Das Gespräch mit dem Einkäufer einer Supermarktkette begann freundschaftlich, erinnert sich ein großer österreichischer Lieferant. Man lobte seine Produkte und Expertise. Am Ende seiner Vorladung in der Konzernzentrale war von der Wohlfühlatmosphäre nichts mehr übrig. "Mir wurde unmissverständlich klargemacht, wie das neue Spiel läuft: Entweder ich fertige künftig auch unter der Marke des Handels, oder ich werde durch einen Konkurrenten ersetzt." Und wie der Zufall es wollte, war dieser gleich unmittelbar nach ihm zum Termin bestellt.

Der Druck auf die Preise ist ein guter Nährboden für günstige Labels des Handels.
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Nicht länger unter eigenem Namen zu liefern bedeute, als Produzent nicht mehr sichtbar zu sein, erzählt der Unternehmer. Es zwinge einen dazu, auf gut zehn Prozent des Deckungsbeitrags zu verzichten und sämtliche Kalkulationen offenzulegen. Eigenmarkengebühren gelte es ebenso zu finanzieren wie Aktionsrabatte. Dennoch kenne er kaum einen Lebensmittelhersteller hierzulande, der sich den Forderungen der Supermärkte widersetzte.

Wer wettbewerbsfähig sein will, muss in größere Kapazitäten investieren, die wiederum ausgelastet gehören. Womit sich die Katze in den Schwanz beißt. Aus den Regalen des Handels zu fliegen kann sich keiner leisten. Noch weniger, wenn dessen drei größte Konzerne mehr als 85 Prozent des Marktes abdecken.

Strukturelle Probleme

Die Debatte um teure Lebensmittel macht strukturelle Probleme der Branche wie unter einem Brennglas sichtbar. Zu gern verkaufen sich Österreichs Supermärkte als kleine Fische im Haifischbecken, die in Robin-Hood-Manier von globalen Markenartikelriesen bedrängt uneigennützig für niedrige Preise kämpfen.

Dass Nestlé und Unilever dem Gros der Händler ihre eigenen Regeln diktieren, stimmt. Geht es hart auf hart, tun sich mitunter kurzzeitig auch Lücken im Sortiment auf, wie bei Mars oder Haribo, die von Preisvorstellungen nicht abrückten.

Labels für den Handel zu produzieren und damit eigene Marken zu schwächen, darauf lässt sich jedoch keiner dieser Konzerne ein. Diesen Job erledigen meist nationale Mittelständler. Verhandlungsmasse haben diese wenig. Hier ist es der Handel, der seine Größe ausspielt – und die Hoheit über viele Preise behält.

Unter Druck

Die Regierung geizte jüngst nicht mit Ideen gegen die hohe Inflation. Niedrigere Mehrwertsteuern auf Lebensmittel und Preisdeckel wurden ebenso debattiert wie neue Preisdatenbanken. Das sorgte in Handelszentralen maximal für Empörung.

Ihren Nerv traf es nicht. Viel mehr unter Druck geraten kleine Produzenten, die von ihnen abhängen und gegeneinander ausgespielt werden – bis hin zu Bauern, deren Rohstoffe durch Importe ersetzt werden.

Spar und Rewe haben wenig Mühe gescheut, Lieferanten Spielraum zu nehmen. Beide investierten intensiv in eigene Produktionskapazität. Spar etwa ist Österreichs größter Fleischverarbeiter. Beide bauten ihren Anteil an Eigenmarken quer durch alle Preisklassen kräftig aus.

Expansion der Eigenmarken

Mittlerweile steht mehr als jedes zweite Produkt, zu dem Konsumenten greifen, unter der Kontrolle des Handels. Es ist eine Entwicklung, die aktuelle Teuerungsdiskussionen weiter befeuern. Vielfalt der Anbieter im Sortiment sieht anders aus.

Aus Sicht von Rewe und Spar ist der Fokus auf eigene Labels legitim. Er verschafft Unabhängigkeit, hilft dabei, sich von Rivalen abzugrenzen, Diskontern mit niedrigeren Preisen Paroli zu bieten und eigene Ideen zu verwirklichen. Die dafür notwendigen Lieferanten lassen sich in der Regel austauschen. Rohstoffe dafür werden gerne auch im Ausland gekauft. Regionalität hängt man sich bei Nahrungsmitteln, bei denen der Preis zählt, nicht auf die Fahnen.

So knapp Eigenmarken im Preiseinstieg kalkuliert sind – ein Grund dafür, warum teurere Rohstoffe zuletzt stark auf Verkaufspreise durchschlugen –, so saftige Margen werfen sie bei gepflegten Bio- und veganen Labels ab. Lieferanten berichten von Aufschlägen von 2oo Prozent bei beliebten Gebäck- und Wurstsorten.

Im Diskontbereich sind die Preise der Marktführer im Handel aber oft ident. Die Lust auf destruktiven Wettbewerb hält sich in hochkonzentrierten Märkten in Grenzen.

Produzenten macht der Schritt zu Handelslabels zulasten der Produkte unter eigenem Namen jedenfalls erpressbar. Und der Kreativität sind dabei wenig Grenzen gesetzt.

Spiel mit der Größe

Lieferanten berichten etwa, dass ihre Innovationen nur gelistet werden, wenn sie unter Labels des Handels verkauft werden. Dass sie ihre Spezialitäten nur verkaufen dürfen, wenn sie dem Handel im Gegenzug Günstigeres als Eigenmarke offerieren. Dass ihre neuen Produkte in kurzer Zeit von vergleichbaren Artikeln, die unter Marken der Supermärkte laufen, preislich um 60 Prozent unterboten werden und folglich wegen Misserfolgs ein Ablaufdatum haben. Oder dass ihre Ideen gleich zur Gänze kopiert und mit anderen Herstellern verwirklicht werden.

Händler selbst betonen, unzähligen innovativen Manufakturen und Start-ups ein Sprungbrett für rasantes Wachstum zu bieten. Für einzelne Betriebe, die sie zu ihren Liebkindern küren und deren Namen sie erheblich pushen, trifft das zu.

Doch nicht immer steckt hinter diesen Lebensmitteln noch der eigentliche Produzent. Lizenzverträge etwa erlauben es der Branche, mit gesuchten Marken zu werben, sich für die Herstellung jedoch anderer Betriebe zu bedienen.

Der Ruf nach höherer Preistransparenz ist wichtig. Dafür nur einzelne Einkaufspreise sichtbar zu machen greift aber zu kurz. Es gilt, unfaire Mechanismen und Konditionen auszuhebeln, die den Wettbewerb verzerren und die Marktmacht festigen. Dafür braucht es Gesetzgeber, die über das Wettbewerbsrecht stärker als bisher regulierend eingreifen. (Verena Kainrath, 22.5.2023)