Die Preise mancher Wirte verleiden Markus Kaser das Essen. Gegen Lebensmittelhändler als Kostentreiber verwehrt er sich. Der Spar-Chef über Watschen, Gießkannen und Verzicht.

"Derzeit läuft es wie im Mittelalter. Wer die schlechte Nachricht überbringt, dem wird der Kopf abgehackt", sagt Markus Kaser.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: 200.000 Menschen in Österreich leben in Armut. Jeder Sechste droht in Armut abzurutschen. Was tragen Lebensmittelkonzerne wie Spar dazu bei, um daran etwas zu ändern?

Kaser: Wir sind keine Riesen. Konzerne wie Unilever und Nestlé sind um ein Vielfaches größer und verdienen das Zehnfache eines Händlers. Wir sind nur das letzte Glied in der Kette. Derzeit läuft es jedoch wie im Mittelalter: Wer sich aufs Pferd setzt und die schlechte Nachricht ins Dorf überbringt, dem wird der Kopf abgehackt.

STANDARD: Sie sind der größte Arbeitgeber des Landes, kontrollieren 36 Prozent des Lebensmittelmarkts. Manche meinen, Spar ist mächtiger als die "Kronen Zeitung" und jede Partei. Das klingt nach gesellschaftspolitischer Verantwortung.

Kaser: Natürlich. Wir bieten für jede Brieftasche gute Qualität, decken mit unseren Eigenmarken alle Preisklassen ab. Wir arbeiten mit Bauern, kleinen Produzenten und Start-ups zusammen – voll auf Augenhöhe. Wir verhandeln hart mit Lieferanten, gehen aber dosiert vor, achten darauf, wer aufgrund seiner Größe Druck verträgt und wer keinen. Man muss sich jedoch ansehen, wie Preise in der Wertschöpfungskette entstehen. Wir lassen uns sicher nicht den schwarzen Peter zuschieben.

STANDARD: Konsumenten erleben eine Inflation an politischen Gipfeln gegen die Teuerung. Zwar kam zuletzt viel Schall und Rauch heraus – den Ruf als Preistreiber werden Supermärkte jedoch so schnell nicht mehr los.

Kaser: Minister stellen uns undifferenziert als Sündenböcke hin. Das ist politisches Kalkül. Was sich unsere Mitarbeiter in den Filialen alles anhören müssen! Als ob sie die Preise machen. Vor zwei Jahren waren sie Helden des Alltags, haben sich abgerackert, gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Jetzt können wir es uns aussuchen, vom wem wir uns die Watschen abholen. Vor einigen Monaten hieß es, wir lassen keinen leben, weil wir mit Bauern und Industrie zu hart verhandelten. Jetzt verhandeln wir vielen auf einmal zu wenig.

STANDARD: Die Regierung nimmt den Lebensmittelhandel dennoch kaum in die Pflicht.

Kaser: Wir wurden sehr wohl in die Pflicht genommen, nicht von den Politikern, aber vom Markt, weil unsere Spannen geringer wurden, weil wir viele Preise nicht umsetzen können. Der Markt funktioniert derzeit besser als die Politik.

STANDARD: Wie erklären Sie Menschen, die mit kaum mehr als 1.000 Euro im Monat auskommen müssen, warum sich Preise einzelner Lebensmittel innerhalb kurzer Zeit teils sogar verdoppelt haben?

Kaser: Darin manifestieren sich höhere Rohstoff- und Energiekosten. Jedes Produkt hat einen Rucksack an Kosten. In diesen muss man halt auch einmal hinein- und nicht nur von vorne hinsehen. Beim Thema Energie wird zu wenig getan. Wir zahlen dafür heuer allein in Österreich 128 Millionen Euro mehr, ein Plus von 319 Prozent im Vergleich zu 2019. Nicht nur Haushalte, sondern auch Unternehmen gehören von extremen Energiekosten entlastet.

STANDARD: Ließe sich mit Geld für Energiebeihilfen, das Supermärkte fordern, einkommensschwachen Haushalten nicht gezielter helfen?

Kaser: Es ist Aufgabe des Staates, den Berg an Energiekosten zu glätten. Ich bin für einen Preisdeckel für Energie und eine Senkung der Steuern darauf. Mit Gewinn, der oben abgeschöpft wird, senkt man unten die Steuern.

Der Markt funktioniert derzeit besser als die Politik, sagt Spar-Chef Markus Kaser. "Wir verdienen weniger als je zuvor."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Die Corona-Jahre waren für Supermärkte goldene, da die Gastronomie über Monate geschlossen war und Supermärkte mehr Non-Food denn je verkauften. Spar hat auch 2022 gut 264 Millionen Euro Gewinn gemacht. Große Händler sitzen auf einem gesunden finanziellen Polster.

Kaser: Wir haben die Versorgung mit hohem logistischem Aufwand sichergestellt. Unsere Mitarbeiter haben gelitten, sie mussten extrem stark sein. Wir wurden von der Politik verwendet, um gratis Masken zu verteilen. Allein das hat uns 40 Millionen Euro gekostet. Was Non-Food betrifft, hat Österreichs Handel zum Glück etwas davon abbekommen, weil 85 Prozent davon holten sich vorher Amazon und Co. Unsere Umsätze gingen nach oben. Aber wir haben nicht dramatisch mehr verdient, da die Kosten exponentiell stiegen. Goldene Zeiten waren das keine.

STANDARD: Zurück zu den Preisen: Lebensmittel sind in Deutschland seit Jahren günstiger. Österreich ist kleiner, legt mehr Wert auf Bio und Regionales. Erklärt das allein die hohe Differenz?

Kaser: Österreich hat ein anderes Kaufverhalten. Und wir haben einen Aktionsanteil zwischen 35 und 40 Prozent, in Deutschland liegt dieser bei 15 Prozent. Verglichen werden aber immer nur normale Regalpreise. Warum fahren so viele Deutsche nach Salzburg einkaufen? Weil die Qualität bei uns eine andere ist. Was die Lebensmittelteuerung betrifft, so ist diese in Österreich mit 14,6 Prozent deutlich geringer als in Deutschland mit 22,9 Prozent. Es kann gerne jeder bei uns ein Praktikum machen, um das zu sehen.

STANDARD: Viele Rohstoffpreise fallen. Wieso ist das an den Supermarktkassen kaum spürbar?

Kaser: Wir haben bereits viele Preise gesenkt. Butter kostet halb so viel wie Ende 2022. Bei direkten landwirtschaftlichen Produkten kommen Preissenkungen rascher. Bei hochverarbeiteten Produkten wie Tiefkühlpizza kann es bis zu zwölf Monate dauern, weil diese lange im Voraus zu damaligen Preisen erzeugt wurden..

STANDARD: Preise steigen schneller, als sie sinken. Bietet sich das für ein Körberlgeld an?

Kaser: Bei uns nicht. Wir verdienen weniger als je zuvor. Unsere Handelsspanne ist um einen Prozentpunkt niedriger als 2019. Die Personalkosten stiegen aber um 400 Millionen Euro, jene für Transport um 45 Millionen Euro.

STANDARD: Spar, Rewe und Hofer teilen sich in Österreich 85 Prozent des Markts. Je weniger Wettbewerb, desto höher die Preise: Warum sollte diese Faustregel für Ihre Branche nicht gelten?

Kaser: Sie gilt, aber wir haben brutalen Wettbewerb. Geht einer mit Preisen für Milch, Butter runter, dauert es keine drei Tage, bis der andere nachzieht. Da schenkt sich keiner was.

STANDARD: Wer will schon destruktiven Wettbewerb? Da der Kostenschock alle trifft, ist auch die Gefahr gering, Marktanteile zu verlieren.

Kaser: Es ist ein Verdrängungskampf. Es gibt kein Gemeinsam, keine Freundschaft. Wer außer uns gibt so viel für Transparenz aus? Jede Woche ein Flugblatt, zwei, drei Inserate, online gibt es jeden Preis auf Knopfdruck. Was die Politik mit Preisrechnern will, das zahlen wir uns schon lang selbst. Die Transparenz ist gewaltig.

STANDARD: Die Regierung will ein schärferes Kartellrecht. Sind Eingriffe in Strukturen des Handels realistisch?

Kaser: Ich wüsste nicht, wo eingegriffen werden sollte. Wir werden von der Bundeswettbewerbsbehörde im Rahmen einer Sektoruntersuchung sehr genau beobachtet. Viele Leute arbeiten bei uns daran, Preise zu erheben und bekanntzugeben. Wenn es der Sache dient, haben wir kein Problem damit.

STANDARD: Sie werden künftig mehr Einblick in Einkaufspreise geben. Was genau hat der Konsument davon?

Kaser: Das betrifft 15 bis 20 rein agrarische Produkte. Aber woher sollen Kunden wissen, welche Kostenstrukturen dahinterliegen? Hinter Dosentomaten etwa steckt eine völlig andere Kalkulation als hinter frischem Gemüse. Darüber hinaus werden wir unsere Einkaufspreise sicher nicht offenlegen. Dann nämlich hört sich Wettbewerb wirklich auf. Es wäre auch wettbewerbsrechtlich unmöglich.

"Geht einer mit Preisen für Milch, Butter runter, dauert es keine drei Tage, bis der andere nachzieht", sagt Spar-Chef Kaser. "Da schenkt sich keiner was."
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Was sind die Kollateralschäden des Drucks auf Preise? Bleiben Bio und weniger Tierleid in der Fleischproduktion auf der Strecke?

Kaser: Das eine oder andere zu teure Produkt wird verschwinden. Bei Bio erleben wir keinen Einbruch, weder bei der Menge noch beim Umsatz. Tierwohl-Produkte werden sehr gehypt, sie lassen sich jedoch nur schwer verkaufen. Wir haben mehr im Laden, als wir vermarkten können.

STANDARD: Jedes zweite Produkt im Supermarkt ist eine Marke des Handels, der in eigene Produktionen investiert. Sein Spielraum wächst. Viele österreichische Lieferanten fühlen sich ausgepresst und sehen die Vielfalt in Regalen sinken.

Kaser: Es geht uns nicht um Verdrängung, sondern um Unabhängigkeit. Wir können die Preise mit unseren Eigenmarken niedrig halten. Zugleich stellen wir damit Vielfalt sicher. Denn wir arbeiten mit vielen Manufakturen zusammen, die Einzigartiges produzieren.

STANDARD: Markenhersteller werfen dem Handel vor, ihre Ideen zusehends abzukupfern.

Kaser: Das ist nicht nachvollziehbar. Hinter so vielen Artikeln steckt eine Geschichte über Start-ups, denen wir die Chance geben, sich weiterzuentwickeln. Wir kümmern uns jedoch nicht um die Auslastung irgendwelcher Fabriken. Warum sollen diese vorgeben, was die Leute zu essen bekommen? Ein Beispiel: Wir wollten veganes Eis. Kein großer Lieferant kam auf die Idee, es zu produzieren. Nun arbeiten wir mit Veganista zusammen, führen ihr Eis in allen Filialen. Haya Molcho hatte einst ein Geschäft am Naschmarkt. Heute verkaufen wir ihre Produkte bis nach Italien. Warum kam kein Nestlé oder Unilever darauf, Humus zu produzieren?

STANDARD: Der Kampf Handelskonzerne gegen globale Markenartikler, die sich gegenseitig die Schuld an den hohen Preisen zuschieben, erinnert an Schattenboxen. Jeder versucht, möglichst hohe Profite zu erzielen. Listet einer den anderen aus, verlieren beide.

Kaser: Gewinne zu erzielen ist wichtig. Das ist unser Job. Aber es muss in verträglichem Ausmaß sein. Wir Händler haben Gewinnmargen zwischen einem und 3,5 Prozent, bei Nestlé sind es mehr als 17 Prozent.

STANDARD: Handel und Industrie sind betriebswirtschaftlich gesehen zwei Welten. Bei einem Vergleich der Kapitalrentabilität schneiden Händler im Schnitt doch deutlich besser ab?

Kaser: Unsere Kapitalrentabilität ist nicht besser als die einer Unilever oder Nestlé. Unilever hat zuletzt 60 Milliarden Euro umgesetzt und 10,8 Milliarden Gewinn erzielt. Dieser ist gewachsen, während unserer in den Keller rauschte. Wir reinvestieren in Österreich fast alle unsere Gewinne. Unsere Gesellschafter entnehmen wenig bis gar nichts.

STANDARD: Der Umsatz der Spar-Gruppe entspricht dem Produktionsvolumen der gesamten österreichischen Lebensmittelindustrie. Sie spielen die Größe Ihres Konzerns nicht aus?

Kaser: Der Lebensmittelhandel ist ein Markt der großen Umsätze, aber der kleinen Gewinne. In Europa zählen wir im Vergleich zu Lidl, Aldi und Rewe zu den Kleinen.

STANDARD: Was halten Sie von weniger Mehrwertsteuern auf Lebensmittel? Ist das Balsam auf der Seele vieler Händler, da keiner je kontrollieren kann, ob sie die Senkung weitergeben?

Kaser: Ausgefuchste Händler hätten nichts dagegen. Ich halte gar nichts davon. Die Knacker und der Kaviar sind in der gleichen Mehrwertsteuerklasse. Das ist klassische Gießkanne. Würden Preise steigen, etwa weil Milch teurer wird, lässt sich die Senkung nicht mehr nachvollziehen. Stark entlastet gehören die untersten drei bis acht Prozent der Einkommen.

STANDARD: Laut Caritas können sich viele ärmere Menschen nur noch jeden zweiten Tag vollwertiges Essen leisten. Gibt es etwas, auf das Sie persönlich aufgrund der Teuerung verzichten?

Kaser: Ich bin in der glücklichen Lage, nicht verzichten zu müssen. Ich tue es dennoch selektiv, indem ich weniger verreise oder auswärts esse. Es ärgert mich, Preise nicht mehr nachvollziehen zu können. Zahle ich im Restaurant für das Gleiche plötzlich um 15 Euro mehr, frage ich mich schon, ob das sein muss. (Verena Kainrath, 20.5.2023)