Entflieht man dem Lärm des Erdbodens nach oben, erreicht man in zwei Dutzend Kilometern eine Region angenehmer Ruhe: kaum Stürme oder Turbulenzen, wenig Wolken, praktisch kein Flugverkehr. Doch selbst an diesen scheinbar stillen Ort in der Stratosphäre gelangen die Ausläufer des Getöses weiter unten: Ein Forschungsteam hat mithilfe von Höhenballons in das fortwährende Gebrumme hineingelauscht und dabei auch Geräusche herausgefiltert, deren Ursprung es sich nicht erklären kann.

Trocken, ruhig und verhältnismäßig warm

Die Stratosphäre beginnt an den Polen in acht Kilometern Höhe, am Äquator sind es 18 Kilometer, und reicht bis in eine Höhe von rund 50 Kilometern. Würde man durch sie hindurch emporsteigen, könnte man etwa auf halbem Weg allmählich die Krümmung der Erde sehen. Die Region grenzt unten an das erste Atmosphärenstockwerk, die Troposphäre, dazwischen liegt die Übergangszone der Tropopause. Oben schließen sich Stratopause und Mesosphäre an, und jenseits davon liegt die Kármán-Linie, die Luftfahrt von Raumfahrt scheidet.

Grafik: die Schichten der Erdatmosphäre.
Grafik: NASA/Goddard

Da sehr trocken, ist die Stratosphäre eine normalerweise annähernd wolkenlose Schicht, in deren unterer Hälfte sich all das Ozon befindet, das uns vor der UV-Strahlung der Sonne schützt. Indem es das UV-Licht absorbiert und in Wärme umwandelt, heizt es die Stratosphäre mancherorts auf beinahe 0 Grad Celsius auf. Hier ist es kühl und für gewöhnlich ruhig, atmosphärische Turbulenzen sind selten und kommen meist vom Wettergeschehen, Vulkanausbrüchen oder großen Wald- und Buschbränden einen Stock tiefer; der kommerzielle Flugverkehr bleibt ebenfalls unten, militärische Überschallflüge fallen kaum ins Gewicht – insgesamt ein idealer Ort also für akustische Untersuchungen.

Lauschmission und Roswell

Von hier oben können Forschende mit an Höhenballons befestigten Mikrofonen nach den natürlichen und vom Menschen verursachten Geräuschen unseres Planeten horchen – fernes Brummen, das sonst nirgendwo in dieser Form zu hören ist. Bereits seit den 1890er-Jahren lassen Wissenschafter und Amateurforscherinnen und -forscher Ballons in die Stratosphäre aufsteigen. In den letzten Monaten gerieten einige solcher Höhenflieger ins Visier der US-Landesverteidigung.

Blick von einem Fenster der Internationalen Raumstation auf die dünne Atmosphäre unseres Planeten. Mehr als 300 Kilometer weiter unten, in der Stratosphäre, lauschen Forschende den gedämpften Tönen der Erde.
Foto: Nasa/ISS

Die ersten Mikrofone, die es mithilfe eines Ballons in große Höhen geschafft haben, dienten denn auch dem streng geheimen US-Militärprojekt "Mogul". Die Mikrofone sollten Ende der 1940er-Jahre dem fernen Donner der sowjetischen Atombombentests lauschen. Einer dieser Ballone stürzte wahrscheinlich 1947 in Roswell, New Mexico, ab und sorgte bei den verantwortlichen Militärs und bei Ufologen gleichermaßen für Aufregung.

Reflektiertes Brummen der Erde

Die meisten Töne, die man heutzutage in einer Höhe von rund 20 Kilometern aufzeichnet, besitzen sehr niedrige Frequenzen und wurden unmittelbar von der Erdoberfläche reflektiert. Ihre Quellen sind vulkanische Aktivitäten, Meereswellen, Erdbeben, Gewitter, aber auch vom Menschen erzeugte Geräusche wie Verkehrslärm, Raketenstarts, Windturbinen oder Explosionen. All das – und noch mehr – zeichnete ein Team um Daniel Bowman von den Sandia National Laboratories in New Mexico mit selbst gebauten Forschungsballons auf.

Die Klänge der Stratosphäre, von einem Team um Daniel Bowman von den Sandia National Laboratories für das menschliche Ohr hörbar gemacht. Die vielschichtige Geräuschkulisse enthielt auch Töne unbekannten Ursprungs.

Seit 2016 schickte die Forschungsgruppe Ballons in den Himmel, die sie mit sogenannten Mikrobarometern ausgestattet hatte. Die kleinen, leichten Geräte wurden ursprünglich für die Überwachung von Vulkanen entwickelt, eignen sich aber generell sehr gut, um niederfrequente Töne aufzunehmen. Die bis zu sieben Meter durchmessenden Höhenballons, mit denen die Infraschallsensoren bereits mehr als 50-mal davongeschwebt sind, wurden aus Materialien aus dem Baumarkt um kaum mehr als 50 US-Dollar konstruiert.

Mit Baumarktequipment in die Stratosphäre

"Unsere Ballons sind im Grunde riesige Plastiksäcke mit etwas Kohlestaub auf der Innenseite, um sie dunkel zu machen", erklärte Bowman. "Wir bauen sie aus dünnen Abdeckfolien für Maler, Paketklebeband und Holzkohlepulver aus dem Pyrotechnikhandel." Durch die dunkle Holzkohle erwärmt das Sonnenlicht die Luft im Inneren des Ballons effiziente und gewährleistet so genug Auftrieb für den Flug.

"Die passive Solarenergie reicht aus, um die Ballons von der Erdoberfläche auf über 20 Kilometer Höhe zu bringen", sagte Bowman. GPS-Sender ermöglichen es schließlich, den Flug der Ballons über hunderte Kilometer hinweg zu verfolgen und ihre Reste gemeinsam mit den Mikrofonen nach dem Ende der Mission zu bergen.

Fachleute mit entsprechenden Fähigkeiten konstruierten aus Baumarktmaterialien Forschungsballone, die ihre Mikrofone mehr als 20 Kilometer emportragen.
Fotos: Darielle Dexheimer, Sandia National Laboratories

Erwartbare und unerwartete Töne

Ihre bei den Flügen durch die Stratosphäre gesammelten Geräusche haben Bowman und seine Kolleginnen und Kollegen nun Ende vergangener Woche beim Treffen der Acoustical Society of America in Chicago vorgestellt. Die meisten der aufgezeichneten niederfrequenten Töne konnten den erwartbaren menschlichen Quellen und Umweltgeräuschen zugeordnet werden. Doch neben diesen entdeckten die Forschenden mehrere Töne mit einer Frequenz von 20 Hertz und tiefer, auf deren Ursprung sich das Team keinen Reim machen konnte.

Die für das menschliche Ohr unhörbar tiefen, rumpelnden Geräusche, die aus der Flut der übrigen niederfrequenten Klänge herausgefiltert werden konnten, traten nicht nur punktuell auf, sondern wiederholten sich teilweise auch, manche mehrmals pro Stunde. "Die mysteriösen, in der Stratosphäre aufgezeichneten Infraschallsignale sind bei manchen unserer Flüge einige Male pro Stunde auftreten", sagte Bowman. "Ihre Quelle ist uns jedoch völlig schleierhaft."

Turbulenzen oder Echo?

"Bei vielen unserer Flüge erfassten wir Signalen, deren Ursprung wir nicht verstehen", meinte Bowman. Die meisten Ursachen würden sich mit Sicherheit wohl als banal erweisen, so der Atmosphärenforscher. "Aber für eine belastbare Erklärungen dafür, was dort oben vor sich geht, bräuchte es mehr Daten." Sarah Albert, Geophysikerin und Koautorin der Arbeit, hat eine Art "Schallkanäle" in der Stratosphäre untersucht. Dabei konnte sie beobachten, dass Geräusche von der Erde über große Entfernungen durch die Atmosphäre transportiert werden können.

"Es kann sein, dass Schall in so einem Kanal gefangen bleibt und als verstümmeltes Echo zurückkommt", vermutet Bowman. Aber eine bisher unentdeckte Form atmosphärischer Turbulenzen käme als Erklärung ebenso infrage.

Die Wissenschafter wollen sich freilich noch lange nicht geschlagen geben. Um den merkwürdigen Tönen und ihrem Ursprung auf den Grund zu gehen, will das Team weiter Ballons mit Mikrofonen in die Stratosphäre schicken. Dabei erhoffen sie sich als Nächstes vor allem Hinweise darauf, ob diese Geräusche mit den Jahreszeiten und Weltregionen variieren. (Thomas Bergmayr, 16.5.2023)