Was liegt, das pickt: Aktivisten der Letzten Generation weisen auf der Wiener Ringstraße sehr gesittet auf klimapolitische Versäumnisse hin.

Foto: APA

Rücksichtsvollere Protestierer als die Klimaaktivisten der Letzten Generation hat die Welt noch nicht gesehen. Kein lautes Wort. Kein Rufen nach Ho Chi Minh. Kein Insistieren auf die Notwendigkeit, die Besitzenden zu enteignen, oder besonders widerwärtige Exemplare der Spezies Großkapitalist umgehend an den nächsten Laternenpfahl zu hängen!

Alle, die unlängst im Stau gestanden sind und Verwünschungen in ihren Bart gemurmelt haben, mögen bedenken: Es ist – sieht man von ein paar in Abgase gehüllten Alleebäumen ab – niemand zu Schaden gekommen. Es steckt viel Weisheit in der alten Losung: Alle Räder stehen still, wenn das Gesäß des Klebenden es will. Der Verbundenheit mit dem Boden, die sich durch die Benutzung eines Klebers ausdrückt, wohnt ein strukturell bewahrendes Element inne.

Anarchische Seelen

Das Wüten früherer Protestierer war von weniger Rücksichtnahme gekennzeichnet. Noch in der Aufbruchsära Bruno Kreiskys war vielen Unzufriedenen in der Seele anarchisch zumute. Erst mit Fortdauer der 1970er-Jahre trugen Vertreter der Reaktion ein von Grund auf gewandeltes Antlitz zur Schau.

Ich, ein dicker Schul-Boomer, kannte Ältere, die noch von "körperlicher Züchtigung" berichteten. Manche von ihnen hatten Klapse, Ohrfeigen, Tachteln und Stüber verpasst bekommen, je nach Gemütsverfassung des lehrenden Organs. Später sausten Kreidestücke wie verirrte Schrapnelle durchs Klassenzimmer. Der Abrüstung der Zwangsmacht entsprach die Sublimierung der Protestformen: Man begehrte nicht blindlings auf, sondern überzog die Widersacher – Eltern, Pauker, Respektspersonen – mit beißendem Spott.

Auf Elternsprechtagen erfuhr meine Mutter aus empörtem Professorenmund, welche Defizite mein Charakterbild verunstalteten: Es waren unzählige. Doch das heiße Blut des Aufrührers kühlte ab. Während andere Studenten in die Hainburger Au reisten, klebte ich, der es genau wissen wollte, an den Uni-Bänken förmlich fest. Mein Studium dauerte übrigens geschätzte 17 Semester. Es blieb, wie so viele progressive Unternehmungen in der Menschheitsgeschichte, letztlich unvollendet. (Ronald Pohl, 17.5.2023)