Ginge es nach dem Oberbefehlshaber des Bundesheeres, sollten österreichische Soldaten lieber heute als morgen in die Ukraine aufbrechen, um in der Umgebung von Schulen und Kindergärten die international geächteten Antipersonenminen aufzuspüren und unschädlich zu machen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj stellen eine solche Militäroperation als humanitären Einsatz dar – vergleichbar etwa mit der Entsendung der Austrian Forces Disaster Relief Unit (AFDRU) in Katastrophengebiete. Und sie halten so einen Einsatz – im Einklang mit einigen Verfassungsexperten – für vereinbar mit der Neutralität.

Van der Bellen hat schon mehrfach gezeigt, dass er Einfluss auf die Arbeit der Bundesregierung nehmen will.
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Da ist etwas dran: Österreich hat sich längst von der 1955 erklärten "immerwährenden Neutralität nach Schweizer Muster" verabschiedet. Seit den 1990er-Jahren lautet das Mantra, dass Österreich seine Neutralität selbst interpretiere – immerhin gibt es ja seit dem EU-Beitritt Beistandsverpflichtungen zu erfüllen, vor denen sich Österreichs Bundesregierung im Ernstfall nicht drücken könnte. Und wenn man die Selbstinterpretation der Neutralität noch weiter dehnen will, kann Österreich natürlich auch Soldaten in Kriegsgebiete schicken.

Hilfe für Kriegspartei

Genau das wäre der Fall, wenn ein Entminungsteam des Bundesheeres etwa in den Vororten von Kiew aufkreuzte: Unter dem anhaltenden russischen Beschuss der ukrainischen Hauptstadt Minen zu räumen wäre eine neue Qualität der österreichischen Militäreinsätze.

Es wäre eine militärische Hilfe für eine Kriegspartei – denn die russischen Minen liegen ja nicht zufällig dort, wo sie liegen, sondern um die Bewegungsfreiheit der ukrainischen Truppen einzuschränken. Räumt man sie weg, ist das eben nicht nur eine humanitäre Hilfe, sondern auch eine taktische für eine der Kriegsparteien.

Außerhalb Österreichs würde das kaum noch jemand als Handlung eines neutralen Staates interpretieren. Innerhalb Österreichs auch nicht. Das heißt nicht, dass man eine solche Hilfe ausschließen sollte. Wer eine De-facto-Kriegsteilnahme Österreichs will, sollte das aber klar sagen.

Bisher galt, dass Österreichs Militär nur an international mandatierten Friedensoperationen teilnimmt – sollte dieses Prinzip nicht mehr gelten, so müsste man das der Bevölkerung und der Staatengemeinschaft in geeigneter Weise nahebringen.

Fehlendes Personal

Bisher galt auch, dass der Bundespräsident zwar formell Oberbefehlshaber des Bundesheeres ist – als solcher aber allenfalls am Nationalfeiertag in Erscheinung tritt. Die tatsächliche Befehlsgewalt geht aber von der Bundesregierung aus und wird von der Bundesministerin für Landesverteidigung und den dem Verteidigungsministerium nachgeordneten Dienststellen ausgeübt. Van der Bellen hat schon mehrfach gezeigt, dass er Einfluss auf die Arbeit der Bundesregierung nehmen will. Das steht ihm zu – aber auch das ist ein Traditionsbruch, der eine eingehende öffentliche Diskussion verdienen würde.

Schließlich die Sachfrage: Können die für solche (ziemlich gefährlichen) Einsätze qualifizierten Experten des Bundesheeres überhaupt ad hoc mit dem notwendigen Minenräumgerät in die Ukraine verlegt werden? Die Antwort ist ernüchternd: Selbst wenn Konsens über einen solchen Einsatz bestünde, fehlt es aufgrund jahrzehntelanger Sparpolitik an Personal und Gerät dafür. (Conrad Seidl, 18.5.2023)