Lange habe er "das Projekt" "nicht so ernst genommen", sagt Julian Hessenthaler. "Das Projekt", das ist das Ibiza-Video. Der Ausgangspunkt einer Affäre, die das politische System in Österreich tief erschütterte und deren Auswirkungen bis heute spürbar sind.

Ein befreundeter Anwalt war auf ihn zugekommen, hatte ihm Bilder gezeigt, die offenbar vom Bodyguard des damaligen FPÖ-Chefs und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache stammten, erzählt Hessenthaler. Sie zeigten unter anderem viel Geld – in Geld- und Sporttaschen. Erst als der Anwalt bereit gewesen sei, Geld in die Hand zu nehmen, um der Sache auf den Grund zu gehen, habe er die Angelegenheit dann "professionell betrachtet", räumt Hessenthaler ein. Das hieß damals: aus der Sicht eines privaten Ermittlers.

Erster Live-Podcast von "Inside Austria" wurde gut angenommen

Hessenthaler war am Sonntag im Rahmen des zweiten Innsbrucker Journalismusfests zu Gast bei der ersten Live-Aufzeichnung von "Inside Austria" – dem gemeinsamen Podcast von STANDARD und SPIEGEL über die politischen Abgründe Österreichs. Hunderte Menschen waren gekommen, kein einziger Platz blieb frei im Leopoldsaal in der Theologie der Universität Innsbruck. Viele mussten abgewiesen werden, die Schlange war lang, reichte bis über die Kehre ins Stiegenhaus.

Interviewt wurde der ehemalige Privatdetektiv und Ibiza-Drahtzieher von STANDARD-Redakteurin Antonia Rauth und Lucia Heisterkamp vom SPIEGEL, deren Stimmen der Hörerinnenschaft bekannt sind. Für die politische Einordnung holten sich die beiden Redakteurinnen den stellvertretenden Chefredakteur des STANDARD, Rainer Schüller, aufs Podium.

In Innsbruck wurde Ibiza-Drahtzieher Julian Hessenthaler mit Applaus begrüßt.
Foto: Tobias Steinmaurer, APA

Rückblende: Ein Abend im Jahr 2017, nur wenige Monate bevor in Österreich der Nationalrat neu gewählt wurde. Hessenthaler lädt den ehemaligen FPÖ-Chef und damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache und seinen politischen Ziehsohn Johann Gudenus in eine Finca in Ibiza. Im Beisein Hessenthalers und einer falschen Oligarchennichte schwadronieren die beiden dort unter anderem darüber, wie sie gewinnbringende öffentliche Aufträge an jene vergeben könnten, die durch den Kauf von Medien für einen Wahlerfolg sorgen würden. Und sie sprechen darüber, Spenden an der Kontrolle des Rechnungshofs vorbei an die Partei zu schleusen. Was die beiden nicht wussten: Sie wurden dabei von Hessenthaler aufgezeichnet.

Vier Jahre nach Veröffentlichung des Videos mit Applaus begrüßt

Am 17. Mai 2019 um 18.00 Uhr veröffentlichen der SPIEGEL und die "Süddeutsche Zeitung" Ausschnitte ebenjenen insgesamt siebenstündigen Videos. Vier Jahre später sitzt Hessenthaler in Innsbruck, wird dort mit tosendem Applaus begrüßt.

Seine Schilderungen zeigen: Vieles musste er dem Zufall überlassen. "Es gab keine Proben, keinen Regieplan." Die Oligarchennichte – eine gute Bekannte – habe ihre Rolle exzellent ausgeführt. "Wenige" hätten den "Mut, die Eloquenz und die (emotionale) Intelligenz" besessen, dies so zu meistern. Auf die Frage, was er denn gemacht hätte, wenn seine Aktion aufgeflogen wäre, sagt Hessenthaler nach einer kleinen Nachdenkpause: "Ich hätte ihn rausgeschmissen" – mit Verweis auf das Hausrecht. Das Kamerasystem, das er installiert hatte, sei jedenfalls "eher unauffällig" gewesen.

Das "Hauptproblem" vor Ort sei gewesen, teuren Alkohol einzukaufen. Außerdem habe man einen Bericht der Worldbank über Trinkwasserversorgung ausdrucken wollen, erzählt Hessenthaler. Doch Copyshops gebe es auf Ibiza wenige, und auch die seien nicht für 350 Seiten starke Druckaufträge gerüstet.

Wein, Wodka, Champagner – Strache sprach von einer "b'soffenen G'schicht" ...

Draußen auf der Terrasse habe er edlen Weißwein serviert, zum Abendessen habe es teures Sushi gegeben, dazu Champagner und mehr Wein, danach Wodka – und noch mehr Wein. Strache bezeichnete die Vorfälle in der Finca später verharmlosend als "b’soffene G’schicht". Strache, der "Haider-Erbe", habe es im Zeitraum 2015–2017 geschafft, die Partei wieder zu einen, und sie auf eine Flughöhe von rund 35 Prozent gehoben, beschreibt Schüller. Selbstbewusst sei Strache damals gewesen, als er das "Duell um Wien" ausrief und konsequent einen "gezielt ausländerfeindlichen Kurs" verfolgte.

... doch: "So besoffen kann kein Mensch sein"

Den 17. Mai verbucht Schüller als turbulent. Kollege Conrad Seidl, auch bekannt als der "Bierpapst", hatte mit einem Kommentar die erste Einordnung des STANDARD geliefert. Der Titel: "So besoffen kann kein Mensch sein".

Hessenthaler ist überzeugt: Er wurde für das Video bestraft

Die Ermittlungen zu den Hintermännern des Ibiza-Videos führten schließlich zu einer Verurteilung Hessenthalers. Allerdings nicht wegen des Videos, sondern wegen angeblichen Drogenhandels. Dafür saß Hessenthaler 28 Monate im Gefängnis. Seit Februar diesen Jahres ist er wieder ein freier Mann. Gegen die Verurteilung will Hessenthaler vorgehen, er hat seine Unschuld stets vehement betont und ist überzeugt: Er wurde für das Ibiza-Video bestraft. Nun zieht er vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Unter den Insassen war er – ganz unabhängig von politischen Vorlieben – beliebt gewesen, erzählt er in Innsbruck: "Gegen den Staat zu sein scheint immer gut anzukommen."

Hinter den Kulissen von "Inside Austria"

Vor der Liveaufzeichnung legten Zsolt Wilhelm, Chef vom Dienst Audio des STANDARD, und Sandra Sperber vom SPIEGEL das Fundament für das Gespräch. Der Podcast "Inside Austria" entsprang sozusagen ihren Federn, nachdem die Partnerschaft zwischen den beiden Medienhäusern im Jahr 2021 vereinbart worden war. Es sei "etwas in der Luft" gelegen, damals. Im September kursieren Gerüchte über bevorstehende Hausdurchsuchungen. Und tatsächlich: Während die beiden Redaktionen an der ersten gemeinsamen Podcast-Serie arbeiten, zerbröckelt das türkise Regime.

Foto: STANDARD

Am 16. September – eine Woche nachdem Sebastian Kurz seinen Rücktritt als Bundeskanzler bekanntgab, erscheint die erste Folge "Inside Austria" über Kurz' "Aufstieg und Fall". Dafür interessierte sich offenbar auch das deutsche Publikum. Für den SPIEGEL sei es der bis dahin erfolgreichste Podcast-Start gewesen, berichtet Sperber. Besonders sei die Arbeit an der Podcast-Serie über Sebastian Kurz vor allem deshalb gewesen, weil sich die Geschichte während der Recherche erst richtig entwickelt habe, erzählt Wilhelm den Anwesenden.

Im Rahmen des Journalismusfests gewährten die beiden auch einen Blick hinter die Kulissen. Schon früh habe man sich über die Musik den Kopf zerbrochen, verrät Wilhelm. "Spannung, Tragweite, Drama und Melancholie" sollte sie widerspiegeln, außerdem auch die bekannten Podcast-Melodien des STANDARD und SPIEGEL beinhalten.

Wie viel Arbeit hinter einer Folge steckt, ließ sich erahnen, als Wilhelm und Sperber ihren "Stundenplan" teilten: Von der Planung einer Folge über die Interviews mit Kolleginnen und Wegbegleitern und dem Skriptschreiben bis hin zur Aufnahme und Produktion flossen Woche für Woche 80 bis 100 Arbeitsstunden in jede Folge. An diesem "Stundenplan" und dem Erscheinungstermin jeden Samstagmorgen habe sich bis heute nichts geändert.

Nach der Serie zu Sebastian Kurz wurde "Inside Austria" auf breitere Beine gestellt, die Partnerschaft von SPIEGEL und STANDARD gefestigt. Nacheinander wurden Lucia Heisterkamp und dann Antonia Rauth ins Team geholt, um viele weitere politische Affären zu rekonstruieren und aus dem jeweiligen Blickwinkel beider Länder zu erklären, was Österreich bewegt.

Vom Publikum gefragt, wie korrupt die aktuelle FPÖ-Spitze seiner Meinung nach sei, verwies Hessenthaler übrigens auf die kommenden Podcast-Folgen von "Inside Austria": "Machen Sie sich selbst ein Bild." (Maria Retter, 15.5.2023)