Stefan Hierländer hat in sieben Jahren Sturm Graz viel erlebt. Das Meisterrennen ist neu.

Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

"Man muss Spieler ins Boot holen, das Denken muss sein: Nur über das Kollektiv können sich Spieler empfehlen."

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Nur mit einem Sieg im Spitzenspiel am Sonntag in Salzburg (17 Uhr) hält Sturm Graz die Meisterschaft offen. Das ist eine schwierige Ausgangslage – und doch ein beachtlicher Erfolg. Stefan Hierländer hat den Grazer Aufschwung als Kapitän mitgestaltet.

STANDARD: 5. Juli 2020, 1:4 gegen Hartberg, Sie waren Kapitän. Sturm lag 31 Punkte hinter Salzburg, 19 hinter Rapid. Was hätten Sie damals gegeben, um dort hinzukommen, wo Sie jetzt sind?

Hierländer: Ich kann mich gut an das Spiel erinnern. Gegen Hartberg zu Hause 1:4 zu verlieren ... da hätte ich einiges gegeben, um hierherzukommen. Da hat sich seither einiges getan.

STANDARD: Wie war die Stimmung damals?

Hierländer: Natürlich schlecht. Wir haben die Meistergruppe als Letzter abgeschlossen, keiner hat gewusst, wie es weitergeht. Nur dass sich einiges verändern wird. Es war eine ganz komische Stimmung, es war ein Loch da.

STANDARD: Hilft es da, neue Leute reinzubringen, die das nicht miterlebt haben?

Hierländer: Ja, absolut. Es ist immer gut, wenn durchgelüftet wird und neue Gesichter auftauchen, die unbefangen sind. Ich war als Kapitän ein bisschen involviert und habe im Urlaub mitbekommen, dass sich einiges verändern wird. Es war in der Situation der einzig mögliche Schritt. Was daraus geworden ist, hat man ja schnell gesehen.

STANDARD: Gab es auf dem Weg Momente, die intern wichtiger waren, als man von außen mitbekommen hat?

Hierländer: Es hat sich einfach etwas Neues formiert, es haben sich durch die Persönlichkeiten neue Hierarchien entwickelt. Es war in der Situation sehr wichtig, einen neuen Spirit reinzubringen, um den Klub wieder in andere Sphären zu bringen. Das große Ziel von Sturm ist immer gewesen, international zu spielen.

STANDARD: Der Erfolg wird oft an Trainer Christian Ilzer und Sportchef Andreas Schicker festgemacht. Gibt es noch andere Personen, die sich mehr Aufmerksamkeit verdient hätten?

Hierländer: Ich bin nie ein Fan davon, einzelne Personen rauszunehmen. Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass wir eine homogene Truppe sind. Bis zur medizinischen Abteilung gehört alles dazu.

STANDARD: Betonen Sie als Kapitän das Kollektiv auch intern?

Hierländer: Das Mannschaftsdenken muss immer in die Köpfe reinimplementiert werden. Das ist eine wichtige Aufgabe eines Kapitäns und Führungsspielers. Die Qualität ist da, das wissen wir – wie wir zusammen funktionieren ist der entscheidende Part.

STANDARD: Ist es schwieriger geworden, den Individualisten aus Fußballprofis rauszukriegen? Man hat seinen Marktwert eher im Kopf als noch vor zwölf Jahren, jeder ist auf Instagram eine Marke.

Hierländer: Es ist schwieriger, natürlich müssen ein paar Spieler manchmal eingefangen werden. Wir leben in einer Zeit, in der man seinen Marktwert schnell gegoogelt hat. Es gibt ein Schwarz-Weiß-Denken: Du wirst schnell hochgejubelt, wenn es gut läuft, und du wirst schnell unter der Gürtellinie kritisiert, wenn es schlecht läuft. Man muss Spieler wieder ins Boot zurückholen, das Denken muss sein: Nur über das Kollektiv können sich Spieler empfehlen, ob das für Nationalmannschaften ist oder ob sie einen Wechsel anstreben. Wenn die Mannschaft gut funktioniert, stechen Spieler noch krasser heraus. Wir handhaben das bei Sturm gut.

STANDARD: Das ist leichter, wenn es gut läuft.

Hierländer: Absolut richtig. Wenn es rennt, ist immer alles einfacher. Ich habe es auch anders erlebt, deswegen gehe ich demütig mit Situationen wie der jetzigen um. Im Erfolg ist es immer leichter zu philosophieren. Ich habe auch schon andere Erfahrungen gemacht, die mein Tun in der Mannschaft beeinflussen.

STANDARD: Wann haben Sie zum ersten Mal gedacht: Heuer können wir Meister werden?

Hierländer: Habe ich das gedacht? Das Meisterthema ist immer in den Köpfen drin. Man will als Erster über die Ziellinie gehen, aber man muss realistisch sein: Man braucht eine sehr gute Saison, und bei Salzburg muss das eine oder andere nicht passen. Salzburg bietet diese Saison sehr wenig an, es ist brutal, mit ihrem Punkteschnitt mitzugehen. Wir werden es bis zum Schluss versuchen, dann müssen wir auf einen Ausrutscher von Salzburg hoffen.

STANDARD: Aber irgendwann muss doch zum ersten Mal der Moment gewesen sein.

Hierländer: Es war immer wieder zwischendurch im Kopf. 2017 waren wir Winterkönig, da hat man schon gedacht, wie man das hinkriegen könnte. Aber eine Saison ist so lang – es verschwindet wieder und poppt wieder auf. Da geht es ja nicht nur uns so. Das Ziel ist nicht, mitzuspielen und Vierter zu werden.

STANDARD: Ist es frustrierend, wenn man trotz einer so guten Saison wahrscheinlich nur Vizemeister wird?

Hierländer: Die perfekte Saison gibt es sowieso nicht. Ich finde es einfach cool, dass man in diesen Infight kommt. Das ist mein Antrieb und auch jener der Mannschaft, dass man mal die Meisterschaft spannend hält, das schraubt das Niveau rauf. Wir haben noch drei Spiele, vielleicht ist es noch möglich. Schaut man die Tabelle an, braucht man nicht davon reden, dass das frustrierend ist.

STANDARD: Die Stimmung im Stadion ist teils außergewöhnlich. Gewöhnt man sich daran?

Hierländer: Nein. Während des Spiels bekommt man sowieso nicht viel mit, es ist eher davor und danach. Es ist einfach ein schönes Gefühl zu wissen, dass wir immer sehr gute Unterstützung und ein gut besuchtes Stadion haben. Wir müssen demütig sein, dass wir vor so einer Kulisse spielen dürfen. Das ist in Österreich etwas Besonderes.

STANDARD: Wenn Sie sagen, Sie bekommen vom Match nicht viel mit – gilt das auch für das Feuerwerk im Cupfinale?

Hierländer: Nicht so viel, wie wenn du dann nach dem Spiel Videos geschickt bekommst. Man sieht das auf dem Spielfeld nicht so, die Perspektive ist anders, und man hat mit anderen Sachen zu tun. Aber es gibt Spieler, die immer alles mitkriegen, auch jede Choreo.

STANDARD: Wer hat nach dem Cupsieg gegen Rapid am meisten Gas gegeben?

Hierländer: Das ist eine schwierige Frage.

STANDARD: Wenn Sie sich nicht erinnern können, waren Sie es.

Hierländer: Ich bin immer der Seriöse. Sehr mit dem Megafon Gas gegeben hat der Jakob Jantscher, das liegt in seinem Naturell. Aber es hat keine Eskapaden gegeben, es ist alkoholtechnisch nicht ausgeartet. Den Jantschi überbietet keiner, der fällt immer auf. Obwohl er keinen Alkohol trinkt.

STANDARD: Rasmus Höjlund wechselte im Sommer zu einem Topklub. Wenn Sie nur einen Teamkollegen nennen dürfen: Wem trauen Sie es am ehesten zu, so einen Weg zu gehen?

Hierländer: Es gibt zwei: Mani Sarkaria und Alexander Prass. Ich traue es beiden zu, vielleicht dem Prassi ein bisschen mehr, weil er von seinem Alter her ein gutes Profil für den internationalen Markt hat.

STANDARD: Was ist am Sonntag entscheidend?

Hierländer: Man hat im Heimspiel gesehen, dass uns Salzburg in der zweiten Halbzeit das Tempo diktiert hat. Wenn wir das umdrehen, sind wir auf einem guten Weg. Und natürlich ein bisschen der Kopf. Man muss clever sein und die Ruhe bewahren. (Martin Schauhuber, 21.5.2023)