Athen – In Griechenland hat die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia die Parlamentswahl am Sonntag klar gewonnen, die absolute Mehrheit aber verfehlt. Die Partei von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis legte im Vergleich zur Wahl vor vier Jahren zu. Das Innenministerium sah sie am Abend nach Auszählung von rund 90 Prozent der Stimmen bei rund 41 Prozent (2019: 39,9). Die Regierungsbildung dürfte aber schwierig werden. Ein zweiter Wahlgang Ende Juni gilt als wahrscheinlich.

Neuwahlen im Sommer möglich

Dass Mitsotakis in Athen eine Regierung zustande bekommt, ist wegen eines neuen Wahlrechts nämlich fraglich. Falls er keine Koalition bilden kann – oder ohnehin allein regieren will -, müssen die Griechen im Sommer erneut wählen.

Die linkspopulistische Partei Syriza des ehemaligen Regierungschefs Alexis Tsipras musste schwere Verluste hinnehmen: Sie blieb mit etwa 20 Prozent zwar stärkste Oppositionspartei, büßte aber mehr als zehn Prozentpunkte ein. Drittstärkste Kraft wurde die sozialdemokratische Pasok-Kinal mit etwa 12 Prozent (2019: 8,1 Prozent).

VIDEO: Bei der Parlamentswahl in Griechenland liegt die konservative Partei von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis Prognosen zufolge klar vor der linksgerichteten Partei Syriza von Alexis Tsipras – für eine Alleinregierung reicht das Ergebnis aber nicht.
DER STANDARD

Den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde schafften auch die Kommunisten mit 6,8 Prozent und die rechtspopulistische Elliniki Lysi mit 4,5 Prozent. Zittern mussten die Linkspartei Mera25 von Ex-Finanzminister Giannis Varoufakis mit 2,4 und die ultrakonservative Niki mit 2,9 Prozent.

Mögliche Koalitionspartner

Viel Auswahl hat Mitsotakis bei den Koalitionspartnern nicht. Eine Allianz mit Syriza steht außer Frage – nicht zuletzt, weil Tsipras seinen Wahlkampf als Gegenprogramm zur Nea Dimokratia gestaltete und gegen den Regierungschef wetterte. Ebenso unwahrscheinlich sind Allianzen mit Links- und Rechtspopulisten – auch rechnerisch reicht es vermutlich nicht. Lediglich die Sozialdemokraten (Pasok-Kinal) kämen als Partner in Frage. Allerdings hat deren Chef Nikos Androulakis eine Koalition bisher ausgeschlossen.

Vermutlich geht Mitsotakis in dem EU- und Nato-Land mit etwa 10,5 Millionen Einwohnern jedoch gar nicht erst auf Partnersuche, sondern setzt gleich auf Neuwahlen. "Das Wahlergebnis ist ein klares Mandat des Volkes an Mitsotakis, weiter allein zu regieren", sagte Innenminister Makis Voridis im TV-Sender Skai. Ohnehin habe Mitsotakis im Wahlkampf stets betont, erneut allein regieren zu wollen. "Da wäre es komisch, wenn er plötzlich 'Ja' zu Koalitionsverhandlungen sagt."

Einfaches Verhältniswahlrecht

Chancen auf die alleinige Macht nach einer weiteren Wahl haben die Konservativen wegen einer Besonderheit im griechischen Wahlrecht. Bei der aktuellen Wahl galt das einfache Verhältniswahlrecht: Rechnerisch müssen eine oder mehrere Parteien 48 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um regieren zu können. Bei den nächsten Wahlen hingegen erhält die stärkste Partei automatisch mindestens 20 und bis zu 50 Sitze im Parlament zusätzlich – damit käme die Nea Dimokratia voraussichtlich wieder allein an die Regierung.

Der griechische Ministerpräsident und Vorsitzende der konservativen Partei ND, Kyriakos Mitsotakis, kommt in der Parteizentrale in Athen an.
Foto: REUTERS/LOUIZA VRADI

Mitsotakis selbst hatte vor der Wahl erklärt, keine Koalition bilden zu wollen. Er könnte deshalb auch erneute Wahlen anstreben – in einer ersten Reaktion am Sonntagabend deutete der 55-Jährige einen solchen Weg an: Der deutliche Sieg der ND sei ein "politisches Erdbeben", sagte der Wahlsieger. Dieses "ruft uns alle auf, den Prozess für eine definitive Regierungslösung zu beschleunigen". Die Griechinnen und Griechen wollten "eine starke Regierung".

Auch Wahlverlierer Tsipras, der das Land von 2015 bis 2019 regierte, rechnet offenbar mit einem erneuten Urnengang. "Der Wahlzyklus ist noch nicht vorüber", sagte er nach der Veröffentlichung erster Ergebnisse. Der nächste Kampf werde "entscheidend" sein. Bei Syriza war die Stimmung nach Bekanntwerden der Ergebnisse aber gedrückt. Die Linke hatte mit einer massiven Aufstockung des Sozialstaates um Stimmen geworben, wollten Renten und Mindestlohn erhöhen und die Wirtschaft stärker besteuern.

Mitsotakis hingegen warb dafür, das Land nach der schweren Finanzkrise des vergangenen Jahrzehnts weiter zu stabilisieren. Die Wahlbeteiligung war gering: Nur etwa 58 Prozent der Berechtigten gingen auch wählen.

Wirtschaftliche Sorgen als Wahlkampfthema

Themen im Wahlkampf waren die wirtschaftlichen Sorgen vieler Bürger, die von steigender Inflation getroffen wurden. Mehrere Politiker versprachen unter anderem eine Anhebung des Mindestlohns. Mitsotakis hatte auch auf die wirtschaftliche Erholung Griechenlands nach der Schuldenkrise verwiesen. Syriza wiederum hatte erklärt, anders als damals könne sie nun ohne die Auflagen des mit den Euro-Ländern vereinbarten harten Rettungspakets regieren. Das Hilfsprogramm lief 2018 aus.

Gegen Mitsotakis im besonderen aufgebracht hatte viele Bürger das schwere Zugsunglück im Februar, bei dem 57 Menschen starben. Der Unfall hatte schwere Sicherheitsmängel im staatlichen Eisenbahnnetz offenbart und Massenproteste und Streiks nach sich gezogen.

Zu der Wahl waren fast zehn Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, darunter 440.000 Erstwählerinnen und Erstwähler. (APA, Reuters, red, 21.5.2023)