Szene aus einem Altenheim: Es sei zu befürchten, dass sich staatliche Mehrausgaben für die Pflege nicht in höherer Qualität niederschlagen, warnen Kritiker – sondern in privaten Profiten.

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Es wirkt paradox: Geht es um die Altenpflege, ist oft von Mangel an Personal und staatlichen Investitionen die Rede. Trotzdem drängen potente Investoren in den Sektor – um satte Profite abzuschöpfen. Wie passt das zusammen? Forscher der Initiative Diskurs – das Wissenschaftsnetz und der Technischen Uni Wien haben dieses "Milliardengeschäft mit der Altenpflege" im Auftrag der Arbeiterkammer unter die Lupe genommen. Das Team sichtete vorhandene Studien, wertete Daten aus, führte Interviews – und erlangte besorgniserregende Ergebnisse. Die vorliegende Studie sei für Österreich als "Warnung" zu verstehen, sagt Manfred Krenn, Arbeitssoziologe bei Diskurs.

Der erste Blick führt nach Großbritannien. Im Vorreiterland im Hinblick auf Privatisierung und Liberalisierung einst staatlicher Dienstleistungen habe sich die Pflegeheimlandschaft komplett gewandelt: Standen laut Untersuchung in den Achtzigerjahren noch 60 Prozent der Betten im Angebot der Kommunen, so entfallen heute über 80 Prozent auf private Betreiber. Diese interessierten sich nicht nur für Angebote für eine betuchte Klientel, die sich ihre Pflege selbst finanziert, so die Erkenntnis. Auch Heime für schlecht situierte Menschen, für deren Versorgung die öffentliche Hand mitzahlt, blieben nicht ausgespart.

"Fragwürdige Praktiken"

Hinter den Investitionen stünden börsennotierte internationale Pflegekonzerne sowie Private Equity Fonds, Kapitalgesellschaften auf der Suche nach oft kurzfristigem Profit. Die Niedrigzinspolitik habe dazu geführt, dass viel überschüssiges Kapital auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten sei, erläutert Krenn: "Wir sprechen hier nicht von kleinen Gewinnen, sondern von Renditeerwartungen der Aktionäre von sieben bis acht Prozent." Wegen der Alterung der Gesellschaft garantiere der Sektor eine langfristige Nachfragesteigerung bei kalkulierbaren Marktrisiken. Denn es ist nicht zu erwarten, dass die Staaten Pflegegeld und andere finanzielle Leistungen plötzlich kappen.

Das Kunststück, trotz knapp bemessener Mittel Profite abzuschöpfen, gelinge mit "fragwürdigen Praktiken", die Krenn unter dem Titel "financial engineering" zusammenfasst. So würden den Heimbetreibern innerhalb der Firmengeflechte überhöhte Mieten oder Kreditzinsen verrechnet, "um rasch Cash zu extrahieren". Gewinne würden an Gesellschaften in Steueroasen verschoben.

Aus Kostendruck bei Pflege sparen

Weil dafür aber erst einmal Überschüsse erwirtschaftet werden müssen, drängt sich der Gedanke auf, dass im Gegenzug bei der Qualität in den Heimen gespart wird. Bislang gebe es zu wenige wissenschaftliche Erkenntnisse, um Verallgemeinerungen zu erlauben, relativiert Krenn. Doch anhand der vorliegenden Indizien könne man davon ausgehen, "dass der Kostendruck zu Abstrichen bei den Investitionen und der Pflege führt".

Wehren könnten sich Betroffene nur bedingt: Weil es in vielen Regionen an Betten mangelt, können Unzufriedene nicht einfach das Heim wechseln. Viele Bewohnerinnen und Bewohner tun sich, etwa weil sie an Demenz leiden, ohnehin schwer, für ihre Rechte einzutreten.

Anzeichen für Spardruck fanden die Forscher auch bei den Arbeitsbedingungen. Nicht nur in Großbritannien, auch im ebenso untersuchten Deutschland liege das Gehaltsniveau der privaten Anbieter unter dem der (wenigen) öffentlichen.

Profite abgeschöpft

Überdies führten die "aggressiven Geschäftsmodelle" zu wirtschaftlicher Instabilität, fügt Krenn an und verweist auf die Konkurse zweier großer Pflegeheimbetreiber in Großbritannien: "Das gefährdet eine verlässliche Versorgung mit Pflegeleistungen." Komme es zu einem Crash, seien die Profite aber längst in Steuerparadiese verschoben. Die verschachtelten Unternehmenskonstruktionen erschwerten öffentliche Kontrolle.

Auch in Österreich hat der Anteil der privaten Betreiber zugenommen, doch laut den letztverfügbaren Zahlen sind immer noch 50 Prozent der Pflegeheime in öffentlicher Hand und weitere 30 Prozent unter Kontrolle gemeinnütziger, nicht profitorientierter Institutionen. Ein so klein dimensionierter Markt dürfte kein Hauptziel großer internationaler Investoren sein, außerdem gibt es besondere Regulierungen. Der flächendeckende Kollektivvertrag setzt Lohndumping Grenzen. Fünf Bundesländer – Tirol, Salzburg, Oberösterreich, Burgenland und Wien – lassen dann, wenn sie für die Pflegeleistungen zuzahlen, prinzipiell nur gemeinnützige Anbieter zu.

Skandale in Frankreich und Österreich

Private Equity Fonds sind hierzulande nicht aktiv, internationale Pflegekonzerne aber doch. Senecura, größter gewerblicher Heimbetreiber in Österreich, gehört zur französischen Orpea-Gruppe, dem dominanten Player am europäischen Markt. Letztere wurde im Vorjahr von einem Skandal erschüttert: Laut einer aufsehenerregenden Recherche des Journalisten Victor Castanet soll in einem französischen Heim an allen Ecken und Enden gespart worden sein. Der Generaldirektor musste gehen, der Aktienkurs des Konzerns stürzte ab.

Reaktion von Senecura damals: Wie alle Ländergesellschaften arbeite man in Österreich völlig autonom – und halte sich strikt an die hiesigen Vorschriften. Von einschlägigen Vorwürfen blieb aber auch dieser Anbieter nicht verschont, so fand die Volksanwaltschaft in einem Salzburger Heim unterernährte und wundgelegene Bewohner. Senecura entschuldigte sich und erklärte die Missstände mit dem in der Corona-Krise niedrigen Personalstand.

Die Studie wolle nicht behaupten, dass privat immer schlecht und staatlich immer gut sei, bilanziert Krenn – schließlich flüchte das Personal hierzulande auch aus öffentlichen Einrichtungen wegen der Arbeitsbedingungen. Aber Investoren, die sich satte Renditen erhofften, ließen keinen positiven Effekt erwarten. Vielmehr sei zu befürchten, dass sich vom Staat zusätzlich in die Pflege gepumptes Geld nicht in höherer Qualität niederschlage – sondern in privaten Profiten. (Gerald John, 20.5.2023)