Agnes Primocic blieb bis ins hohe Alter eine politisch hochaktive Antifaschistin und trat als Zeitzeugin auf.

Foto: Privatarchiv Pfeiffer

Sie war schon zu Lebzeiten eine ikonische Figur für das demokratische Österreich im Allgemeinen und die österreichische Frauenbewegung im Besonderen. Über die Halleiner Kommunistin, Widerstandskämpferin und Kommunalpolitikerin Agnes Primocic wurden Dokumentarfilme gedreht, Bücher geschrieben, sie war Inspiration für Theaterstücke, und sie war Vorbild für eine ganze Generation antifaschistisch engagierter Österreicher und Österreicherinnen.

Nun steht die 2007 im 103. Lebensjahr Verstorbene auch im Mittelpunkt des temporären Erinnerungsprojekts Orte des Gedenkens. Vergangenen Samstag fand im Halleiner Kolpinghaus die offizielle Eröffnung statt; damit stehen Primocic und der Widerstand gegen das austrofaschistische und das nationalsozialistische Regime in Hallein ein Jahr im Zentrum der Aufmerksamkeit.

Aktuelle Bezüge zur Landespolitik

Schon die Eröffnung zeigte, wie präsent Primocic im Gedächtnis der Salinenstadt bis heute ist: Mit beinahe 200 Gästen sprengte die Veranstaltung alle Erwartungen der Veranstalter rund um die Kunsthistorikerin Hilde Fraueneder und die zwei Geschichtswissenschafter Albert Lichtblau und Robert Obermair. Ein Teil der Anwesenden hatte die 1999 zur Ehrenbürgerin Halleins Ernannte auch noch persönlich gekannt.

Inhaltlich dominierten die Diskussionen und Redebeiträge durchaus aktuelle Bezüge: Was bedeutet die dräuende Koalition von ÖVP und FPÖ für das Land Salzburg? Der Diskurs verschiebe sich Schritt für Schritt nach rechts, dem Rassismus werde "der rote Teppich" ausgerollt, sagte Noch-Landeshauptmannstellvertreterin Martina Berthold (Grüne).

Antifaschismus nicht nur in Sonntagsreden

Noch deutlicher wurde der Halleiner Bürgermeister Alexander Stangassinger (SPÖ). Man müsse nur zu den südlichen und östlichen Nachbarn schauen, was auf Österreich zukommen könnte, wenn die FPÖ an die Macht gelassen werde. "Kritiker werden mundtot gemacht, demokratische Strukturen ausgehebelt, ganze Menschengruppen ausgegrenzt", zeichnete Stangassinger das Bild eines drohenden totalitären Systems.

KPÖ-Landessprecher Kay-Michael Dankl betont in einer Aussendung: "Das Gedenken ist auch ein Auftrag an die Gegenwart, Antifaschismus nicht auf Sonntagsreden zu beschränken, sondern konsequent für die Würde und Gleichheit der Menschen einzutreten."

Primocic und die FPÖ

Die Auseinandersetzung mit der FPÖ ist auch Teil der Geschichte von Primocic selbst. Ihre Ernennung zur Ehrenbürgerin Halleins erfolgte gegen die Stimmen der Blauen. Es war auch ein FPÖ-Mandatar, der öffentlich und ungestraft die Existenz des KZ-Außenlagers von Dachau in Hallein geleugnet hatte.

Eine entsprechende Sequenz findet sich in einem Dokumentarfilm von Uwe Bolius und Robert Angst über Primocic. Bei der Fernsehausstrahlung des Films 2004 hatte der ORF diese Sequenz übrigens herausgeschnitten. Man wollte keine Beschwerde provozieren, hieß es damals.

ÖVP und FPÖ waren es auch, die im Gemeinderat der Stadt versuchten, einen Gedenkstein für das ehemalige KZ zu verhindern. Dieser wurde schließlich auf dem Gelände des ehemaligen Lagers doch errichtet: allerdings nicht von der Kommune, sondern privat finanziert von einem Baustoffindustriellen.

Salzkammergutpartisanen

Auf dem Firmengelände der Baustofffirma befand sich während der NS-Herrschaft auch das KZ-Lager. Aus diesem hat die damals junge Kommunistin Primocic Sepp Plieseis zur Flucht verholfen. Plieseis konnte mit seinem Genossen Karl Gitzoller ins Tote Gebirge entkommen und gründete hier die Partisanengruppe Willy-Fred und den legendären Unterschlupf Igel.

Agnes Primocic (Zweite von rechts) in der Uniform des Deutschen Roten Kreuzes.
Foto: Privatarchiv Pfeiffer

Zur Lebensretterin wurde sie dann zu Kriegsende. In einer Rotkreuzuniform suchte sie mit ihrer Freundin Mali Ziegenleder den Kommandanten des KZ-Lagers auf. Die beiden Frauen setzten den SS-Mann mit dem Hinweis auf die heranrückende US-Armee so unter Druck, dass dieser 17 Häftlinge, deren Ermordung bereits angeordnet war, doch noch freigelassen hatte.

"Tschickweiber"

Dass Primocic, die selbst zwischen 1934 und 1945 insgesamt fast ein Jahr in Haft war, sich im Widerstand engagierte, hatte eine Vorgeschichte. Als Tabakarbeiterin – die Frauen wurden damals "Tschickweiber" genannt – war sie früh gewerkschaftlich aktiv. Sozialpolitikerin blieb sie auch nach der Befreiung 1945. Als KPÖ-Stadträtin organisierte sie die Lebensmittelversorgung der hungernden Bevölkerung. Um die Kinder in den Kindergärten ernähren zu können, ordnete sie Hausdurchsuchungen an; gehortete Lebensmittel ließ sie beschlagnahmen. Vielen nach 1945 Geborenen war sie dann als aktive Zeitzeugin und Obfrau des KZ-Verbands bekannt.

Kunstprojekt und Audiowalk

Neben der wissenschaftlichen Aufarbeitung und der pädagogischen Vermittlung von Zeitgeschichte im Rahmen der "Orte des Gedenkens" kommt auch einem Kunstprojekt eine zentrale Rolle zu. Ein künstlerisch gestaltetes Auto für Primocic wird als mobile Landmarke auf Orte des Gedenkens hinweisen.

Die in Hallein geborene Künstlerin Kathi Hofer parkt das Auto in den kommenden Monaten an vier Orten, die für Primocic relevant waren. Hörspaziergänge – nach dem Vorbild des Audioweges von Christoph Mayer durch das ehemalige KZ-Gusen – führen dann auf den Spuren von Primocic durch Hallein. Diese sind abrufbar über einen QR-Code, der an dem roten Pkw angebracht ist.

Zweite Station Hallein

Die Initiative des Landes Salzburg Orte des Gedenkens geht auf einen Beschluss des Landtags im Jahr 2019 zurück. Es folgte ein Regierungsbeschluss der Koalition aus ÖVP, Grünen und Neos im Jahr 2021. In diesem wurde das ursprünglich als fixes Mahnmal für den Widerstand gegen den Nazi-Terror geplante Gedenken in ein temporäres umgewandelt: In jedem der sechs Salzburger Bezirke soll für ein Jahr mit künstlerischen Interventionen, aber auch mit historischer Aufarbeitung und pädagogischer Vermittlung der Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft thematisiert werden. Insgesamt will das Land 600.000 Euro für das Projekt zur Verfügung stellen. Zuständig sind das Wissenschafts- und das Kulturressort.

Georg Rinnerthaler (3. von links) saß mit Leopold Figl (2. von links), der später der erste Bundeskanzler Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg wurde, im KZ Dachau.
Foto: Museum Fronfeste

Der erste Bezirk war der Flachgau. In Neumarkt am Wallersee wurde an den Gastwirt Georg Rinnerthaler gedacht, der sich wiederholt mit den Nazis angelegt hatte und ein Jahr im KZ Dachau inhaftiert war. Dass die Wahl zum Start der Aktion auf Rinnerthaler fiel, führte auch zu kritischen Kommentaren. Rinnerthaler war Christlichsozialer und Funktionär im austrofaschistischen System.

Gedenkkultur unter Schwarz-Blau?

Wie es nach dem am vergangenen Wochenende offiziell eröffneten Gedenkort Hallein für die Widerstandskämpferin Agnes Primocic mit den Orten des Gedenkens weitergeht, ist derzeit völlig unklar.

Nach dem bisherigen Plan soll 2024 der Pongau im Mittelpunkt stehen. Ausgehend von der Bezirkshauptstadt St. Johann wird dabei einmal mehr auch die Geschichte des Widerstandes in Goldegg, die Geschichte der "Goldegger Deserteure" eine zentrale Rolle spielen. Im Mittelpunkt sollen aber weniger die später von den NS-Schergen ermordeten Männer stehen, sondern die weitgehend unbekannten Geschichten der Fluchthelferinnen.

"Feigenblatt" oder "gerade jetzt"

Fraglich ist freilich, ob sich dies mit der sich abzeichnenden Rechtskoalition in der Landesregierung überhaupt umsetzen lassen wird. Selbst wenn eine ÖVP/FPÖ-Landesregierung das Projekt weiterlaufen lassen sollte, werden Historiker und Historikerinnen sowie Künstler und Künstlerinnen wohl massive Bedenken formulieren.

Die Kunsthistorikerin Hilde Fraueneder – eine der Proponentinnen der Orte des Gedenkens – bestätigt im STANDARD-Gespräch solche Überlegungen. Es gebe zwei Sichtweisen im Team: Die einen meinen, es sei angesichts der FPÖ noch wichtiger, das Projekt weiterzuführen, die anderen meinen, man dürfe sich nicht als "Feigenblatt" einer Rechtsregierung missbrauchen lassen. (Thomas Neuhold, 15.5.2023)