Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen beim Gipfel des Europarats in Reykjavík.

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Es war der erst vierte Gipfel des 1949 gegründeten Europarats, und sein wichtigster Beschluss war – dem Anlass entsprechend – ambitioniert: Die überwiegende Mehrheit der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, die am Dienstag und Mittwoch im isländischen Reykjavík zusammengekommen sind, will mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ein Schadensregister einrichten. Die darin geplante Dokumentation der von Russland angerichteten Schäden in der Ukraine gilt als erster Schritt auf dem Weg zu möglichen späteren Entschädigungszahlungen.

Das Register, das vorerst für drei Jahre eingerichtet wird, soll im niederländischen Den Haag angesiedelt sein und eine Außenstelle in der Ukraine haben. Mitmachen wollen auch die EU, Kanada, Japan und die USA. Gesammelt werden Informationen sowie Beweise zu Schäden, Verlusten und Verletzungen, die Personen, Einrichtungen oder der ukrainische Staat seit der Invasion am 24. Februar 2022 durch russische Angriffe erlitten haben. Die Führung des Schadensregisters soll unabhängig von Staaten und internationalen Organisationen sein.

Mittel für Entschädigungsfonds

Um die Schäden nicht nur dokumentieren, sondern letztlich auch kompensieren zu können, ist darüber hinaus eine neue internationale Stelle zur Abwicklung künftiger Entschädigungen geplant. Diese soll sowohl über eine Kommission für die Anmeldung von Ansprüchen als auch über einen Entschädigungsfonds verfügen. Die zentrale Frage, woraus dieser Fonds gespeist werden soll, blieb zunächst jedoch offen. Als denkbare Variante gilt auch die Verwendung beschlagnahmter russischer Vermögen im Ausland.

Der Europarat mit Sitz im französischen Straßburg ist – anders als der Europäische Rat – keine Institution der EU. Die 46 Staaten umfassende Organisation sieht sich als Hüterin von Menschenrechten und europäischen Werten. Auch der ebenfalls in Straßburg angesiedelte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gehört zum Europarat, wohingegen der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die oberste Rechtsinstanz der EU ist. Russland wurde 2022 nach dem Angriff auf die Ukraine aus dem Europarat ausgeschlossen, die Mitgliedschaft des mit Russland eng verbündeten Belarus wurde suspendiert.

Am Dienstag, dem ersten Gipfeltag, war auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video zugeschaltet. Erneut forderte er die Lieferung von mehr Luftverteidigungssystemen und von Kampfjets.

Gemeinsames Datenmaterial

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der britische Premier Rishi Sunak und der französische Präsident Emmanuel Macron bezeichneten das in Reykjavík beschlossene Schadensregister als zentrales Element der Aufarbeitung des Krieges gegen die Ukraine. Es sei eine "Voraussetzung dafür, dass mit gemeinsamen Daten gearbeitet werden kann", erklärte etwa Scholz.

Auch Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen sieht die Einrichtung des Registers als "wesentlichen Schritt": Vor 30 Jahren sei in Wien beim ersten Gipfeltreffen des Europarats "ein klares Bekenntnis zu Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" abgegeben worden. "Drei Jahrzehnte später sind wir Zeugen eines Angriffskriegs ungeahnter Brutalität und Ausmaßes", so Van der Bellen. Russland habe sich damit "klar außerhalb unserer europäischen Rechts- und Wertegemeinschaft gestellt". (Gerald Schubert, 17.5.2023)