Haie haben nicht nur starke Kiefer, bei ihnen als Knorpelfischen sind die Kiefer mit den Zähnen das einzig wirklich Stabile und stellen praktisch die einzigen Funde aus prähistorischer Zeit dar, die über Haie Aufschluss geben. Die Erforschung der Evolution von Haien stützt sich daher besonders auf deren Merkmale.

Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Universität Wien hat nun die Veränderungen der Unterkiefer von Haien im Lauf ihrer Evolution untersucht und dabei eine überraschende Entdeckung gemacht, wie die Forschenden nun in einer Studie im Fachjournal "Communications Biology" berichten.

Die Unterkiefer von Haien haben besonders viele unterschiedliche Formen. Diese Art hört auf den lieblichen Namen Schokoladenhai.
Foto: © Manuel Staggl

Die Untersuchung der Evolution von Haien ist keine kleine Unternehmung, handelt es sich doch um eine sehr alte Tiergruppe, deren Entwicklung sich über etwa 180 Millionen Jahre erstreckt. In den Nahrungsnetzen dieser Zeit – der Begriff der Nahrungskette wäre hier zu eindimensional – nahmen Haie durchwegs wichtige Rollen ein, als Spitzenjäger oder zumindest in hoher Position gegenüber anderen Lebewesen ihrer Zeit.

90 Arten untersucht

Um die Veränderungen zu untersuchen, scannten die Forschenden die Kiefer von 90 Haiarten mittels Computertomografen. Dabei zeigte sich, dass bei artenreichen Gruppen wie den Requiemhaien die Kiefer nur geringen Veränderungen unterworfen waren. Gerade bei diesen weitverbreiteten Arten wären eigentlich Anpassungen zu erwarten gewesen.

Der größte Hai aller Zeiten hieß Megalodon. Wie er genau aussah, ist nicht bekannt. Gefunden wurde nur der Kiefer, der auf seine gewaltigen Ausmaße schließen lässt.
Foto: AP Photo/Richard Drew

Gefunden wurden diese stattdessen bei Tiefseehaien. "Obwohl Tiefseehaie in den Daten nicht so zahlreich wie Riffhaie vertreten sind, weisen sie in unserer Analyse die größte Formenvielfalt auf", sagt der Erstautor der Studie, Faviel A. López-Romero vom Institut für Paläontologie der Universität Wien.

Tiefseehaie sind, wie andere Tiefseelebewesen, für ihre ungewöhnlichen Formen und Eigenschaften bekannt. Ein Beispiel sind Haie, die durch Biolumineszenz leuchten. Den Grund für die unterschiedlichen Kieferformen sieht das Forschungsteam konkret im variantenreicheren Nahrungsangebot der Tiefseehaie, zu dem neben Kopffüßlern oder Eiern auch Stücke von Walen gehören. Im offenen Meer beschränkt sich die Nahrung stärker auf Fische. "Natürlich ernähren sich viele Haie in diesen Lebensräumen von einer großen Vielfalt an Beutetieren, und nur wenige haben sich an eine einzige, spezifische Beute angepasst", erklärt Studienautor Jürgen Kriwet von der Universität Wien.

Die Kiefer einiger der in der Studie untersuchten Haiarten im Vergleich.
Bild: Faviel Alejandro López Romero

Verbreitungsgebiet entscheidend

Die meisten Veränderungen gab es bei Teppich-, Schläfer- und Hundshaien, berichtet das Team. "Diese Veränderungen gingen wahrscheinlich mit der vorrangigen Verbreitung dieser Haie in Riffen und in der Tiefsee einher, was sie morphologisch deutlich von anderen Arten mit größeren Kiefern abgrenzt, wie sie bei den großen Spitzenräubern im offenen Meer zu finden sind", sagt López-Romero. Neben der Universität Wien waren an der interdisziplinären Kooperation auch das Imperial College London, das Muséum national d'histoire naturelle in Paris, die Christian-Albrechts-Universität im deutschen Kiel und das Naturalis Museum im niederländischen Leiden beteiligt.

Dass die Kiefer bei Haien die wichtigste Körperpartie darstellen, ist auch in der Popkultur und ganz konkret in Hollywood seit längerer Zeit bekannt. Während der legendäre Kassenschlager Steven Spielbergs in unseren Kinos "Der Weiße Hai" hieß, lautet der englische Titel gleich wie jener der Buchvorlage, nämlich einfach "Jaws", zu deutsch: Kiefer. (Reinhard Kleindl, 18.5.2023)