Palästinenser suchen bei ihren zerstörten Häusern im Gazastreifen nach Habseligkeiten.

Foto: Reuters / Ibraheem Abu Mustafa

Insgesamt 35 Tote, 1469 auf Israel abgefeuerte Raketen und eine verschärfte humanitäre Krise in Gaza: Das ist die Bilanz nach fünf Tagen Eskalation zwischen Gaza und Israel. Nachdem mit ägyptischer Vermittlung eine Waffenruhe vereinbart worden war, blieb es am Sonntag erst einmal ruhig. Die Grenzübergänge öffneten sich wieder, tausende Arbeiter aus dem Gazastreifen kehrten zu ihren Jobs in Israel zurück.

Endlich konnten wieder Treibstoff, Lebensmittel, Tierfutter und Medikamente in den Gazastreifen gebracht werden. Am ist Israel allerdings nach eigenen Angaben aus dem Gazastreifen angegriffen worden, Warnsirenen ertönten. Anrainer in Ashkelon und Umgebung hörten Explosionen, wie israelische Medien berichteten. Militante palästinensische Gruppen erklärten, der Raketenbeschuss sei ein "technischer Fehler" gewesen.

Laut UN-Agentur OCHA wurden im Gazastreifen rund 950 Menschen aufgrund der israelischen Luftangriffe vorübergehend wohnungslos, weil ihre Häuser beschädigt oder einsturzgefährdet sind. In den grenznahen Gebieten im Süden Israels litten die Menschen unter der schweren psychischen Belastung infolge des tage- und nächtelangen Raketenalarms.

Kritischer Termin

Nun läuft der Countdown bis zur nächsten Runde. Kaum jemand rechnete damit, dass die Ruhe lange anhält. "Schon in ein paar Tagen könnte es von neuem losgehen", meint Victor Ben David, ehemaliger Chefkoordinator im Inlandsgemeindienst Shin Bet.

Ein kritischer Termin ist der kommende Donnerstag: An diesem Tag marschieren in Jerusalem hunderte Israelis zur sogenannten "Flaggenparade", um der "Vereinigung Jerusalems" im Sechstagekrieg 1967 zu gedenken – also der Eroberung Ostjerusalems durch die israelischen Streitkräfte.

Seit die im Gazastreifen de facto regierende Hamas vor zwei Jahren anlässlich des Flaggenmarschs Raketen Richtung Jerusalem abgefeuert hat, gilt an diesem Tag besondere Alarmbereitschaft. In Social-Media-Postings hat der Palästinensische Islamische Jihad (PIJ) bereits angedroht, auch dieses Jahr wieder Raketen abzufeuern. "Wir müssen damit rechnen, dass sie es auch tun", sagt Ben David.

Lob vom Regierungschef

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spricht dennoch von einem großen Erfolg. In der Kabinettssitzung Sonntagvormittag lobte er Armee und Geheimdienste für ihre effiziente Koordination bei der gezielten Tötung von sechs Kommandanten des Palästinensischen Islamischen Jihad: "Die Ausführung war perfekt", sagte er. "Well done."

Israelische Militärexperten halten das zwar für einen taktischen Erfolg, sehen Israel aber in einer strategischen Krise: Jeder Verlust in der Führungsstruktur des Islamischen Jihad schwäche die Terrorgruppe zwar vorübergehend, sei aber mittelfristig dank iranischer Unterstützung schnell wieder ausgeglichen. Ähnliches gilt für Materialverluste.

Immerhin konnte diesmal verhindert werden, dass sich die Hamas in den Konflikt einschaltet. Ob das aber auch für ein mögliches Neuaufflammen des Konflikts am kommenden Donnerstag gelten wird, ist ungewiss. Seit drei Jahren verfolgt die Hamas – und in ihrem Windschatten auch der PIJ – eine neue Strategie, die israelische Militäranalysten "ein Verknüpfen der Kampfzonen" nennen: Vermeintliche Provokationen seitens Israels – wie etwa ein Flaggenmarsch durch Ostjerusalem – werden dann durch Raketenbeschuss von Gaza aus oder durch gesteuerte Terrorattentate auf israelische Ziele "beantwortet". (Maria Sterkl aus Jerusalem, 14.5.2023)