Karl Nehammer (ÖVP) und Herbert Kickl (FPÖ) liefern sich im Parlament regelmäßig hitzige Debatten.

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Wien – Die nächste Nationalratswahl geht zwar regulär erst nächstes Jahr über die Bühne, die Regierungsparteien schalten aber zunehmend in den Wahlkampfmodus. Zudem kriselt es innerhalb der türkis-grünen Bundesregierung, das Koalitionsklima scheint zu kippen. Und dann wären da noch die aktuellen Umfragen, die die FPÖ seit Monaten auf dem ersten Platz sehen. Die Frage, wer mit der FPÖ unter Herbert Kickl regieren könnte, ist seither ein Dauerbrenner.

Für viele ÖVP-Funktionäre galt eine derartige Konstellation mit Kickl an der Spitze lange Zeit als Tabu. Doch prominente Stimmen aus der ÖVP, die diese Variante nicht mehr ausschließen, mehren sich. Ein Überblick.

Niederösterreich als Vorbild

Zuletzt hatte die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) in einem "Presse"-Interview auf eine Frage zu dieser Variante auf Bundesebene keine Ablehnung gezeigt. Zwar antwortete sie ausweichend, schloss diese Option aber auch nicht dezidiert aus. "Keiner weiß, was in einem Jahr los ist", betonte die Landeschefin.

Das ist wenig überraschend: In Niederösterreich ist Mikl-Leitner mit FPÖ-Landesobmann Udo Landbauer in einem Regierungsteam, man hat ein gemeinsames Arbeitspapier. Für den blauen Koalitionspartner gab es von Mikl-Leitner bislang nur Lobesworte – die Arbeit mit den Blauen verlaufe "reibungslos". Landbauer zählt als enger Vertrauter von Kickl, die beiden trennt politisch kaum etwas.

Nehammer lässt Koalition offen

So abwegig, wie Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) einst als Innenminister eine mögliche Koalition mit der Kickl-FPÖ beschrieben hatte, ist die blau-schwarze Variante also nicht mehr. Das wird auch dem Kanzler immer mehr bewusst, der im Falle einer erstplatzierten FPÖ diese Koalition für die ÖVP voraussichtlich ausverhandeln würde.

Denn auch Nehammer lehnte eine blau-schwarze Koalition in einem vor kurzem geführten "ZiB 2"-Interview nicht mehr eindeutig ab. Vor wenigen Jahren wäre die Antwort des Kanzlers, in Hinblick auf die Corona-Politik der Blauen und um eine Abgrenzung zu dieser bemüht, wohl um einiges negativer ausgefallen.

Corona steht Zusammenarbeit nicht im Weg

Dass ÖVP und FPÖ aber in puncto Corona zusammenfinden können, zeigt nicht zuletzt die Landesregierung in Niederösterreich. Galt die FPÖ-Forderung nach der Rückzahlung von verfassungswidrigen Covid-Strafen zuerst als überzogen, wurde sie wenig später von der ÖVP akzeptiert und soll nun im Bundesland kurz vor der Umsetzung stehen. Das bisherige Streitthema Corona zwischen der ÖVP und Herbert Kickl dürfte damit einer Zusammenarbeit nicht mehr im Weg stehen.

Auch Nehammers Regierungsteam steht einer Koalition mit Kickl im Gegensatz zu früher um einiges offener gegenüber. Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) fände es etwa undemokratisch, eine Partei vor einer Wahl für eine mögliche Koalition auszuschließen. Diesem Tenor folgt auch der Klubobmann der Volkspartei August Wöginger. Dieser erklärte im Frühjahr, dass man generell keine Partei im Vorfeld ablehne. Damit hat sich auch Wögingers Wahrnehmung zu Kickl deutlich verändert. Einst hatte er sich vehement gegen diesen ausgesprochen.

Deutlicher wurde Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP), der in einem "Krone"-Interview auf die Frage nach einer Koalition mit der FPÖ sagte: "Man muss das pragmatisch sehen." Viel Verwirrung entstand dann, als Brunner das Zitat zurückzog und meinte, dass es nur auf Niederösterreich bezogen war – die "Krone" dementierte das.

Versöhnung nach dem Wahlkampf

Dass durchaus kritische Stimmen, wie etwa jene von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), kein Hindernis für eine blau-schwarze Koalition sind, zeigt auch die Koalition in Niederösterreich. Dort gerieten sich ÖVP und FPÖ im Wahlkampf ordentlich in die Haare.

FPÖ-Landeschef Landbauer bezeichnete Mikl-Leitner etwa als korrupt und "Moslem-Mama", die ÖVP warnte wiederum eindringlich vor einem Landeshauptmann Landbauer mit Stütze der SPÖ – nun stehen die beiden regelmäßig Schulter an Schulter bei Pressekonferenzen. Auch Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) musste einst von der FPÖ ordentlich einstecken, anschließend arbeitete Türkis-Blau eineinhalb Jahre im Bund zusammen.

Persönliche Befindlichkeiten seien zur Seite geschoben worden, und der Ton sei jetzt ohnehin ein anderer, erklärt Mikl-Leitner die Koalition in Niederösterreich. Diese Argumentation könnte ohne weiteres auch die Bundes-ÖVP bei einer Koalition mit Kickl fortführen. Inhaltlich kann Blau-Schwarz ohnehin zusammenfinden. Das zeigt mittlerweile ein rascher Blick nach Salzburg, Nieder- und Oberösterreich. (Max Stepan, 16.5.2023)