Der Donaulimes zählte zu den unruhigsten Gebieten im europäischen Teil des Römischen Reichs. Speziell die Besatzungen des Limes Pannonicus, jenes Abschnitts, der vom heutigen Klosterneuburg bis zum Römerkastell Singidunum (heute Belgrad) reichte, musste sich häufig mit Angriffen aus dem transdanubischen Hinterland herumschlagen. Dort lebten seit dem dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung unter anderem Angehörige der mit den Skythen verwandten Sarmaten, die Stammeskonföderation mehrerer Stämme iranischer Reitervölker machte den Römern bis in die Spätantike das Leben schwer.

Vielleicht können die geplanten Isotopenanalysen der Knochen die Herkunft des Mannes mit dem kostbaren medizinischen Instrumentarium klären.
Foto: Eötvös Loránd Universität

Gebeine und chirurgische Instrumente

Gut 80 Kilometer östlich der Donaugrenze, also mitten im wilden "Barbaricum", haben nun Archäologinnen und Archäologen einen ungewöhnlichen Fund gemacht: Die ungarischen Forschenden von der Eötvös Loránd Universität (ELTE) entdeckten in der Nähe der Stadt Jászberény das Grab eines Mannes, das seit annähernd 2.000 Jahren unberührt war. Das Besondere daran aber waren seine Grabbeigaben, eine umfangreiche Sammlung hochwertiger chirurgischer Instrumente, die den Tote möglicherweise als römischen Arzt auswiesen. Was der Mediziner im Barbarenland zu suchen hatte, bleibt freilich rätselhaft.

Das Grab aus dem ersten Jahrhundert kam ans Licht, nachdem Magnetometeruntersuchungen auf deutliche archäologische Merkmale unter der Erdoberfläche hingewiesen hatten. Bei der Öffnung des Grabanlage stieß das Team auf menschliche Überreste, darunter der intakte Schädel, Arm- und Beinknochen sowie die Reste zweier kleiner hölzerner Kästchen. In diesen waren offenbar zahlreiche medizinische Werkzeuge aufbewahrt worden. Das umfangreiche Chirurgenbesteck aus Kupferlegierungen setzte sich aus Zangen, Nadeln, Spateln und Pinzetten sowie mehreren mit Silber verzierten Skalpellen mit austauschbaren Klingen zusammen – allesamt von höchster Qualität.

Das römische Chirurgenbesteck bestand aus zahlreichen hochwertigen Instrumenten, darunter auch silberverzierte Skalpelle mit auswechselbaren Klingen.
Foto: Eötvös Loránd Universität

Einzigartiges Besteckensemble

"Die Untersuchung der Geräte ergab schnell, dass es sich um eine römische Grabanlage handelte, wahrscheinlich das Grab eines Arztes, dessen Geräte in zwei Holzkisten neben seinen Füßen lagen", berichtete Levente Samu vom Archäologischen Institut der ELTE. Außerdem sei in dem Grab ein Schleifstein gefunden worden, der wahrscheinlich zum Mischen von Heilmitteln oder zum Schärfen der Klingen verwendet worden war, so der Archäologe. Auch Rückstände von Arzneien wurden geborgen.

Nähere Analysen der Instrumente belegten schließlich ihre vermutete römische Provenienz. Fest steht auch, dass es sich um eine einzigartiges Besteckensemble handelt. Einzelne derartige Instrumente kennt man zwar von Ausgrabungen auf dem Gebiet des antiken römischen Imperiums. Doch eine derart vollständige Sammlung vergleichbarer römischer medizinischer Geräte war bisher nur ein einziges Mal in Pompeji entdeckt worden.

Griechische Sklaven und Oberschichtärzte

Römische Heiler arbeiteten damals nach griechischen Traditionen, die vor allem auf Hippokrates von Kos zurückgingen. Sie waren oft auch selbst Griechen und praktizierten eine Mischung aus tatsächlicher Medizin und religiösen Riten. Letztlich war die Heilkunst ein Handwerk wie viele andere auch, das von Meister an Lehrlinge oder an medizinischen Schulen weitergegeben wurde. Während die römischen Legionen oft über sehr erfahrenes medizinisches Personal verfügten, konnte man das von Ärzten im zivilen Bereich nicht immer behaupten. Viele waren Sklaven oder Freigelassene, prominente fähige Mediziner waren dagegen der Oberschicht vorbehalten.

Die Gebeine des 50 bis 60 Jahre alten Mannes waren weitgehend vollständig und verrieten nicht, woran der Arzt vor 2.000 Jahren verstorben ist.
Foto: Eötvös Loránd Universität

In welche Kategorie der Mann aus dem Grab in Jászberény gehörte, lässt sich kaum mehr feststellen. Klar ist nur, dass er im Alter von 50 oder 60 Jahren gestorben ist – woran, das ließ sich anhand der Gebeine nicht nachvollziehen. Die Knochen wiesen jedenfalls keinerlei Anzeichen für Verletzungen oder Krankheiten auf. Auch seine Herkunft bleibt vorerst ein Rätsel, das jedoch durch die geplanten Isotopenanalysen der Knochen noch gelöst werden könnte.

Vielleicht ein Militärarzt

Bleibt die Frage, wie es einen hervorragend ausgerüsteten Arzt aus dem römischen Reich ins pannonische Barbaricum verschlagen hatte. Im ersten Jahrhundert steckte die Region um das heutige Jászság wahrscheinlich in einer Übergangsphase, in der sich die keltische und römische sarmatische Bevölkerung vermischte.

Möglicherweise war der Arzt aus einem der Zentren des römischen Reichs auf Wunsch eines angesehenen lokalen Führers in die Gegend gereist und dort unerwartet gestorben, spekuliert András Gulyás vom Jász-Museum in Jászberény, der an den Ausgrabungen beteiligt war. Vielleicht hatte er aber auch als medizinischer Helfer eine militärische Einheit aus einem der römischen Donaukastelle auf einer Patrouille begleitet. (Thomas Bergmayr, 22.5.2023)