Donnerstagabend war wieder Hollywood o’Clock am Cannes-Filmfestival. Nachdem am Dienstag, dem Eröffnungsabend, bereits Stars den Teppich zierten, darunter Michael Douglas, der die Ehrenpalme für sein Lebenswerk erhielt, war nun auch Harrison Ford an der Reihe, der für die Weltpremiere seines neuen Indiana-Jones-Films angereist war und gleichfalls mit einem goldenen Palmblatt geehrt wurde.
Diesmal ohne Steven Spielberg als Regisseur
Der 80-jährige Ford schlüpft in Indiana Jones und das Rad des Schicksals das letzte Mal in die Rolle von Indiana "Indy" Jones. Nach vier Filmen der erfolgreichen Abenteuerfilmreihe führte nun erstmals nicht Steven Spielberg, sondern James Mangold Regie, der seit Ende der 1990er-Jahre mit Filmen wie Durchgeknallt (1999), dem Johnny-Cash-Biopic Walk the Line (2005) oder Logan: The Wolverine (2017) bei Kritik und Publikum Anklang fand.
Diesmal ist die internationale Kritik Mangold indes weniger wohlgesonnen. Sein Indiana Jones sei ein "Best of" der Reihe, leer und übervoll zugleich. Gemeint sind die vielen Spezialeffekte, die der Grund dafür sein dürften, dass sich der Film in die Riege der teuersten Filmproduktionen aller Zeiten einreiht.
Harrison Ford, wieder jung!
Indiana Jones und das Rad des Schicksals beginnt 1939. Ein mit Digitaltechnik verjüngter Harrison Ford schenkt sich nichts, als er in einem fahrenden Zug gegen Nazis kämpfend einen wertvollen Dolch sucht. Der stellt sich zwar als Fälschung heraus, doch dafür stoßen er und Professor Shaw (Toby Jones) auf einen Teil eines antiken Artefakts, das einst Archimedes nutzte, um – wie Shaw mutmaßt – Zeitreisen vorzunehmen.
Der Zeitsprung, der nach dem Intro folgt, ist allerdings weniger mythisch. Mit freiem Oberkörper begegnen wir dem sichtlich gealterten Indy Jones dreißig Jahre später in New York. Lustlos unterrichtet er als Archäologieprofessor, bis seine Patentochter Helena Shaw ihn übers Ohr haut, um sich mit dem halben Archimedes-Radl davonzumachen. Verfolgt von einer Bande Altnazis führt das Abenteuer in den Mittelmeerraum. Helena spielt die Britin Phoebe Waller-Bridge (Fleabag), die mit frechem Witz ihre ganz eigene Duftmarke hinterlässt. Als Nazi-Scherge darf Mads Mikkelsen glänzen. Deshalb, und auch wegen der spektakulären Verfolgungsjagden, ist der Film trotz Überwältigungstendenz ein kurzweiliger Kinospaß.
Kontroverse um Eröffnungsfilm
Der Däne Mikkelsen ist übrigens die Nachbesetzung Johnny Depps in der Fantastic Beasts-Reihe – eine Rolle, die Depp wegen der Verleumdungsprozesse gegen die britische Sun und seine Ex-Frau Amber Heard verloren hatte. Auch aufgrund seiner Alkohol- und Drogenexzesse ist der Schauspieler derzeit in Hollywood Persona non grata. Ein von seinen Fans umjubelten, von vielen US-Medien kritisierten Auftritt hatte er dafür beim Festival von Cannes. Im Eröffnungsfilm Jeanne du Barry der Regisseurin Maïwenn spielt er König Louis XV.
Das war vielleicht auch die kreativste künstlerische Entscheidung, die der schale und eitle Kostümschinken zu bieten hat. Denn obwohl Depp schauspielerisch nicht glänzen kann, so besitzt er doch eine tragikomische Präsenz, die Jeanne du Barry zumindest einen Hauch von "etwas" einhaucht. Insgesamt war es aber ein betont reaktionärer Festivalauftakt, dessen Explosionspotenzial der langjährige Leiter Thierry Frémaux in seiner übertrieben betonten nonkonformistischen Haltung nicht kommen sehen wollte.
Er interessiere sich nur für Kunst, sagte er abwehrend auf der Pressekonferenz. Ob das nicht zu wenig ist für den Programmchef eines der wichtigsten Festivals der Welt? Zumal der Eröffnungsfilm ein Aushängeschild des Festivals ist und diese Auszeichnung schon mal nicht verdient.
Leise Töne im Wettbewerb
Dem deutschen Monumentalkünstler Anselm Kiefer kann man das Kunstsiegel zumindest nicht absprechen. Wim Wenders widmete ihm (außer Konkurrenz) eine 3D-Doku, die dort am besten ist, wo die Kamera um Kiefers Installationen und in seinen riesigen Atelierhallen kreist.
Wenders ist kommende Woche mit Perfect Days im Wettbewerb vertreten, der sich bislang mit leisen Tönen ankündigt. Etwa mit Wang Bings epischer Doku Youth über chinesische Näher und Näherinnen, die arbeiten, lachen, lieben, um ihr Gehalt feilschen und trotzdem ein dystopisches Leben leben.
Da ist außerdem Koreeda Hirokazus Monster, der aus drei Perspektiven von einer beginnenden, aber unterdrückten Liebe zwischen zwei Buben erzählt. Und da ist Le Retour von Catherine Corsini, dessen Teilnahme auf der Kippe stand, weil im Vorfeld Kritik an ihren Arbeitsmethoden laut geworden war. Er erzählt von einer Afrofranzösin und ihren Töchtern, die nach Jahren zurück nach Korsika kehren, in die Heimat des verstorbenen Kindsvaters und dort mit Rassismus und Fragen der Zugehörigkeit konfrontiert werden.
Sinngemäß Fahrt aufgenommen hat der Wettbewerb schließlich am Freitagabend, mit dem Genrekracher Black Flies, in dem Sean Penn einen alternden Rettungssanitäter spielt, der einen Neuling in den harten Beruf einführt und dabei nicht der Versuchung widerstehen kann, über Leben und Tod zu entscheiden. Die in Neonlichter getauchte nihilistische Härte des nächtlichen New Yorks orientiert sich unverkennbar an Taxi Driver von Martin Scorsese, der wiederum am Samstagabend seinen neuen Film Killers of the Flower Moon außer Konkurrenz zeigen wird. Doch auch der Wettbewerb hat bis zur Entscheidung am 27. Mai mit Filmen von Nuri Bilge Ceylan, Jessica Hausner, Aki Kaurismäki oder Todd Haynes noch so einige Asse im Ärmel. (Valerie Dirk aus Cannes, 20.5.2023)