Nicht nur aktuell, sondern bereits um 500 vor Christi Geburt beschäftigte die Menschen der Umgang mit Krisen und die Stärkung der eigenen Widerstandskraft.

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Plötzlich auftretende belastende Lebensereignisse und -umstände können bis zur Resignation entmutigen. Fehlt es in solchen Momenten an Gegenkräften, mit deren Hilfe die Tendenz zur Selbstaufgabe aufgefangen und gestoppt werden kann, wird es kritisch. Mit dieser Entwicklung beschäftigte sich der chinesische Weisheitslehrer Konfuzius um 500 vor Christi Geburt. Im Ergebnis kam er zu der Erkenntnis "In der Ruhe liegt die Kraft" zur Bewältigung. Bis zum heutigen Tag ist das der maßgebliche Ratschlag im Umgang mit dem, was wie auch immer umtreibt: Ruhe bewahren, sich nicht völlig von dem Problematischen vereinnahmen lassen, aus dem inneren Abstand zu dem Äußeren Möglichkeiten entwickeln, mit der Situation umzugehen. Aus dieser Geisteshaltung entwickelte sich eine starke philosophische Strömung, der Stoizismus.

Der amerikanische Philosophieprofessor William B. Irvine widmet dem Stoizismus zwei lesenswerte Bücher: Eine Anleitung zum guten Leben – Wie Sie die alte Kunst des Stoizismus für Ihr Leben nutzen und Von der Herausforderung, ein Stoiker zu sein – Ein philosophisches Handbuch für mehr Stärke, Seelenruhe und Resilienz. Obwohl der Stoizismus eine Philosophie ist, so Irvine, "enthält er doch eine wichtige psychologische Komponente. Hatten doch bereits die Stoiker erkannt, dass aus einem Leben voller negativer Emotionen wie Wut, Angst, Trauer und Neid kein gutes Leben erwachsen kann. Aus diesem Grund wurden sie zu aufmerksamen Beobachtern der Arbeitsweise des menschlichen Geistes und zählten in der Folge zu den hellsichtigsten Psychologen der Antike."

Inmitten aller Turbulenzen

Die Geburtsstunde des Stoizismus liegt um 300 vor Christi Geburt. Zu dieser Zeit begann im antiken Athen eine Gruppe geistige Techniken zu entwickeln, mit deren Hilfe sich entkräftende und entmutigende Gefühle kontrollieren ließen. Wie Konfuzius sahen ihre Mitglieder die einzige Möglichkeit, um mit dem umzugehen, womit das Schicksal zu konfrontieren beliebt, in unerschütterlicher innerer Ruhe. Unaufgeregt, gefasst und gelassen, nur diese Geisteshaltung mache es möglich, nicht unter dem Schicksal zusammenzubrechen. Der Begriff "stoische Gelassenheit" steht bis zum heutigen Tag für das Verhalten von Menschen, die sich in den Turbulenzen des Alltagsgeschehens durch innere Ruhe und situativen Gleichmut auszeichnen.

Das stoische Gedankengut sprang von Griechenland auf das antike Rom über. Nach der Zeitenwende wurde es auch dort zu einer wichtigen Denkrichtung. Neben Seneca, dem Lehrer Neros, der später von seinem Schüler gezwungen wurde, Hand an sich selbst zu legen, und dem Philosophenkaiser Marc Aurel, der die meiste Zeit seiner Regierung im Feldlager verbrachte, wo er auch seine Selbstbetrachtungen niederschrieb, ist Epiktet der bekannteste Verfechter der stoischen Lebenseinstellung und -gestaltung. "Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Meinungen und Beurteilungen über die Dinge", betonte der 135 n. Chr. verstorbene, als Sklave nach Rom gekommene, dann freigelassene Philosoph. Und: "Wohin du deine Aufmerksamkeit richtest, bestimmt, wer du wirst. Wenn du nicht selbst bestimmst, mit welchen Gedanken und Bildern du deinen Kopf füllst, werden es andere für dich bestimmen."

Aufmerksamkeit steuern

Epiktets Hinweise verdeutlichen, was neben der inneren Ruhe maßgeblich zur Ausbildung psychischer Widerstandsfähigkeit, zur Resilienz beiträgt: die Fähigkeit zur Steuerung der Aufmerksamkeit. Worauf richte ich meine Aufmerksamkeit? Ausschließlich auf das Problematische an sich oder darauf, wie es möglich werden könnte, mit dem Problematischen umzugehen? Der gezielte Einsatz der Aufmerksamkeit bremst das Verrennen in Negativbetrachtungen mit den Folgewirkungen Entmutigung und Resignation. Volker Busch legt das in Kopf frei! Wie Sie Klarheit, Konzentration und Kreativität gewinnen sehr hilfreich dar. Busch ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und arbeitet therapeutisch mit Menschen, die unter Belastungen verschiedenster Art leiden. Als Wissenschafter leitet er eine neurowissenschaftliche Arbeitsgruppe an der Universität Regensburg, in der er mit seinem Team die psychophysiologischen Zusammenhänge von Stress, Schmerz und Emotionen erforscht.

Über ein fiktives Extrembeispiel für Resilienz berichtet die in Wien lebende und arbeitende Tina Breckwoldt in Die ganze Wahrheit über Münchhausen & Co. – Über 300 Jahre Lügengeschichten. Baron von Münchhausen, der bekannte Lügenbaron, droht auf einem Ritt im Morast zu versinken. Wie Münchhausen sich nun aus dieser lebensgefährlichen Situation befreit, ist ein Musterbeispiel psychischer Widerstandsfähigkeit. Münchhausen fügt sich nicht in sein Schicksal, er ergreift die Initiative. "Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarschopfe, samt dem Pferd, welches ich fest zwischen meine Knie schloss, wieder herausgezogen hätte." Flunkerei, keine Frage. Und doch auch eine wichtige Wegweisung für schwierige Momente: Selbstbedauern ist kein Problemlöser.

Es geht um die Einstellung

"Die Erkenntnis, dass das Problematische kritischer Situationen nicht das eigentliche Problem ist, sondern die mentale Einstellung dazu, eröffnet die Möglichkeit, die psychische Widerstandsfähigkeit der Trainingsarbeit zugänglich zu machen", erklärt der Geschäftsführer der Münchner Coverdale-Unternehmensberatung Thomas Weegen. Dadurch lasse sich ein psychophysischer Entlastungseffekt erzielen, dessen Wirkung gerade auch Belastendes in Führung und Zusammenarbeit spürbar reduziere. Das sei insofern bedeutungsvoll, als Führung und Zusammenarbeit unter dem gegebenen Anspannungsdruck schnell in potenziell stark belastende konfrontative Verhaltensweisen abgleiten könnten. "Bestimmen die erst einmal die Umgangsqualität, wühlt das die Gemüter so auf, dass selbst banalste Kleinigkeiten oder Nebensächlichkeiten zu permanenten Reibungsflächen werden. Kooperation wird zu Konfrontation. Konfrontation mündet in Entkräftung."

Deshalb zielten Resilienztrainings schwerpunktmäßig auf die Veränderung der inneren Einstellung zu dem Äußeren. Ihre Zielvorstellung sei die Herauslösung aus fixierten und verhärteten Betrachtungs- und Verhaltensweisen. Bekomme doch die Auseinandersetzung mit sachlich wie menschlich Belastendem erst ihre eigentliche destruktive Qualität durch die vermeintliche Alternativlosigkeit im Umgang damit. Die dadurch aufkommende – oft auch wütende – Hilflosigkeit, nicht mehr weiterzuwissen, sei der wohl problematischste Gegenspieler des couragierten Umgangs mit Problematischem. "Resilienztrainings sind deshalb nicht als Leistungstrainings anzusehen, sondern als Entlastungstrainings. Das Ergebnis, das am Schluss eines Resilienztrainings stehen sollte, ist die erkannte Möglichkeit, weniger in sich selbst befangen und dadurch befreiter und entspannter arbeiten und leben zu können", sagt Thomas Weegen. (Hartmut Volk, 21.5.2023)