Wie gut Kinder lesen können, hängt in Österreich stark vom Bildungsgrad und dem Job der Eltern ab. Das zeigt eine aktuelle Studie.

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Kinder und Jugendliche, die in der Schule zurückfallen, Schülerinnen und Schüler, die nicht lesen oder rechnen können, eine ganze verlorene Corona-Generation: Mit dem Homeschooling zu Beginn der Corona-Pandemie ging auch die Befürchtung einher, dass die Bildung drastisch leiden werde. Zu Hause allein oder bestenfalls mit Mama, älteren Geschwistern oder Opa Buchstaben lernen oder Bücher lesen – das war freilich für alle nicht leicht.

Rund drei Jahre nach dem ersten Lockdown sind diese Ängste zwar nicht real geworden. Aber die Sorge des Kompetenzverlusts ist durchaus berechtigt, sieht man sich die Lesefähigkeiten der Volksschüler an. Zwar können Österreichs Viertklässler besser lesen als der internationale Durchschnitt – die Lesekompetenz ist insgesamt aber leicht zurückgegangen. Die Versäumnisse durch Corona dürften also da sein, aber nicht so schlimm wie angenommen. Das zeigt die am Dienstag veröffentlichte internationale Lesestudie "Pirls", für die Viertklässler im Jahr 2021 Texte lesen und dazu Fragen beantworten mussten.

Nur weil es weniger schlecht ist als befürchtet, ist das noch lange kein gutes Ergebnis. Dass die Lesekompetenz österreichischer Volksschüler wieder auf dem Niveau von vor zehn Jahren ist, stellt Österreichs Schulsystem kein Einserzeugnis aus. Die Gruppe der herausragenden Leseratten ist mit sieben Prozent deutlich geringer als beim Spitzenreiter Irland mit 27 Prozent. Die Schüler haben vor allem Probleme, das Gelesene wiederzugeben, mit bereits vorhandenem Wissen zu verknüpfen, zu interpretieren. Es scheint, als würde diese Form des Lesens in den Volksschulen wenig gelehrt werden. Dabei ist diese Fähigkeit später im Gymnasium oder der Mittelschule, bei der Zentralmatura oder spätestens im Berufsleben essenziell.

Schwache wurden schwächer

Eine weitere These, die von Lehrkräften und Bildungsexperten in der Pandemie aufgestellt wurde, hat sich allerdings traurigerweise bestätigt: Jene, die schon benachteiligt sind, wurden noch mehr benachteiligt. Etwa, weil ihre Eltern nicht so gut Deutsch sprechen, im Homeschooling und bei Hausaufgaben nicht unterstützen können oder Nachhilfe schlicht zu teuer ist. Deutlich sieht man das bei den schwachen Leserinnen und Lesern, deren Anteil im Vergleich zur letzten Untersuchung 2016 gestiegen ist. Jedes fünfte Kind kann nicht gut lesen, darunter Buben häufiger als Mädchen. Auch mehrsprachige Kinder schneiden deutlich schlechter ab als einsprachige. Die Daten zeigen einmal mehr, dass Österreich zu jenen EU-Ländern gehört, wo sich der Bildungsabschluss und der Job der Eltern am stärksten auf die Lese-Skills ihrer Kinder auswirken.

Bildung und damit auch das Fortkommen in der Schule wird hierzulande vererbt – das war vor Corona schon so. Das Problem dahinter ist ein viel größeres als etwa ein fehlendes Bücherregal zu Hause, das Kinder zum Schmökern einlädt. Ein Bildungssystem, das auf die Unterstützung von zu Hause aufbaut, Schülerinnen und Schüler nach der Volksschule trennt und Kindern, die mehrere Sprachen sprechen, bereits im Kindergarten das Gefühl vermittelt, nur Deutsch sei die einzige "richtige" Sprache, produziert seine "Sorgenkinder" auch selbst mit. Wer schon in der Volksschule schlecht lesen kann und dabei nicht ausreichend aufgefangen wird, nimmt diese Probleme in seiner gesamten Schullaufbahn mit und hat mitunter später noch Schwierigkeiten, Arztbriefe zu entziffern oder Formulare richtig auszufüllen.

Wenn hier nicht endlich angesetzt wird, wird das weitaus drastischere Auswirkungen haben als das Homeschooling im Lockdown tatsächlich hatte. Gerade in Zeiten der Teuerung braucht es für Kinder aus finanziell schlechtergestellte Familien kostenlose Nachhilfe. Und in Ganztagsschulen, wo Kinder ihre Hausaufgaben erledigen, sind sie nicht mehr auf die Hilfe aus der Familie angewiesen. Werden sie weiter auf der Strecke gelassen, droht eine ganze Gruppe an Schülerinnen und Schülern wirklich verlorenzugehen. (Selina Thaler, 16.5.2023)