Das Künstlerpaar Micha Payer und Martin Gabriel wohnt mit seinem Sohn und zwei Ratten im Wiener Nordbahnviertel. Mit ihrer Tapetentür fühlen sie sich fast wie in der Hofburg.

"Wir wohnen seit zehn Jahren in dieser 115 Quadratmeter großen Genossenschaftswohnung im Wiener Nordbahnviertel. Aus unserer Altbauwohnung mussten wir damals raus. Ein Freund, der an dem Haus mitgeplant hat, hat uns auf dieses Projekt aufmerksam gemacht.

Das Wohnzimmer ist auch Arbeitszimmer: Martin Gabriel und Micha Payer in ihrem Zuhause in Wien.
Foto: Lisi Specht

Im Neubau beträgt die Raumhöhe normalerweise 2,50 Meter – hier sind es 4,30 Meter. Das ist etwas Besonderes, speziell im geförderten Wohnbau, wo es ja immer um die Effizienz geht. Schön ist auch, dass jede Wohnung eine Loggia hat, oben auf dem Dach gibt es außerdem Terrassen für die Gemeinschaft.

Wir haben die Wohnung damals nur auf dem Plan gesehen und uns sofort entscheiden müssen. Das Konzept mit den unterschiedlichen Raumhöhen und der verschachtelten Raumstruktur haben wir nicht gleich durchschaut, aber wir haben gesehen, dass man in der Wohnung um die zentrale Nasszelle herumgehen kann. Das hat uns gleich getriggert; eine Wohnung, in der man im Kreis gehen kann, wollten wir schon immer.

Bei unserer Einrichtung gibt es eine kleine Fluktuation. Wir haben relativ viel selbst gemacht, die Küche zum Beispiel. Die Grundbasis sind Korpusse von Ikea, die wir mit geölten MDF-Platten verkleidet haben. Die Gestelle haben wir geschweißt. Wir verwandeln oft auch Ausstellungsdisplays am Ende in Möbel. Das riesige Regal stammt zum Beispiel von einer Ausstellung in Innsbruck. Ein Objekt haben wir auch schon zu einer Kommode umgebaut. Und die Schiebetür im Eingangsbereich wurde mit Überbleibseln von einer Ausstellung tapeziert. Jetzt verschwindet man hinter der Tapetentür wie in der Hofburg.

Im Nordbahnviertel fühlt sich die dreiköpfige Familie so richtig wohl. Ausstellungsdisplays werden schon mal in Möbel verwandelt.
Fotos: Lisi Specht

Gewisse Dinge stammen aus der Gegend; die Lampen waren zum Beispiel ursprünglich im Eingangsbereich unseres Hauses, aber sie gingen oft kaputt. Schließlich wurden sie ausgetauscht und landeten im Müll. Wir haben sie zum Teil rausgefischt und zu Deckenlampen verbaut. Die Wandfliesen in der Küche sind Bodenfliesen aus der mittlerweile abgerissenen Nordbahnhalle. Die Kunst an den Wänden haben wir mit anderen Künstler*innen gegen Zeichnungen von uns getauscht.

Am Anfang war der Plan, dass wir die Galerie oben als Arbeitsraum nutzen und den offenen Raum darunter als Wohnzimmer. Aber eigentlich sind Wohnzimmer doch überholt! Also haben wir diese Unterscheidung aufgelöst. Jetzt ist das Wohnzimmer auch unser Arbeitszimmer, während die Galerie zuletzt mehr von unserem Sohn Killian genutzt wurde. Das entspricht unserer Wohnphilosophie. Wohnen und Arbeiten fließen ineinander. Wenn man künstlerisch-forschend arbeitet, gibt es diese Idee der Arbeitszeiten ja auch gar nicht. Für uns ist die Vorstellung schwierig, dass man in der Früh aus dem Haus geht und am Abend zurückkommt. Ist doch schön, wenn man jederzeit zwischen verschiedenen Tätigkeiten switchen kann.

Die Ratten werden von den Nachbarn gefüttert, wenn niemand zu Hause ist.
Fotos: Lisi Specht

Unser Sohn war beim Einzug sieben Jahre alt. Es war ideal, dass er von Anfang an alleine rausgehen konnte und keine Straßen zum Spielplatz überqueren musste. Zeitgleich mit uns sind ganz viele andere Familien eingezogen, die Gegend ist ein wahrer Jungfamilientraum. Natürlich wäre ein wenig mehr Durchmischung manchmal schön, aber dadurch hat sich auch gleich eine große Gruppe an Kindern gefunden, die gemeinsam um die Blöcke gezogen sind. Anfangs war hier noch relativ viel unbebaut, es war eine richtige Gstätten, auf der Baumhäuser errichtet wurden und geschaukelt wurde. Und das mitten in der Stadt!

Wir haben hier eine gute Hausgemeinschaft gefunden. Es haben sich richtige Freundschaften entwickelt. Das ist natürlich praktisch, wenn man mal nicht da ist und die Nachbarn unsere Ratten füttern – und wir ein paar Wochen später ihre Meerschweinchen. Im Garten wurden Hochbeete und Sitzgelegenheiten geschaffen, jetzt im Sommer wird oft gegrillt. Und immer, wenn man vorbeigeht, kriegt man ein Glas Wein angeboten." (PROTOKOLL: Franziska Zoidl, 22.5.2023)