Foto: EPA / Fabrizio Zani

Endlich: Nach dem tagelangen, sintflutartigen Dauerregen kehrte in der Emilia-Romagna am Sonntag die Sonne zurück. Die Front mit dem Starkregen hatte sich am Freitag und Samstag in Richtung Nordwesten verschoben, in die Lombardei und ins Piemont. Auch dort schwollen die Flüsse bedrohlich an, bei Piacenza verfünffachte sich die Wasserführung des Po von 500 auf 2500 Kubikmeter pro Sekunde. Die Lage blieb aber unter Kontrolle, während in der Emilia-Romagna das Wasser langsam abfloss. Die Behörden hielten jedoch die höchste Alarmstufe aufrecht: Wegen des mit Wasser gesättigten Bodens blieb in den Hügelzonen die Gefahr von Erdrutschen weiterhin sehr hoch. In der Po-Ebene stand das Wasser außerdem zum Teil immer noch meterhoch, vor allem rund um Ravenna. Das liegt daran, dass dort, im "Holland Italiens", einige Gebiete unter dem Meeresspiegel liegen. Dort müssen noch Millionen Kubikmeter Wasser abgepumpt werden.

Zurückgekehrt sind auch die "Angeli del Fango", die "Engel des Schlamms": Tausende Jugendliche und junge Erwachsene haben sich in den Überschwemmungsgebieten hohe Gummistiefel übergezogen, um den Flutopfern dabei zu helfen, den Schlamm aus ihren Häusern zu schaufeln und die Straßen von Schwemmholz und anderen Verkehrshindernissen zu befreien. Die "Angeli", die sich meist über die sozialen Medien verabreden und ihre Einsätze planen, sind überall anzutreffen, unter anderem auch in der besonders betroffenen Stadt Cesena: "Wir sind heute gekommen und werden morgen hierher zurückkehren", erklärte am Samstag der Student Stefano mit von Schlamm verschmiertem Gesicht. "Wir bleiben an der Seite jener, die uns um Hilfe bitten – und zwar bis hier alles wieder so ist, wie es vor der Flut war."

Lange Tradition der "Angeli"

Die "Angeli del Fango" und ihre spontane Hilfsbereitschaft haben eine lange Tradition in Italien: Zum ersten Mal hatten sie vor über 50 Jahren Schlagzeilen gemacht, bei der verheerenden Überschwemmung von Florenz im November 1966. Damals kamen die Helfer zum Teil auch aus anderen Regionen und sogar aus dem Ausland. Auch in der Emilia-Romagna haben sich nun wieder viele "Auswärtige" gemeldet, auch Aktivistinnen und Aktivisten der "letzten Generation". Die Behörden dankten ihnen, lehnten die Hilfe aber zunächst ab: Angesichts von bereits 36.000 evakuierten Menschen hätte man ihnen keine Schlafgelegenheit anbieten können. Außerdem waren bis zum Wochenende immer noch Dutzende von Straßen und Zuglinien unterbrochen.

Die Unterstützung der freiwilligen Helferinnen und Helfer und auch der Behörden konzentriert sich auf die Dörfer und Städte. Die Bauern, deren Felder zum Teil immer noch unter Wasser stehen, fühlen sich in der Not alleine gelassen. "Wir leben noch, aber hunderte von Tieren drohten zu sterben", klagt Giampietro Sabbatani, Direktor einer großen Landwirtschaftskooperative in der Nähe von Ravenna. Sein Betrieb, der drei Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten gewesen sei, habe immer noch kein Trinkwasser. Die Milchkühe, die täglich über 100 Liter Wasser benötigen, konnten das verdreckte und kontaminierte Wasser der Flut nicht trinken. Der Betrieb wird nun mit Zisternen-Schiffen versorgt. Auch auf den Feldern und in den Obstplantagen sind die Schäden riesig. "Ich hatte 80 Hektar mit Birnen, Äpfeln, Pfirsichen, Marillen und Kiwi, davon ist mindestens die Hälfte zerstört", sagt der Obstbauer Carlo Calderoni. Die Pflanzen seien von der Gewalt der Wassermassen entwurzelt worden. Er wisse noch nicht, ob sein Betrieb überleben werde.

Mangelnde Prävention

Wie hoch die Schäden insgesamt sind, die die Jahrhundertflut in der Emilia-Romagna angerichtet hat, wagt derzeit noch niemand abzuschätzen. Der Präsident der Region, Stefano Bonaccini, rechnet allein für die Reparatur der Straßen und Zugstrecken mit Kosten von 620 Millionen Euro. Zumindest ein Teil dieser Schäden hätte vermieden werden können, wenn an den Dämmen und Kanälen die Wartungsarbeiten regelmäßig durchgeführt worden und wenn mehr Rückhalte- und Ausgleichsbecken gebaut worden wären. Aber das Lamentieren über fehlende Prävention ist ein altes Lied in Italien: Das Land wächst zwar – wie in diesen Tagen wieder – bei der Bewältigung von Notlagen über sich hinaus, aber es versagt vollständig, wenn es darum geht, solchen Notlagen vorzubeugen. Über mangelnde Prävention beklagten sich auch die Flutopfer nach den Überschwemmungen in den Marken vor einem Jahr und zuvor auf Ischia. Wenn die Schäden dann einmal behoben sind, werden die guten Vorsätze bezüglich Vorbeugung jeweils schnell wieder vergessen.

Der Minister für Infrastruktur, Lega-Chef Matteo Salvini, räumte in diesen Tagen ein, dass "Dutzende von dringend benötigten Dämmen" seit Jahrzehnten geplant und auch finanziert wären – aber trotzdem nie gebaut worden seien. Sein Ministerkollege Nello Musumeci, zuständig für den Zivilschutz, pflichtet ihm bei. "Wir benötigen in allen Regionen neue Dämme und Rückhaltebecken." Diese sollen, verspricht Musumeci, nun endlich gebaut werden: Die Regierung plane ein ein System der Wasserspeicherung, das in der Lage sei, 500 Millimeter Niederschlag pro Quadratmeter in 48 Stunden zurückzuhalten. Hätte es ein solches System in der Emilia-Romagna schon gegeben, wäre die Region nicht überflutet worden: In den letzten, dramatischen Tagen sind hier je nach Gebiet zwischen 200 und 300 Millimeter Regen gefallen. (Dominik Straub, 21.5.2023)