Spektrum-Störung nicht einfach verschwindet. Während des Gesprächs mit dem Amtsarzt in unserem Wohnzimmer hatten wir den Eindruck, dass er mit der Diagnose Autismus nicht wirklich vertraut war. Auch eine Freundin von uns, deren Kind das Down-Syndrom hat, erhält alle paar Jahre solche Besuche. Der Staat kommt zur Kontrolle vorbei, aber ansonsten fühlen sich Eltern mit einem Kind mit geistiger Beeinträchtigung oft alleingelassen.

"Stellen Sie sich vor, Ihr Kind ist 14 Jahre alt, und dann heißt es: Das war’s."

Besonders herausfordernd ist die Zeit nach der Pflichtschule. Wie andere Kinder im Autismus-Spektrum hat auch unser Kind im kommenden Herbst kein Anrecht mehr auf schulische Assistenz. Seine Lehrerinnen sind der Meinung, dass es unbedingt die Matura machen sollte. Das Lernen fällt ihm sehr leicht, aber zu viel soziale Interaktion verursacht Stress. Hier benötigt es Unterstützung. Wir wissen nicht, ob im Herbst der Übergang in die Oberstufe gelingen wird. Eine Bekannte musste für ihren autistischen Sohn, der nun Mitte 20 ist, um eine Frühpension kämpfen, da sie keine andere Lösung sah. In der Oberstufe fehlte die notwendige Unterstützung für einen inklusiven Unterricht. Für eine Lehre war er motorisch nicht geeignet. Letztendlich konnte er keine Ausbildung abschließen.

Stellen Sie sich vor, Ihr Kind ist 14 Jahre alt, und dann heißt es: Das war’s. Mit Wollen, Wissen und Unterstützung wäre die Vorbereitung auf ein eigenständiges Leben möglich. Unser Staat kann es sich anscheinend leisten, Jugendliche aus dem Bildungssystem in die Abhängigkeit des Sozialsystems zu entlassen. Dabei sprechen wir von jungen Menschen im Autismus-Spektrum, mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche die kognitiven Voraussetzungen für eine weiterführende Schule erfüllen.

Recht auf persönliche Assistenz

Unser Bildungssystem gehört zu den teuersten in Europa, und gemessen an der Landesgröße haben wir einen riesigen Verwaltungsapparat. Mit Blick auf die Pisa-Studien sind die Ergebnisse für Schülerinnen und Schüler ohne Behinderung bestenfalls im Mittelfeld, für Kinder mit einer Beeinträchtigung unzureichend. Aber hier kommt die gute Nachricht: Wir lassen uns das nicht länger gefallen.

In den vergangenen Monaten mobilisierte eine Initiative von Eltern die Zivilgesellschaft, um auf den diskriminierenden Ausschluss von Kindern mit Behinderung aus dem Schulsystem aufmerksam zu machen. Unterstützt vom Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern wurde die Republik vor Gericht gebracht. Das Urteil war eindeutig: Alle Kinder und Jugendlichen haben ein Recht auf Bildung und Selbstbestimmung. Das Unterrichtsministerium muss nun auf den richterlichen Beschluss reagieren und Kindern mit Autismus auch in der Oberstufe von AHS und BHS eine persönliche Assistenz ermöglichen. Das ist ein wichtiger Erfolg! Vielleicht geht der nächste Schritt in Richtung Gleichstellung dann ohne Gerichtsverfahren? (Philippe Narval, 15.5.2023)