Berührender Wohllaut: Maria Agresta als Tosca.

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Im letzten Monat hat Piotr Beczała seine Wiener Wohnung so richtig ausnützen können: Da gab es eine Lohengrin-Serie an der Staatsoper sowie ein Solistenkonzert, bei dem er der Partie des Werther Adieu sagte. Und aktuell gibt der polnische Tenor den Cavaradossi im malerischen Rahmen der guten, 65 Jahre alten Tosca-Inszenierung von Margarete Wallmann – stimmstark und souverän wie gewohnt. Aber ist es eigentlich seit Jonas Kaufmann obligat geworden, dass die Tenorstars das E lucevan le stelle im dritten Akt da capo geben müssen? So wird eine Opernvorstellung zum Willkürakt, bei dem das Publikum durch frenetischen Applaus jederzeit die Repeat-Taste drücken kann.

Doch die Sensation des Freitagabends war, dass nicht Beczała die Sensation war, sondern Bryn Terfel. Der Waliser hatte noch am Wochenende zuvor bei der Krönung von König Charles III. gesungen: vom Kyrie in der Westminster Abbey zum Te Deum in Sant’Andrea della Valle. Terfels Präsenz und darstellerische Präzision waren atemberaubend. In seinem Scarpia mischte sich die funkelnde Autorität eines Curd Jürgens mit der düsteren Glut eines Joaquin Phoenix. Ein Sadist von einer Qualität, die einem die Faszination des Masochismus schlagartig begreiflich machte. Nach drei Jahrzehnten in der Top-Liga ist Terfels Bariton immer noch eine Macht – die bisweilen auch von schneidender Schärfe sein kann.

Jubel für drei Sternstunden

Maria Agrestas Tosca ging eher in die gemütlich-gutmütige Richtung. Das Nervöse, Divaeske (etwa einer Angela Gheorghiu) ist ihre Sache nicht; berührend ihr Vissi d’arte. Unter der Leitung von Giampaolo Bisanti ging dem saftig-sinnlich musizierenden Staatsopernorchester beim Repertoire-Klassiker überraschenderweise die letzte Selbstverständlichkeit ab. Minimale individuelle Insuffizienzen (das Holz zu Beginn, die Hörner und das Celloquartett im dritten Akt) irritierten aber nur kurz. Jubel für drei Sternstunden. (Stefan Ender, 16.5.2023)