In Rotterdam und Groningen entsteht das Hyperloop-System der niederländischen Firma Hardt Hyperloop.
Foto: Hardt Hyperloop

Genau zehn Jahre ist es her, dass Tesla- und Space-X-Chef Elon Musk wieder einmal mit einer revolutionären Idee vorpreschte. In einer Vakuumröhre sollen Kapseln mit 1.200 km/h, also nahe Schallgeschwindigkeit, Personen und Fracht von A nach B fahren. Das an eine moderne Magnetschwebebahn erinnernde System namens Hyperloop könne Passagiere von Los Angeles nach San Francisco und somit also auch von Wien nach Bregenz in einer halben Stunde bringen. Mit etwas Glück könnte das futuristische Vorhaben in zehn Jahren realisiert werden, zeigte sich Musk damals optimistisch.

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DER STANDARD

Der Hyperloop aus Rotterdam

Der umtriebige Milliardär stellte bald klar, dass er seine Vision nicht mit eigenem Forschungseinsatz und finanziellem Aufwand in die Tat umsetzen wolle. Vielmehr stehe es jeder Firma frei, die skizzierte Technologie zu entwickeln. Der darauffolgende Hype, der unter anderem zur Gründung diverser Start-ups führte, währte allerdings nur kurz. Zumindest was die öffentliche und mediale Wahrnehmung angeht, wurde es in den vergangenen Jahren jedenfalls deutlich ruhiger. Geforscht und entwickelt wurde an der Hochgeschwindigkeitsröhre aber weiterhin, wie ein Lokalaugenschein des STANDARD im Rahmen einer Studienreise des österreichischen Forschungsnetzwerks ACR im niederländischen Rotterdam zeigt.

In Rotterdam steht eine erste Version der Hyperloop-Röhre. Eine neue, technisch verfeinerte Teststrecke soll bis Ende des Jahres in Groningen entstehen.
Foto: Martin Stepanek

Dort ist das von Studierenden der TU Delft gegründete Spin-off Hardt Hyperloop hingezogen, nachdem es am alten Standort zu eng wurde. In einer zum Start-up-Hub umfunktionierten, riesigen ehemaligen Bootswerft werden Antriebsprototypen, Brems- und Weichensysteme getestet. Mitte kommenden Jahres soll die erste Kapsel auf einer 500 Meter langen Teststrecke am anderen Standort des Unternehmens in Groningen zum Einsatz kommen. Bis 2030 hofft das Spin-off auf ein bis drei Kilometer Strecke, 2040 soll ein regionales niederländisches Netz aufgebaut sein. Läuft alles nach Plan, soll in Europa bis 2050 ein Netz von 24.000 Kilometern entstehen, wie Julia Oomens-Meer von Hardt Hyperloop erklärt.

700 statt 1.200 km/h

Die ursprüngliche Vision von 1.200 km/h haben die Forschenden längst aufgegeben. 700 km/h Höchstgeschwindigkeit seien, nicht zuletzt wegen der in Europa recht kurzen Distanzen, im Betrieb realistisch, auch wenn technisch gesehen 1.000 km/h möglich seien. Die in einer Software simulierte Strecke von Wien nach Graz wäre damit aber immer noch in nur einer Stunde und elf Minuten machbar. Ob die für die Technologie ungünstigen Steigungen dabei schon berücksichtigt sind, blieb allerdings offen. Auch um ein echtes Vakuum handle es sich wissenschaftlich gesehen nicht.

Das Vorführmodell veranschaulicht, wie die geplante Hyperloop-Kapsel durch Elektromagnete in der Luft schwebt und an den Seiten ebenfalls magnetisch stabilisiert wird.
Foto: Martin Stepanek

"Mit einem Druck von nur einem Tausendstel Bar in der Röhre können wir den Luftwiderstand aber extrem verringern. Der Energiebedarf liegt bei der Hälfte herkömmlicher Züge", sagt Oomens-Meer. Der potenzielle Druckabfall, sollten doch einmal Schäden an der Röhre auftreten oder die Energieversorgung ausfallen, sei technisch schon gut gelöst. Den Großteil der Energie für den elektromagnetischen Antrieb soll durch Solarzellen auf den Röhren lukriert werden. Stabilisiert wird die Kapsel von magnetischen Feldern oben und seitlich in Kombination mit Leitschienen, die allerdings nie berührt werden. Auch eine friktionsfreie Weichenstellung haben die Niederländer bereits erfunden.

Neben Passagieren soll der Hyperloop auch für Fracht eingesetzt werden. Da der Röhrendurchmesser 3,4 Meter beträgt, geht das zwar nicht mit Containern – dafür wären mindestens sechs Meter Durchmesser notwendig –, aber mit Paletten. "Gerade regional, aber auch überregional kann der Hyperloop Lieferdienste übernehmen – etwa Tulpen schnell zustellen", ist Oomens-Meer überzeugt. Als Konkurrenz zu Flugzeug und Bahn sehen sich die Hyperloop-Entwickler nicht, eher als Ergänzung und Entlastung.

Ein Kilometer Hyperloop kostet 30 Millionen Euro

Ob die Einsparung von Inlandsflügen und die theoretisch doppelt bis dreifach so hohe Geschwindigkeit der Bahn Politikerinnen und Politiker sowie Betreiber überzeugen wird, 30 Millionen Euro pro Kilometer auszugeben und in eine komplett neue Infrastruktur zu investieren, bleibt ungewiss. Die EU nimmt die Technologie, an der auch in den USA sowie in China geforscht wird, allerdings ernst. 15 Millionen Euro fördert sie die Entwicklungsarbeit von Hardt Hyperloop. Insgesamt konnte das Unternehmen zuletzt eine Investitionssumme von 50 Millionen Euro aufstellen. Nicht außerordentlich viel, aber auch nicht nichts.

In Rotterdam kann das geplante Innendesign schon bestaunt werden. Es erinnert an moderne Zugabteile.
Foto: Martin Stepanek

Mit relativ wenig Geld einen hohen Output zu erreichen, damit haben die Niederlande zumindest Erfahrung. Denn obwohl das Land, das kaum über Rohstoffe und teilweise über noch kleinere Unternehmensstrukturen wie Österreich verfügt, gerade einmal 2,2 Prozent seines Bruttoinlandprodukts (BIP) ausgibt, landet es bei internationalen Innovationsranglisten wie dem Global Innovation Index der UN-Organisation WIPO, dem European Innovation Scoreboard oder aber auch bei Patentmeldungen stets auf ganz vorderen Plätzen. Auch die Start-up-Zahl pro einer Million Einwohner ist mit 1800 dreimal so hoch wie hierzulande.

Niederlande schlägt Österreich

Warum Österreich, das seinerseits 3,2 Prozent seines BIPs in Forschung und Entwicklung investiert, hier stets das Nachsehen hat, bleibt auf den ersten Blick unklar. Lässt man das Prestigeprojekt Hyperloop, das auch von der Regionalpolitik wie den Städten Rotterdam und Groningen unterstützt wird, weg, bleiben viele Forschungsbereiche, die auch in Österreich relevant sind.

Wie Wärmepumpen trotz der hohen Luftfeuchtigkeit in den Niederlanden bestehende fossile Heizsysteme ersetzen können, klingt ebenso wenig revolutionär wie das Rohöl-basierte Bitumen im Asphalt durch biologische Ersatzstoffe wie Lignin zu ersetzen oder Schwachstellen in jahrzehntealten Brücken mit moderner Sensorik und künstlicher Intelligenz aufzuspüren.

In einer alten Schiffswerft in Rotterdam haben neben Hardt Hyperloop auch weitere 30 Start-ups ihren Platz gefunden, die sich unter anderem dem Thema Recycling widmen.
Foto: Martin Stepanek

Michiel Sweers, Sektionschef für Innovation und Wissen im Klima- und Wirtschaftsministerium, führt den guten Output auf die enge Zusammenarbeit von Regierung, Forschungs- und Bildungsinstitutionen sowie private Firmen zurück. Ein Wachstumsfonds, über den von 2021 bis 2025 etwa 20 Milliarden Euro zur Verfügung stehen, soll das Land in klar definierten Schwerpunkten wie Nachhaltigkeit und Energie, Gesundheit, Wasser und Ernährung, Sicherheit, aber auch Quantentechnologie zusätzlich voranbringen.

"Technologieneutralität funktioniert nicht"

Der derzeit etwa beim Thema Verbrennermotor gerne von österreichischen oder deutschen Politikern und Politikerinnen beschworenen "Technologieneutralität" erteilte Sweers eine Absage: "Das war ursprünglich auch unser Zugang, aber so funktioniert es nicht. Die Politik muss bewerten, welche Technologien die größten gesellschaftlichen Probleme am besten lösen können und das größte wirtschaftliche Potenzial mit sich bringen."

Um die gemeinsam mit Forschung, Wirtschaft und Industrie vereinbarten Missionen zu erreichen – etwa unter die Top Ten beim Thema Cybersicherheit weltweit zu kommen oder die Lebensqualität von Menschen mit Demenzz bis 2030 um 25 Prozent zu verbessern –, habe man selbstverständlich auch die anderen Ministerien eingebunden.

Im Innovation Dock in Rotterdam ist sogar Platz für ein riesiges Salzwasserbecken, in dem auch Wellen und Strömungen simuliert werden können.
Foto: Martin Stepanek

"Dass sich Industrie, KMU, alle Ministerien und die Forschungslandschaft an einen Tisch setzen und gemeinsam eine Strategie und Ziele definieren, so etwas gibt es bei uns nicht", kommentiert ACR-Präsidentin Iris Filzwieser die Eindrücke des mehrtägigen Austauschs. Der hier beobachtete Pragmatismus, die offene Kooperationsbereitschaft und Diskussionskultur sowie eine allgemein größere Risikofreudigkeit wäre auch für Österreich wünschenswert.

Sie plädiert dafür, dass Wirtschaft, angewandte Forschung und Universitäten ungeachtet politischer Zuschreibungen enger und früher zusammenarbeiten. "Wir brauchen eine lösungsorientierte Forschung und Entwicklung ohne gegenseitiges Ausgrenzen. Denn die Herausforderungen werden definitiv noch größer werden", ist Filzwieser überzeugt.

Mentalität wie in den USA

Neben der generell wenig autoritätshörigen und direkten Kommunikation ortet Michael Spalek, Wirtschaftsdelegierter der Wirtschaftskammer Österreich, in den Niederlanden zudem eine Risikobereitschaft, die am ehesten mit den USA vergleichbar sei: "Eine Angst vor dem Scheitern gibt es kaum. Anders als bei uns geht man mit Produktinnovationen auch schon in den Markt, wenn sie erst zu 70 Prozent fertig sind. Zu gründen beziehungsweise das Unternehmertum ist viel höher angesehen als in Österreich."

Ungeachtet der höheren Start-up-Dichte orten aber auch die niederländischen Marktkenner noch Nachholbedarf, etwas was die Ausgründungen von Universitäten betrifft. Die Anzahl habe sich zwar in den vergangenen Jahren erhöht, es gebe aber noch Luft nach oben, sagte Luuk Klomp vom niederländischen Forschungsrat NWO. Erik Drop von der renommierten Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung TNO wünscht sich noch mehr Investitionen von Unternehmen für Forschung und Entwicklung.

Zudem bleibt das Skalieren von Start-ups und Spin-off mit entsprechenden Investorengeldern wie in den meisten kleineren europäischen Ländern eine große Hürde, wie TNO-Kollege Rolph Seeger beipflichtet. "Seed- und Series-A-Finanzierung bis zu einer Million Euro aufzustellen ist kein Problem. Wenn die notwendigen Investitionssummen zehn Millionen Euro und mehr übersteigen, sind Unternehmen aber fast ausschließlich auf ausländische Investoren angewiesen", sagt Seeger. (Martin Stepanek, 22.5.2023)