Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwoch in Reykjavík bei der Unterschrift zur Gründung des neuen Schadensregisters für die Ukraine.

Foto: APA / Bundesheer / Peter Lechner

In der Debatte um Unterstützung bei Minenräumungen in der Ukraine hat sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwoch für ein rasches Engagement Österreichs ausgesprochen. "Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung bei der Frage der Entminung immer noch zögert", erklärte Van der Bellen am Rande des Europarats-Gipfels im isländischen Reykjavík.

Wie DER STANDARD vergangene Woche berichtete, hatte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) zuvor eine Beteiligung an Minenräumaktionen abgelehnt und sich dabei unter anderem auf die österreichische Neutralität berufen. Dem widerspricht nun der Bundespräsident: "Allfällige Sicherheitsbedenken für Entminungspersonal müssen natürlich berücksichtigt werden, aber eines muss klar sein: Unterstützung bei der Entminung ziviler Bereiche wie Wohnhäuser, Schulen, Kindergärten oder landwirtschaftlicher Gebiete widerspricht sicher nicht der österreichischen Neutralität, sondern ist eine humanitäre Angelegenheit."

Am Donnerstag betonte Tanner gegenüber Ö1, dass es aktuell nicht möglich sei, in der Ukraine "zwischen einer humanitären und einer militärischen Entminung unterscheiden zu können". Zudem seien die österreichischen Entminungsgeräte aktuell im Westbalkan im Einsatz. Eine europaweite humanitäre Entminungsaktion in der Ukraine würde Österreich aber finanziell unterstützen, so Tanner.

Die Verteidigungsministerin hatte zuvor außerdem argumentiert, sie könne sich "eine Unterstützung der Ukraine bei der Entminung durch unser Bundesheer vorstellen, allerdings erst nach Ende des Krieges, alles andere würde dem Verfassungsrecht widersprechen". Als Begründung ließ sie auf Nachfrage wissen, es gebe keine Garantie, dass die Minenräumungen letztlich "nicht durch Kriegsteilnehmer genutzt werden, um einen strategischen Angriff zu starten, weil die Wege wieder sicherer befahrbar sind". Man werde jedenfalls "keine Involvierung österreichischer Soldaten, wenn auch nur indirekt, in Kriegshandlungen riskieren".

Völkerrechtsexperte widerspricht Tanners Linie

Kritik am Standpunkt der Verteidigungsministerin kam auch bereits vom Koalitionspartner. David Stögmüller, Wehrsprecher der Grünen, sagte dem STANDARD, es spreche nichts gegen eine österreichische Unterstützung der Ukraine bei der Entminung abseits der Frontlinien – im Falle eines etwaigen EU-Mandats auch mit Bundesheersoldaten. Im Gegenteil: Diese sei geradezu eine "soziale Notwendigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung und ganz besonders gegenüber Kindern".

Auch der Völkerrechtsexperte Ralph Janik von der Uni Wien widersprach der Linie Tanners: Österreich dürfe "aufgrund der EU-Beschlüsse mehr, als die Regierung anscheinend tun will". Humanitäres Entminen sei "keine direkt-militärische Maßnahme gegen eine fremde Armee". Der Politikwissenschafter Franz Eder vom Foreign Policy Lab der Uni Innsbruck hat ebenfalls keine rechtlichen Bedenken, "sofern es sich eben um keine militärische Entminung handelt, die den direkten Kriegszielen der Ukraine nützt".

Reaktionen von FPÖ und Neos

FPÖ-Chef Herbert Kickl sagte am Mittwoch in einer Aussendung, dass ein Entminungsdienst in der Ukraine der österreichischen Neutralität widersprechen würde: "Van der Bellen begibt sich auf ein gefährliches politisches Glatteis, wenn er meint, dass österreichische Soldaten in der Ukraine Minen entschärfen könnten", so Kickl. Auch der ÖVP-Wehrsprecher Friedrich Ofenauer sprach sich in einer Aussendung gegen eine österreichische Unterstützung bei der Entminung in der Ukraine aus.

Unterstützung bekam Van der Bellen unterdessen vom Sicherheits- und Verteidigungssprecher der Neos, Douglas Hoyos: "Wir freuen uns über die klare Ansage des Bundespräsidenten. Wenn sich selbst der Oberbefehlshaber über das österreichische Bundesheer für eine Unterstützung bei der Entminung ziviler Bereiche in der Ukraine ausspricht, kann Verteidigungsministerin Tanner den Vorschlag nicht länger von vornherein ablehnen." Er forderte die Verteidigungsministerin auf, eine Unterstützung Österreichs bei der Entminung in nicht mehr vom Krieg betroffenen Gebieten "ernsthaft zu prüfen".

Mit Alexander Van der Bellen ging nun auch der Oberbefehlshaber des österreichischen Bundesheeres auf Distanz zur Zurückhaltung Tanners. Seinen Appell formulierte er just in Reykjavík, wo die Staats-und Regierungschefs des Europarats am Mittwoch die Einrichtung eines Schadensregisters für die Ukraine beschlossen haben. Dieser soll die Zerstörungen in dem von Russland angegriffenen Land dokumentieren, um Moskau dafür später zur Rechenschaft ziehen zu können. (Gerald Schubert, Fabian Sommavilla, 17.5.2023)