Jewgeni Prigoschin (vorne), Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, verkündete am Samstag die Einnahme der ostukrainischen Stadt Bachmut.

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Verwirrung um die Einnahme von Bachmut: Die ukrainische Stadt schien am Sonntag vollständig unter Kontrolle der russischen Söldnertruppe Wagner und der russischen Armee zu sein. Allerdings, so schrieben russische Militärblogger auf Telegram, hielten sich noch einige ukrainische Soldaten in der Stadt auf. Sie hätten keine Zeit gehabt, "die Stadt mit den Hauptkräften zu verlassen, und sich, sobald sie umzingelt waren, in den Häuserruinen versteckt", hieß es auf dem Kanal "Militärkorrespondenten des Russischen Frühlings".

Russlands Präsident Wladimir Putin gratulierte inzwischen der Wagner-Truppe und den regulären Soldaten. "Allen, die sich hervorgetan haben, werden staatliche Auszeichnungen verliehen", hieß es im Pressedienst des Kremls.

Unklare Statements

Verwirrung gab es auch um das Dementi des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der zunächst den Fall von Bachmut zu bestätigen schien. Bei einem bilateralen Treffen am Sonntag mit US-Präsident Joe Biden am Rande des G7-Gipfels in Hiroshima fragte ein Reporter Selenskyj, ob die Stadt im Osten des Landes noch in ukrainischer Hand sei. Der ukrainische Präsident antwortete mit den Worten: "Ich denke nicht." Dies wiederum korrigierte inzwischen Selenskyj-Sprecher Serhij Nykyforow auf Facebook. Die Frage des Reporters sei gewesen: "Die Russen sagen, dass sie Bachmut eingenommen haben." "Antwort des Präsidenten: Ich denke nein." Selenskyjs Vizeverteidigungsministerin Hanna Maljar assistierte: Ukrainische Streitkräfte hielten weiterhin Teile von Bachmut.

Für beide Kriegsparteien hat Bachmut einen hohen Symbolwert, auch wenn die Eroberung militärisch keine allzu große Bedeutung hat. Aus Moskauer Sicht aber ist sie der Schlüssel für die Einnahme des Donbass – eines der erklärten Kriegsziele von Wladimir Putin. Die Schlacht um die Stadt, wenn sie denn geschlagen ist, war die längste und verlustreichste seit Beginn des Krieges, der vom Kreml "Spezialoperation" genannt wird.

"Viele tote Russen"

Früher lebten 70.000 Menschen in Bachmut, heute ist dort eine Ruinenlandschaft. "Es ist eine Tragödie", sagte der ukrainische Präsident, dessen lang angekündigte Frühjahrsoffensive nun offenbar mit einer Niederlage beginnt. In der Stadt sei praktisch nichts mehr übrig. Es gebe nur noch "viele tote Russen".

Wie Selenskyj braucht auch Russlands Präsident Putin dringend Erfolge in der Ostukraine, die er eigentlich schon am 9. Mai, dem Tag des Sieges über die Nazis im Zweiten Weltkrieg, verkünden wollte. Nun heißt es in der Mitteilung des Kreml-Pressedienstes: "Wladimir Putin gratuliert den Wagner-Angriffsabteilungen sowie allen Militärangehörigen der Einheiten der russischen Streitkräfte, die ihnen die notwendige Unterstützung und Flankendeckung gewährt haben, zum Abschluss der Operation zur Befreiung von Artjomowsk." Artjomowsk ist der frühere russische Name von Bachmut.

Zu den Siegern zählt sicherlich Jewgeni Prigoschin, der Chef der Wagner-Söldner. Er liegt im Dauerclinch mit der russischen Armeeführung und kann jetzt die mutmaßliche Einnahme von Bachmut im Wesentlichen für sich verbuchen. Er hatte diese als Erster verkündet.

Prigoschins Wutanfall

In seinem jüngsten Wutanfall fabulierte Prigoschin vor ein paar Tagen von einem "Großvater", der ein "komplettes Arschloch" sei, der glaubt, alles sei in Ordnung, und dennoch Russland an die Wand fährt. Wen er damit gemeint hatte, das ließ Prigoschin allerdings offen.

Auf seinem Telegram-Kanal trat Prigoschin jetzt nochmals nach: "Da wir jetzt zu einer wohlverdienten Ruhepause aufbrechen, werde ich dem russischen Volk die Namen aller Bürokraten offenbaren, die sich in unseren Sieg eingemischt, keine Papiere unterzeichnet und sich uns widersetzt haben. Es sollte diese Namen kennen." (Jo Angerer, 21.5.2023)