Die Generation Z hat Schwierigkeiten, sich mit dem politischen Establishment in Griechenland zu identifizieren. Hier sind einige Anhängerinnen der kommunistischen Partei zu sehen.

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"Ich weiß noch nicht, wen ich wählen soll. Von den größeren Parteien kommt auf jeden Fall keine infrage." Der 27-jährige Physiotherapeut Filippas, ohne feste Anstellung, ist nur sicher, dass er sich nicht sicher ist. Er gehört zur sogenannten Generation Z, die große Schwierigkeiten hat, sich rudimentär mit dem politischen Establishment in Griechenland zu identifizieren.

Alle Parteiführer tourten unterdessen dennoch unverdrossen in altbekannter Façon durch das Land, schwangen vor der meist schütteren Kulisse treuer Anhänger Reden auf Plätzen von Dörfern und Städten. In der Metropole Athen nimmt man den Kampf um Stimmen optisch kaum wahr – es ist still wie selten zuvor bei Wahlen in Griechenland. Sittsam lächeln – wenn überhaupt – Konterfeis von Politikern hinter Glas an Busstationen die Passanten an. Die Plakatierungsmanie scheint vergessen. Eine Spur lauter geriert sich das Zentrum der Hauptstadt, wo die Parteien auf die traditionellen Wahlkampfpavillons als potenzielle Feierzellen nicht verzichten wollten.

Tiktok und Youtube als Sieger

"Hoch her geht es nur in den Druckereien", will Pressearbeiter Stavros wissen, der seine Sympathie für die Kommunisten gar nicht verbergen will. "ND, Syriza und Pasok lassen tonnenweise drucken und verschicken wie verrückt Werbematerial." Trotz allem: Altbackener Wahlkampf ist passé, das Zepter haben Social-Media-Kanäle und das Internet übernommen. Auf Websites von Provinzmedien wird man von Kandidatenanzeigen für den kommenden Urnengang geradezu überschwemmt.

Kommunikationsexperten bezeichnen Plattformen wie Tiktok und Youtube schon jetzt als "Sieger" im griechischen Wahlkampf. Dort tummeln sich ja auch jene, auf die es die Parteien ganz besonders abgesehen haben: die rund 430.000 Jungwählerinnen und Jungwähler, die zum ersten Mal an die Urnen gehen, sowie die Alterskategorie der bis 34-Jährigen.

Der aktuelle Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis macht eifrig Wahlwerbung.
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Hochgerechnet kommt die Regierungspartei Nea Dimokra (ND) um den konservativen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis am Sonntag den letzten Umfragen zufolge auf etwa 36 Prozent, darauf folgen Syriza mit 29 und die sozialdemokratische Pasok-KinAl mit etwa zehn. Den Sprung ins Parlament – es gilt eine Sperrklausel von drei Prozent – dürften noch die Kommunisten (KKE), die linksliberale MeRA25 des früheren Syriza-Finanzministers Janis Varoufakis und die rechtspopulistische "Griechische Lösung" schaffen.

Durchwachsene Bilanz des konservativen Kabinetts

Für Mitsotakis, den Spross einer traditionsreichen Politikerfamilie, lief es in der ersten Halbzeit seiner Amtszeit ab Juli 2019 gar nicht so schlecht. Die Krise der Corona-Pandemie zwang das Land nicht in die Knie, man meisterte sie mit ansehnlicher Bravour. Dem schlaksigen Premier gelang es auch, mit einer Dosis Law-and-order-Politik nicht nur am rechten Rand zu punkten.

Von der EU-Spitze applaudiert, blockierte er im Frühjahr 2020 den massenweisen Übertritt von Flüchtenden nach Griechenland. Zu dieser Aktion wurden sie vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan mehr als ermuntert. Auch Wien schickte damals dem EU-Partner 13 Cobra-Einsatzkräfte für einen Monat an die Ägäis. Wenige Wochen vor den Wahlen kündigte Mitsotakis nun an, dass man den Grenzzaun am Fluss Evros zur Türkei von derzeit etwa 40 Kilometern Länge auf 140 Kilometer ausbauen werde.

Abhörskandal um Mitsotakis

Sand ins politische Getriebe der ND und ihres Regierungschefs kam dann im Sommer 2022, als der Name Mitsotakis im Zusammenhang mit einem Abhörskandal auftauchte, bei dem unter anderem der Vorsitzende der Oppositionspartei Pasok-KinAl, Nikos Androulakis, sowie Journalisten vom griechischen Geheimdienst EYP observiert wurden. Der Premier gestand zwar in der Folge ein, dass die Überwachung des Politikers nicht korrekt, aber rechtens gewesen sei. Er konnte damit den Eindruck nicht wirklich ausräumen, dass in Teilen des Staatsapparates der Begriff "demokratische Legitimierung" offenbar ein Fremdwort ist.

Zu schaffen macht der ND nicht zuletzt die Teuerung. Zwar scheint man die Inflation halbwegs in den Griff bekommen zu haben – im April fiel sie auf drei Prozent –, problematisch bleibt aber die Kategorie Nahrungsmittel, wo sie bei etwa elf Prozent liegt. Und das schmerzt in erster Linie die sozial Schwächeren.

Belastend, wenn auch nur kurzfristig, wirkte sich das Zugunglück von Ende Februar im Tempe-Tal aus, bei dem 57 Menschen den Tod fanden und Missstände bei der Eisenbahn in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion rückten.

Linker Ex-Premier Tsipras: Gegen das alte Image

Die linke Syriza müht sich, Mitsotakis zu demontieren, scheint aber die Unzulänglichkeiten der ND nicht für eigenen politischen Aufwind nutzen zu können. In einer Umfrage bewerten 54 Prozent die Arbeit der Regierung negativ – ganze 73 Prozent sagen das aber über die Opposition. Dem 48-jährigen Tsipras – seit mehr als 15 Jahren agiert er als Parteichef – gelang es darüber hinaus in den Augen von Europa- beziehungsweise EU-affinen nicht, die Aura des Linkspopulisten abzuschütteln: Nach einem ablehnenden Referendum gegen die von ihm angeblich gehassten Kreditvereinbarungen mit der EU ließ er 2015 neue Sparpakete folgen.

Alexis Tsipras, Parteichef der Syriza, will sein altes Image abwerfen.
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Am Sonntag sind 9,8 Millionen Griechinnen und Griechen dazu aufgerufen, die 300 Abgeordneten des Parlaments und den künftigen Premier zu wählen. Zum Einsatz kommt dabei das einfache Verhältniswahlrecht, was Alleinregierungen fast unmöglich macht. Zurechtgezimmert hat sich diesen Modus die linke Syriza schon 2016, als sie die Geschicke des Landes als Regierung lenkte. Für Mitsotakis geht es am Sonntag vorrangig darum, zu demonstrieren, dass er und seine ND beim voraussichtlich notwendigen zweiten Wahlgang am 2. Juli die absolute Mehrheit knacken können. Dann gilt nämlich ein Bonuswahlrecht, das der stimmenstärksten Partei bis zu 50 Sitze zuerkennt. Für dieses Wahlgesetz sorgte ganz verfassungskonform die ND schon im Jahr 2020.

Wählen in der Urlaubssaison

Es sieht also alles danach aus, dass es in sechs Wochen ein Dacapo für den Urnengang geben wird. Die Urlaubssaison wird dann einen ersten Peak erreicht haben, vor allem junge Menschen dürften zu diesem Zeitpunkt eher an einem Strand die Seele baumeln lassen oder irgendwo in der Tourismusbranche jobben. Wahlen rutschen dann bei dieser ohnehin schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppe in der Prioritätenliste noch ein Stück nach unten. Und das könnte Mitsotakis in die Hände spielen. (Robert Stadler aus Athen, 19.5.2023)