Man muss davon ausgehen, dass Recep Tayyip Erdoğan die Stichwahl am 28. Mai gewinnen wird. Die Sache der Demokratie hat auf demokratischem Weg ein weiteres Mal verloren. Fehlt nur noch, dass in den USA nächstes Jahr Donald Trump wieder Präsident wird.

In Deutschland liegt die rechtsextreme AfD bei 16 Prozent, gleichauf mit den Grünen. Die Zeit nennt das "schleichende Normalisierung" von Rechtsextremen. Die ist bei uns längst vollzogen. Die FPÖ hält seit Monaten mit etwa 30 Prozent den Platz eins in den Umfragen. In der ÖVP brechen die letzten inneren Widerstände gegen eine Koalition mit Herbert Kickl gerade weg – notfalls auch mit Kickl als Kanzler. Im bürgerlich-konservativen Milieu redet man sich die Kickl-FPÖ schön (wie so oft). Ein regelmäßiger Gastkommentator der Presse fordert, man möge über die FPÖ "ohne Wut und Hass" reden – ebenjene Partei, die nur aus Wut und Hass besteht.

Bei den Konservativen brechen gerade die Widerstände gegen die Kickl-FPÖ weg.
Foto: APA/Alex Halada

Verharmloser aller Arten reden sich ein – und wollen uns einreden –, dass der Mann, der 2016 einem rechtsextremen Kongress in Linz erklärte, hier sei "das Publikum, das ich mir wünsche"; der als Innenminister eine Razzia gegen den eigenen unbequemen Verfassungsschutz orchestrierte; der in seiner jüngsten Großrede den Autokraten Viktor Orbán als Vorbild hinstellte, an der Macht eh ein ganz ein Lieber sein werde.

Vernunft und Kompetenz

Konservative, die glauben, sie könnten die trüben Wasser der Rechtsextremen auf ihre eigenen Mühlen umleiten, sind historisch noch immer gescheitert.

Noch ist nicht heraußen, ob alle, die heute sagen, sie würden die FPÖ wählen, dies am Wahltag dann auch tatsächlich tun werden. Die Partei lag – unter Heinz-Christian Strache – schon einmal bei 30 Prozent und an erster Stelle, dann kam aber Sebastian Kurz, und der verkaufte den Wählern rechte Inhalte auf viel nettere Weise. "Wieso halten Sie mir nicht zugute, dass ich Strache als Kanzler verhindert habe?", sagte Kurz damals erbost in einem Gespräch mit STANDARD-Mitarbeitern. In diesem Augenblick schien er recht zu haben. Wenig später stellte sich heraus, dass seine gefälligere Verpackung von FPÖ-Inhalten nicht nachhaltig war.

Aber die FPÖ ist doch nur so erfolgreich, weil die anderen so schwach sind, lautet damals wie heute ein – nicht einmal falsches – Argument. Man mag sich zwar fragen, warum die eindeutig rechtsextreme Anmutung der FPÖ so viele nicht stört – aber vielen Menschen geht es eben darum, ihre materiellen und kulturellen Ängste über Teuerung, drohenden Abstieg und "Überfremdung" irgendwo loswerden zu können.

Es wird daher Zeit, dass sich bei "den anderen" die Kräfte der Vernunft und der Kompetenz rühren. Nicht Anpassung an die Rechten, sondern härtestes Kontra ist gefragt. Möchte die SPÖ nicht langsam beweisen, dass sie notfalls regieren kann? Will die ÖVP nicht allmählich zeigen, dass sie mehr ist als eine Klientelversorgungsanstalt und eine Kopiermaschine für rechte Inhalte? Wollen die Grünen und die Neos sich nicht raschest darauf besinnen, dass von ihnen erwartet wird, sich für gesellschaftliche Liberalität, vor allem aber auch für Modernität einzusetzen? Wer etwas zur Zukunftsbewältigung zu sagen hat, muss sich nicht den Ewiggestrigen geschlagen geben. (Hans Rauscher, 16.5.2023)