Die syrische Tragödie lässt sich nicht nur an den hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen seit 2011 ablesen, sondern auch an simplen diplomatischen Fakten: Im März 2013, also vor gut zehn Jahren, nahm der damalige Oppositionsführer Moaz al-Khatib den Stuhl Syriens beim Gipfel der Arabischen Liga in Doha im Emirat Katar ein und sprach im Namen des syrischen Volkes. Am Freitag ist erstmals wieder Bashar al-Assad, seit 2000 Erbpräsident Syriens nach seinem Vater Hafiz al-Assad, als Repräsentant Syriens bei einem Liga-Gipfel, diesmal in Jeddah in Saudi-Arabien.

Die Menschen in Syrien – im Bild eine Straßenszene in Damaskus – erhoffen sich von der Rückkehr in die Arabische Liga, dass der Wiederaufbau ihrer Wirtschaft nach dem Krieg wieder anläuft.
Foto: Reuters / Firas Makdesi

Moaz al-Khatib, ein früherer Imam der Omayyaden-Moschee in Damaskus, war damals als Chef der "Nationalkoalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte" bereits am Aufgeben. 2022 sagte er in einem Interview: "Die syrische Opposition ist klinisch tot wie das syrische Regime." Aber die Rückkehr Assads in die Arabische Liga straft zumindest den zweiten Teil des Satzes Lügen.

Tief betroffen melden sich aus allen möglichen Teilen der Welt syrische Oppositionsvertreter zu Wort. Al-Jazeera zitiert Mohammed Ghanem vom Syrian American Council: Die Liga sende die "blutgetränkte Botschaft", dass man morden und zerstören und trotzdem wieder mit offenen Armen aufgenommen werden könne. Die Arabische Liga solle sich umbenennen, sagt ein Syrer im letzten von der Opposition gehaltenen Teil Syriens, der Provinz Idlib: Der Iran habe sie durch seinen Agenten Bashar al-Assad infiltriert.

Große Not in Syrien

Auf den Straßen Damaskus’ sieht das wieder anders aus. Auch wenn unter dem syrischen Schreckensregime schwerlich jemand dagegen reden wird: Die Hoffnung, dass sich die Lage der Menschen wenigstens wirtschaftlich zum Guten wendet, ist da. Die syrische Lira ist auf einem Tiefpunkt, es gibt keine Jobs, viele Menschen leiden echte Not.

Schon warnen im Dienst des Regimes stehende – andere gibt es gar nicht – syrische Medien vor zu hohen Erwartungen: Es wird nicht alles mit einem Schlag normal werden. Es sei nicht das Ende des Krieges, sondern nur der Beginn des Endes des Krieges.

Auch in der Arabischen Liga sprechen viele von einem vor allem "symbolischen Schritt". Dass Assad Syrien durch Drogenhandel mithilfe der libanesischen Hisbollah finanziert und die Nachbarländer mit Captagon-Pillen überschwemmt werden, war einer der Gründe dafür, dass sich die Araber wieder mit ihm einlassen. Um Gegner wie Katar zu besänftigen, wird ein ministerielles Komitee eingerichtet, das an einer "umfassenden Lösung" des Syrien-Konflikts arbeiten soll.

Die syrische Opposition scheint dabei derzeit keine große Rolle zu spielen. Immerhin bezieht sich die Liga bei ihrer Umarmung Assads jedoch auf die Uno-Sicherheitsratsresolution 2254 aus dem Jahr 2015, die einen politischen Prozess fordert.

Sudan auf Tagesordnung

Für Syrien ist genauso wenig eine politische Lösung in Sicht wie für andere Konflikte in Mitgliedsstaaten der Liga, die auf der Tagesordnung des Gipfels stehen. Neu ist die akute Krise im Sudan. Da ziehen auch nicht alle Araber an einem Strang: Während Saudi-Arabien und Ägypten klar den sudanesischen Armeechef Abdelfattah al-Burhan unterstützen, tendieren andere zum zweiten Putschgeneral, Mohammed Hamdan Dagalo.

Auch was den Sudan betrifft, hat Saudi-Arabien die Initiative ergriffen und den Kriegsparteien in einem Treffen in Jeddah vor gut zehn Tagen Konzessionen für humanitäre Korridore abgerungen. Aber nichts davon ließ sich bisher umsetzen. Beim Liga-Treffen ist Sudan durch den Botschafter des "Souveränen Transitionsrats" vertreten, dessen Präsident Burhan und dessen Vizepräsident Dagalo ist, die jetzt auf dem Rücken der Sudanesen und Sudanesinnen um die Macht kämpfen.

Ebenfalls Thema ist der Jemen. Saudi-Arabien und der Iran haben im März auf Vermittlung Chinas einen Normalisierungsprozess eingeleitet, die damals angekündigte Wiedereröffnung der jeweiligen Botschaften ist schon seit 10. Mai überfällig. Die Saudis unterstützen die jemenitische Regierung, die Iraner die Huthi-Rebellen, die seit 2014 die Hauptstadt Sanaa kontrollieren: Zwar zeichnet sich auch hier keine politische Lösung ab, aber ein saudisch-iranischer Konsens könnte die Lage beruhigen.

Starkes Vorsitzland

Saudi-Arabien unter dem umstrittenen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS) hat den Vorsitz der Arabischen Liga von Algerien, das nie völlig mit Syrien brach, übernommen. MbS sitzt momentan klar in der Führerkabine der arabischen Diplomatie. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), deren Präsident Mohammed bin Zayed als Mentor und Vorbild MbS’ galt, scheinen redimensioniert.

Durch das Engagement mit Syrien und dem Iran verspricht sich Saudi-Arabien zweifellos auch mehr Einfluss in Libanon, wo die mit Assad verbündete Hisbollah eine der Hürden bei der überfälligen Wahl eines Präsidenten darstellt. Auch der Irak leidet unter einer Spaltung von schiitischen Iran-Klienten einerseits und jenen, die sich in Richtung arabische Staaten orientieren wollen.

Riads Honeymoon mit Teheran und Damaskus verhindert jedoch nicht die Gerüchte, dass eine saudisch-israelische Normalisierung weiter in der Pipeline bleibt. Auf Axios schreibt Barak Ravid, dass sich die US-Regierung von Joe Biden derzeit aktiv darum bemüht.

Die arabisch-israelischen "Abraham Accords", die bisher von den VAE, Bahrain und Marokko – Sudans Beitritt blieb stecken – abgeschlossen wurden, sind ein Baby Donald Trumps. Für Israel wäre ein Beitritt der Saudis ein Triumph. Biden will sich bei MbS wieder ins Spiel bringen, seine Vorbehalte wegen der Ermordung des Washington Post-Kolumnisten Jamal Khashoggi sind Vergangenheit. (Gudrun Harrer, 19.5.2023)