Für Neukunden sinken die Preise nur langsam. Der Wettbewerb findet nicht wirklich statt

Auch auf einem liberalisierten Markt mit mehreren Anbietern ist nicht gesagt, dass tatsächlich echter Wettbewerb entsteht. Diese ökonomische Binsenweisheit scheint sich aktuell auch auf Österreichs Strommarkt zu bewahrheiten. Obwohl die Preise für Strom an der Börse bereits kräftig gesunken sind, bleiben vor allem die großen Player am Markt, also die Landesversorger, zurückhaltend, wenn es darum geht, diese günstigen Preise an potenzielle Neukunden weiterzugeben.

Das führt dazu, dass Preise relativ lange relativ weit oben bleiben. Dieser Befund lässt sich mit Zahlenmaterial unterlegen. Lukas Stühlinger, Geschäftsführer von Fingreen, einem Beratungsunternehmen zur Finanzierung von Energie- und Umweltprojekten, hat für den STANDARD eine Analyse dazu erstellt, wie sich die Beschaffungskosten der Stromanbieter entwickeln und wie sich im Gegenzug dazu ihre Preise für die Verbraucher verhalten.

Als Basis für die Analyse dienen die Preise der Strombörse EEX (European Energy Exchange) in Leipzig, wo Stromprodukte aus ganz Europa gehandelt werden. Energieanbieter verfolgen in ihrer Einkaufspolitik eine sehr ähnliche Strategie, sagt Stühlinger, ehemaliger Vorstand der Oekostrom AG.

Im Regelfall kaufen die Anbieter den Strom für ihre Kunden über acht Quartale, also zwei Jahre, verteilt ein, wodurch sich am Ende ein über diese Periode gemittelter Preis ergibt. Einige Anbieter erwerben den Strom über sechs, andere über zwölf Monate, das ist die Bandbreite der Einkäufe. Stühlinger hat diese Bandbreite des Einkaufspreises genommen und dazu noch eine Gewinnmarge aufgeschlagen, in einer Höhe, wie das vor der Pandemie bei Anbietern üblich war. Wie verhalten sich nun Einkaufspreise plus Margen zu den Preisen, die von Kunden bezahlt werden müssen?

Die Analyse zeigt bei Bestandskunden keine Ausreißer nach oben. Die meisten Anbieter geben den Einkaufspreis an der Börse plus Marge an ihre schon länger bestehenden Abnehmer weiter. Ein Anbieter unterbietet die Konkurrenz: die Kärtner Kelag.

Zur Erklärung: Das Unternehmen erzeugt seinen Strom aus eigener Wasserkraft, ist also de facto nicht von den Börsenpreisen abhängig. Der Verbund hingegen, der seinen Strom ebenfalls selbst aus Wasserkraft erzeugt, bietet zum Börsenpreis an (siehe Grafik). Österreichs größter Energiekonzern hat erst vor wenigen Tagen sein Ergebnis aus dem ersten Quartal 2023 vorgelegt: Vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) ist der Konzerngewinn um 18,7 Prozent auf 967,3 Millionen Euro gestiegen.

Wer Strom aus der eigenen Wasserkraft produzieren kann, bietet aktuell sehr günstig an – oder macht ordentlich Gewinne
Vialit

Dass der Konzern also Strom billig erzeugen und wegen der hohen Marktpreise teuer verkaufen kann, macht sich im Ergebnis bemerkbar.

Wie sieht es aber nun bei Neukunden aus, die also aktuell zu einem anderen Anbieter wechseln wollen? Legt man hier als Basis die aktuellen Preise an der Strombörse und die erwarteten Preise (Futures) bis in die zweite Jahreshälfte 2024 an, und zählt man noch wie vorher eine Gewinnmarge dazu, so zeigt sich, dass die meisten Anbieter deutlich über den erwarteten Einkaufspreisen anbieten. "Es gibt bei den großen Energieversorgern offenbar keinen Wunsch, neue Kunden dazuzugewinnen", sagt Stühlinger.

Auch wer aktuell einen Tarifkalkulatur zum Vergleich nutzt, wird feststellen, dass es nicht wie früher eine ganze Reihe von Lockvogelangeboten gibt. Bestandskunden haben eine überschaubare Anzahl an billigen Alternativen zur Auswahl.

Fehlendes Interesse

Wer wollte, könnte deutlich günstiger auf Kundenfang gehen, wie die Analyse unter Berücksichtigung der Einkaufspreise zeigt. Warum tun das nun Wien Energie, Verbund, Energie AG (Oberösterreich) oder Burgenland Energie nicht?

Darüber lässt sich nur spekulieren. Die Inflationsexpertin Isabella Weber sagt, dass Unternehmen nach einer Phase hoher Preissteigerungen zurückhaltend sind, wenn es darum geht, Preise zu senken. Sie fürchten einen Unterbietungswettbewerb, der letztlich allen schadet.

Bei der E-Control, der staatlichen Energiemarktaufsicht, gibt es einen anderen Erklärungsansatz: Die Anbieter wollen mit ihren Preisen für Neukunden nicht weiter runter, weil sich dann eine hohe Differenz zu den Preisen von Bestandskunden ergeben würde. Haushalte mit länger bestehenden Verträgen würden deutlich mehr zahlen, was zu "Unzufriedenheit" führen würde, wie Johannes Mayer von der E-Control sagt. Wobei es aktuell einige kleine und mittelgroße Anbieter gebe, die versuchten, die gesunkenen Marktpreise weiterzugeben, um neue Kunden zu finden.

Selbst Landesversorger, die ihre Preise für Neukunden drücken, gibt es, sagt Mayer, und verweist auf die Energie Steiermark. Warum tun das die anderen nicht? Generell seien die großen Landesversorger schon in der Vergangenheit nicht erpicht darauf gewesen, mit günstigen Tarifen Marktanteile zu gewinnen. Das wirkt sich aus: Auf diese Versorger entfällt ein Marktanteil von 75 Prozent. Je weniger Wettbewerb da sei, umso langsamer gehe das Preisniveau für Verbraucher hinunter, sagt Mayer. Die Marktaufsicht könne da wenig machen, Unternehmen dazu bewegt, ihre Preise zu senken, habe öffentlicher Druck. Es zeige sich eine typische Zweiteilung am österreichischen Markt: Ein großer Teil der Kunden bleibe bei seinen Versorgern, ein kleiner Teil, der wechselwillig sei, könne von günstigeren Angeboten profitieren.

Stühlinger sagt zudem, dass auch die Strompreisbremse mehr Wettbewerb verhindere: Der staatliche Zuschuss dämpft einen Teil der Kosten, günstigere Angebote schlagen also weniger bei Kunden durch. (András Szigetvari, 17.5.2023)