Die Osttiroler Gemeinde Matrei steht knapp vor dem Konkurs. Derzeit verhandeln Gläubiger und das Land über eine Lösung.
Foto: APA / EXPA / Johann Groder

Die finanziellen Schwierigkeiten der Osttiroler Gemeinde Matrei haben jüngst die Möglichkeit eines Insolvenzverfahrens über Gemeinden in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit treten lassen. Rechtlich ist dies möglich; eine Verpflichtung des Bundeslandes, für die Verbindlichkeiten der Gemeinde einzustehen, besteht nicht.

Praktische Erfahrungen fehlen allerdings weitgehend. Lediglich in den 1930er-Jahren gab es nach der Wirtschaftskrise einige Gemeindeinsolvenzen. Diese endeten mit dem Abschluss eines Zwangsausgleichs (heute: Sanierungsplans), in dem sich die Gemeinden verpflichteten, einen Teil ihrer Verbindlichkeiten über einen sehr langen Zeitraum, etwa 40 bis 50 Jahre, abzustatten.

Verwertung des Vermögens

Zur Insolvenzeröffnung kommt es dann, wenn die Gemeinde zahlungsunfähig ist und ein Gläubiger oder die Gemeinde dies selbst beantragen. Es genügt der Antrag eines einzigen Gläubigers; zuständig ist das Landesgericht.

Traditionell zielt das Insolvenzverfahren auf Verwertung des Vermögens des Schuldners. Bei Gemeinden ist dies aber nur eingeschränkt möglich: Vermögenswerte, die die Gemeinde für die Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben benötigt, sind nicht exekutions- und insolvenzunterworfen und fallen daher nicht in die Insolvenzmasse. Der Kindergarten wird daher beispielsweise meist bleiben können.

Sanierung oder Notbetrieb

Das Gesetz weist die Entscheidung über die Frage, welche Vermögenswerte im öffentlichen Interesse nicht gepfändet werden dürfen, den "staatlichen Verwaltungsbehörden" zu. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs sind das die Bezirksverwaltungsbehörden, die in Tirol zudem auch für die meisten Agenden der Gemeindeaufsicht zuständig sind. Darüber, was für die Gläubiger "übrig bleibt", lässt sich streiten. Hier wären nähere gesetzliche Regelungen wünschenswert.

Der Schwerpunkt des Verfahrens verschiebt sich damit auf den Abschluss eines sogenannten Sanierungsplans: Die Gemeinde unterbreitet einen Vorschlag, in dem sie sich verpflichtet, zumindest 20 Prozent ihrer Verbindlichkeiten in zwei Jahren zurückzuzahlen. Für die Annahme dieses Vorschlags genügt es, wenn mehr als die Hälfte der Gläubiger zustimmen. Gerade darin liegt ein entscheidender Vorteil des Insolvenzverfahrens: Es bietet eine "Plattform" für eine Verhandlungslösung mit den Gläubigern, wobei jedoch statt des Einstimmigkeits- das Mehrheitsprinzip gilt, sodass einzelne Gläubiger einen Sanierungsplan nicht blockieren können.

Der Sanierungsplan

Lösungen wie seinerzeit in den 1930er-Jahren, dass die Gemeinde 50 Jahre lang einen Teil ihrer Verbindlichkeiten abstottert, wären heute nicht mehr möglich: Die maximale Zahlungsfrist sind zwei Jahre. Die von der Gemeinde angebotene Quote (im Gespräch sind derzeit dem Vernehmen nach 80 Prozent) muss natürlich für die Gläubiger attraktiv genug sein. Letztlich ist für die Annahme eines Sanierungsplans daher entscheidend, wie die Gläubiger die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gemeinde einschätzen.

Wenn kein Sanierungsplan gelingt, würde die Gemeinde auf Jahrzehnte ihre Gestaltungsmöglichkeiten verlieren und wäre auf eine Art Notbetrieb beschränkt.

Große Bedeutung kommt schon im Vorfeld der Gemeindeaufsicht zu. Zuständig sind hier je nach Bundesland die Bezirkshauptmannschaften oder die Landesregierung. Der Gemeindeaufsicht kommen weitreichende Befugnisse zu, die bis zur Absetzung des Gemeinderats und Bürgermeisters und zur Bestellung eines Amtsverwalters reichen. Auch außertourliche Mittelzuweisungen – sogenannte Bedarfszuweisungen – oder Auflagen sind möglich. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass eine Sanierung oft nur mit einem staatlich eingesetzten Verwalter, nicht mit den bisherigen (gewählten) Amtsträgern möglich ist.

Droht ein Dominoeffekt?

Wie sich die Insolvenz einer Gemeinde auf andere Gemeinden auswirken würde, ob also eine Art Dominoeffekt zu befürchten ist, ist schwer zu beurteilen. Dies ist eher nicht zu erwarten; rechtlich ist jedenfalls die Situation jeder Gemeinde individuell zu prüfen. Eine andere Frage ist, ob sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über eine Gemeinde auf die Finanzierungskonditionen anderer Gemeinden auswirkt. Jedenfalls könnte es zu einer erhöhten Bewusstseinsbildung kommen, sodass alle Beteiligten, Gemeinden, Gläubiger und die Aufsicht die Gefahr einer Insolvenz stärker mitbedenken.

Erfahrungen aus den USA zeigen aber, dass die Insolvenzeröffnung über eine Gemeinde – anders als man erwarten würde – auf längere Sicht nicht zu einer Verteuerung der Finanzierung für andere Gemeinden führt. So haben sich dort die Zinsen für Gemeindeanleihen nach der Insolvenz von Detroit mit immerhin circa zwölf Milliarden US-Dollar Verbindlichkeiten nach rund zwei Jahren auf das vorherige Niveau eingependelt. Letztlich ist hier immer entscheidend, wie die Gläubiger die Schuldentragungsfähigkeit der Gemeinden – und damit deren Verlässlichkeit – für die Zukunft einschätzen. (Georg Kodek, 15.5.2023)