Anna Nicole Smith in der neuen Netflix-Doku.

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Paris Hilton, Taylor Swift, Pamela Anderson, Meghan Markle: Dokumentationen über weibliche Stars fluten derzeit die Streamingdienste. Geschichten, Spielfilme und Dokus über Prominente sind per se alles andere als neu. Die kürzlich erschienenen Dokus haben aber eine neuere Gemeinsamkeit: Die Frauen selbst stehen hinter dem Filmprojekt – oder zumindest ihnen nahestehende Personen, bei Pamela Anderson waren es etwa ihre Söhne. Sie wollten ihre Geschichte, nach den unzähligen Versionen, die verbreitet wurden, nun selbst erzählen.

Eine diese Woche auf Netflix erschienene Dokumentation über eine prominente Frau schert hier allerdings aus. Mit dem Titel "Anna Nicole Smith: You Don't Know Me" will der knapp zweistündige Film an den selbstermächtigenden Ton anderer aktueller Dokumentationen über weibliche Stars anknüpfen. Doch dieses feministische Marketing täuscht nicht lange darüber hinweg, dass der Film genau das macht, was er vorgibt zu kritisieren. "Sie hielten die Kamera über den Zaun, um ihr Leid zu beobachten", heißt es in der Doku, als es gerade um den Tod des 20-jährigen Sohnes von Anna Nicole Smith und ihre Trauer geht. Diese Erzählung ihres tragischen Lebens wird genau zu der Art von Ausbeutung, die der Film versucht zu verurteilen, schreibt etwa "Variety".

Netflix

Anna Nicole Smith wurde 1967 geboren und wuchs in einem kleinen Ort in Texas auf. Sie brach die Schule ab, arbeitete in einem Schnellrestaurant, dann in Houston als Stripperin, bis sie als Model entdeckt wurde. Ab den frühen 1990er-Jahren war sie als Model für den "Playboy" und die Jeansmarke Guess erfolgreich. Besonders bekannt wurde sie aber für ihre Beziehung zu dem damals knapp 90-jährigen Milliardär J. Howard Marshall und durch den Rechtsstreit um einen Teil seines Geldes nach seinem Tod.

Vielfach wurde ihr in den Medien nachgesagt, nur hinter seinem Geld her zu sein – "Anna Nicole Smith: You Don't Know Me" spielt in dieses Klischee des ausgenutzten, hilflosen, alten Mannes hinein, wenn Aufnahmen von Telefonaten zwischen Smith und Marshall implizieren, sie habe ihn nie zurückgerufen, oder eine "Freundin" erzählt, dass Smith Marshall "als Bankomat" genutzt habe. Sie habe "genau" gewusst, was sie tun musste, um Aufmerksamkeit zu erregen, wie man Männer anmacht, wie wichtig ihr Geld war – und wo sie wohl gelogen hätte, wie die befragten Protagonist:innen der Doku jedenfalls sagen. Davon zeigt sich auch die Regisseurin des Films, Ursula Macfarlane, überzeugt: "Sie war eine Schwindlerin."

Respekt für Hugh, Häme für Models

Es bleibt bei Urteilen über die Einzelne. Währenddessen bleibt die Rolle von Unternehmen, zum Beispiel das "Playboy"-Imperium, völlig außen vor. Wie schon in der Pamela-Anderson-Doku wird die "Playboy"-Villa und der Titel "Playmate" als ultimatives Karriereziel und als Sprungbrett für eine große, über das Modeln hinausgehende Karriere dargestellt. Die Frauen fassen ihr Glück kaum, dass ihnen ein Mann wie Hugh Hefner eine "Chance" gibt. Dass er ein Vermögen mit dem sexistischen, herabwürdigenden Blick auf Frauen verdient, wird nicht thematisiert. Ebenso, dass das große Versprechen einer Karriere abseits eines Nacktmodels nicht hält. Denn letztlich werden sie dafür verachtet, sich ausgezogen zu haben, während man die Industrie dahinter als kapitalistisches Naturgesetz hin nimmt und Männern wie Hugh Hefner Respekt zollt.

Als Model für die Jeansmarke "Guess" war Smith auf ihrem kurzen Karriere-Hoch.
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Auch der zutiefst klassistische Blick, der auf Anna Nicole Smith und ihre soziale Herkunft gelegt wurde, bleibt in der Dokumentation außen vor. Darin wurde ihr einerseits vorgeworfen, die Geschichte ihrer Kindheit in Armut übertrieben zu haben. Was der Film allerdings auslässt: Der Titel "White Trash" wurde ihr auch von anderen, ohne ihr Zutun, angeheftet. So nutzte das "New York"-Magazin einen Schnappschuss beim Fotoshooting als Cover, ohne dass das mit Smith abgestimmt gewesen wäre. Der Titel lautete "White Trash Nation". Darauf zu sehen war Anna Nicole Smith in einem rosa Top und weißen Cowboystiefeln, während sie gerade in ein Chipssackerl greift – offenbar ein Symbol für die "unteren Zehntausend". Der Aufstieg von "ganz unten", der amerikanische Traum, ist fixer Bestandteil des US-amerikanischen Gesellschaftsvertrages. Es ist eine Erzählung, die sowohl von Prominenten selbst als auch durch die medialen Darstellung über sie ständig bemüht wird. In der Smith-Doku wird diese Erzählung plötzlich zu einer der großen Lebenslügen von Anna Nicole Smith.

Gleichzeitig naiv und berechnend

Smith wird als naiv und hinterhältig gleichzeitig dargestellt. So naiv, dass sie pleiteging, obwohl ihr Mann ihr Millionen Dollar gegeben hatte. Und so hinterhältig, dass sie wohl kalkuliert besonders traurige Episoden aus ihrer Kindheit erzählte, die – wie eine frühere Freundin und ihre Mutter sagen – nicht gestimmt hätten. Ihnen gehörten die letzten Filmminuten – ihnen gehört das letzte Wort.

Noch schwerer wiegt, dass die Dokumentation Parallelen zu genau jenen Boulevardberichten zeigt, die Anna Nicole Smiths Leben zur Qual gemacht haben – lässt sogar Paparazzi zu Wort kommen, anstatt Medienwissenschafter:innen, die die Rolle des Boulevards in der Zeit vielleicht objektiver einschätzen könnten. Von Angehörigen oder vermeintlichen Freund:innen erzählte Geschichten werden zur Headline stilisiert, was sie selbst sagt, wird von anderen als möglich oder unmöglich bewertet. So erzählt eine Freundin, Smith hätte ihr erzählt, ihr Vater, den sie erst als Erwachsene kennengelernt hat, habe versucht, mit ihr Sex zu haben. Ihr Bruder sagt schließlich, er könne es sich vorstellen, dass es so gewesen sei. Detailliert packt eine frühere Freundin auch über ihre sexuelle Beziehung zu Smith aus.

Kontrolle zurückerobern

Der Film steht in deutlichem Kontrast zu den in den vergangenen Monaten erschienenen Dokus, etwa über Pamela Anderson, Paris Hilton oder Meghan Markle, in denen der Versuch einer Neubetrachtung im Zentrum steht und die Betroffenen selbst ihre Geschichte erzählen. Ähnlich war es in der Serie "American Crime Story: Impeachment", die die Affäre zwischen Bill Clinton und Monica Lewinsky sowie das darauffolgende Amtsenthebungsverfahren thematisierte und bei der Lewinsky selbst mitproduziert hat.

In den 1990er- und 2000er-Jahren lag die Erzählung über prominente Frauen jahrelang in den Händen von (Boulevard-)Medien und Paparazzi, mit Dokus versuchten prominente Frauen, die Kontrolle über das Narrativ selbst in die Hand zu nehmen – und zeigten damit eine Perspektive, die lange nicht beachtet wurde. Dies gilt es allerdings bei aller Begeisterung über die Selbstermächtigung nicht außer Acht zu lassen: Auch hier wird vorrangig ein, nämlich ihr eigener Blickwinkel, gezeigt. Und natürlich stehen dahinter auch eigene PR-Interessen.

Frauenfeindlichen Voyeurismus

Andere Filmprojekte, wie "Framing Britney Spears" oder "Pam & Tommy" versuchten die Neubetrachtung ohne Mitwirkung der Betroffenen – schaffen für sie selbst allerdings Retraumatisierungspotenzial. "Ich bekomme davon Albträume", sagte Pamela Anderson über die 2022 erschienene Serie "Pam & Tommy", die den Skandal um das gestohlene Sex-Tape neu erzählte. "Ich habe das aus meinem Leben verbannt, musste das tun, damit ich überlebe. Es war ein Überlebensmechanismus. Und jetzt kommt alles wieder hoch, mir ist übel."

Alle diese Filme spielen unterschiedslos mit dem Label der Selbstermächtigung, mit einer Wiederaneignung der Geschichte dieser öffentlich verachteten Frauen. Letztlich sind die qualitativen Differenzen aber groß. Und wie die erschienene Doku über Anna Nicole Smith deutlich zeigt, ist auch eine Neuerzählung einer alter Geschichte manchmal nur eines: eine Reproduktion des üblichen frauenfeindlichen Voyeurismus. (Beate Hausbichler, Noura Maan, 21.5.2023)