Was wird wirklich passieren, wenn wir die Erderwärmung nicht aufhalten? Diese Frage steht hinter vielen Diskussionen über den Klimawandel. Während mancherorts die Hoffnung überwiegt, dass schon alles nicht so schlimm werden wird, dominiert anderswo die Befürchtung, die Erde könnte komplett unbewohnbar werden und das Ende der Menschheit bevorstehen.

Trockener Saharaboden nahe der Stadt Tafraout in Marokko. In Gebieten, wo es bereits heiß ist, wird auch stärkeres Bevölkerungswachstum erwartet, wodurch sich das Problem verschärft.
Foto: APA/AFP/JEAN-PHILIPPE KSIAZEK

Antworten finden sich in einer neue Studie, die am Montag im Fachjournal "Nature Sustainability" erschienen ist. Forschungsteams der britischen Universität Exeter, der Universität Nanjing in China und der Universität Wageningen in den Niederlanden verwendeten eine vor einigen Jahren vorgestellte Definition des Begriffs der Bewohnbarkeit und untersuchten, wie sich diese bewohnbaren Gebiete mit dem Klimawandel verändern werden.

Helikopterperspektive

Statt einzelne Folgen von Hitze für das Leben von Menschen zu betrachten, arbeiteten die Forschenden mit der Idee, dass alle Lebewesen eine ökologische Nische mit bestimmter Temperatur besetzen. Das Team aus Exeter ermittelte in einer früheren Arbeit in der Fachzeitschrift "PNAS" jenes Temperaturgebiet, in dem Menschen seit Jahrtausenden durchgehend siedeln. In dieser Zone spielt sich auch aktuell der größte Teil der Landwirtschaft sowie der Großteil der Wirtschaftsleistung ab.

"Es scheint sich hier wirklich um etwas Fundamentales zu handeln", sagt Studienautor Marten Scheffer von der Universität Wageningen. "Bisher hat niemand diese Helikopterperspektive eingenommen. Wir sehen uns einfach an, was empirisch für Menschen funktioniert." In der Ökologie mache man das immerzu, erinnert Scheffer, "aber niemand hat es für Menschen gemacht".

Nun haben die Teams das Konzept der menschlichen Klimanische neu evaluiert und mit Daten zum Klimawandel kombiniert. Das erlaubte es den Forschenden zu berechnen, wie sich der Lebensraum der Menschen durch die Verschiebung der Klimazonen verändern wird.

Bis 2100 ein Drittel außerhalb der Klimanische

Derzeit leben etwa 60 Millionen Menschen über dem durch diese Zone definierten Temperaturbereich. Ausgehend von der derzeit wahrscheinlichsten Entwicklung einer Erderwärmung von 2,7 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter bis zum Jahr 2100 wären es bis zum Ende des Jahrhunderts etwa ein Drittel der Weltbevölkerung, die Außerhalb der Klimanische leben, mit einer Schwankungsbreite zwischen 22 und 39 Prozent. Gelänge es, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wäre es nur ein Fünftel davon.

Die meisten Menschen wären in Indien betroffen, mit über 600 Millionen Menschen, gefolgt von Nigeria und Indonesien. Die größte Fläche mit gefährlicher Hitze wäre in Brasilien zu erwarten.

Die Hitzezonen der Welt im Jahr 2100 bei 2,7 Grad Erderwärmung.
Grafik: University of Exeter

Nach wie vor ist – bei einer ungünstigen Entwicklung – auch eine Erwärmung von 3,6 bis 4,4 nicht auszuschließen. Das würde bedeuten, dass etwa die Hälfte der Weltbevölkerung sich außerhalb der Klimanische befinden würden.

Die Grenze der lebensfreundlichen Temperaturbedingungen zieht das Team bei einer jährlichen Durchschnittstemperaturen von 29 Grad Celsius, mit entsprechenden jährlichen Schwankungen und damit verbundenen Extremtemperaturen. Die Gefahren durch Temperaturen auf die menschliche Gesundheit seien aber nur ein Aspekt von vielen, stellt das Forschungsteam klar. "Die Hälfte der Menschen wird durch lokale Landwirtschaft versorgt", sagt Scheffer. Für sie sei die Gefährdung real.

Der "holistische" Zugang bilde zum Teil auch Faktoren wie Wasserversorgung und Gefahren durch Brände ab, lasse sich aber nicht von anderen Effekten trennen. Doch auch die Gesundheitsgefahren seien nicht zu unterschätzen. "Reiche können sich Klimaanalgen kaufen. Es gibt eine riesige Menge von Menschen, keinen Zugang zu diesen Möglichkeiten haben", sagt Studienleiter Tim Lenton.

Die Hitzezonen im Jahr 2100 im günstigen Fall einer Erderwärmung von 1,5 Grad.
Foto: University of Exeter

Wichtiger Fortschritt

Unabhängige Fachleute sehen einige Kritikpunkte, betonen aber die positiven Aspekte der neuen Studie.

Christian Franzke vom IBS Center for Climate Physics an der Pusan National University in Südkorea sieht in dem Begriff der Klimanische einen wichtigen Fortschritt. "Bisherige Studien haben sich entweder auf ökonomische Kosten des Klimawandels fokussiert oder auf die Sterblichkeit. Die aktuelle Studie benutzt Demografie-Projektionen, die eine wachsende Population vor allem in schon warmen Gebieten annimmt", sagt Franzke.

Dass es künftig zunehmend zu Fluchtbewegungen durch den Klimawandel kommt, wird allgemein erwartet. Lisa Schipper von der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn warnt aber davor, die neuen Daten direkt auf diese Frage umzulegen. "Die Studienergebnisse sollten nicht so interpretiert werden, dass der Klimawandel eine Massenflucht an Orten auslöst, an denen die meisten oder alle Menschen außerhalb der menschlichen Klimanische leben", sagt Schipper.

Dennoch seien Rückschlüsse möglich, sagt Richard J.T. Klein vom Stockholm Environment Institute (SEI) in Schweden. "Mit steigenden Temperaturen steigt auch das Potenzial für diese Auslöser, was bedeutet, dass wir möglicherweise eine größere Zahl von Klimaflüchtlingen sehen werden. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass die weitaus meisten Klimaflüchtlinge innerhalb ihres Landes oder in Nachbarländer umgezogen sind", betont Klein.

Hitze ist nicht das einzige Risiko

Klein sieht durch den neuen Begriff eine Gefahr, das Problem zu unterschätzen, weil eine Reihe von Faktoren nicht berücksichtigt wurden. "Zum Beispiel können Dürre und Wüstenbildung bereits innerhalb der Klimanische auftreten und die Landwirtschaft nahezu unmöglich und die Region damit unbewohnbar machen", sagt Klein. Das gelte auch für niedrig gelegene Gebiete, die von Überschwemmungen und dem Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind.

Die US-Weltraumagentur Nasa zeigt mit dieser Karte Temperaturanomalien zwischen 1880 und 2019.
NASA Climate Change

In der Studie betont das Forschungsteam, dass Temperatur nicht die einzige Klimawandelfolge ist, die Einfluss auf das Leben der Menschen hat. So habe man etwa den Anstieg des Meeresspiegels nicht berücksichtigt. Doch allein der Einfluss der Temperatur sei enorm, heißt es in der Arbeit: "Hohe Temperaturen wurden mit erhöhter Sterblichkeit, verringerter Arbeitsproduktivität Arbeitsproduktivität, verringerter kognitiver Leistung, Lernschwierigkeiten, ungünstigen Schwangerschaftsergebnissen, geringerem Ernteertragspotenzial, verstärkten Konflikten, Hassreden, Migration und der Verbreitung von Infektionskrankheiten in Verbindung gebracht."

Ansatz hat Vorteile

"Die 'human climate niche' ist natürlich eine Vereinfachung der Komplexität des Problems", sagt Christian Franzke, "aber sie ist anschaulich und zeigt die Auswirkungen für arme Länder an." In ökonomischen Betrachtungen würden die Auswirkungen in ärmeren Ländern oft nicht gut abgebildet.

Jedenfalls lohnen sich die Anstrengungen gegen die Erderwärmung, betont Studienleiter Tim Lenton: "Für jede Erwärmung um 0,1 Grad Celsius über dem derzeitigen Niveau werden etwa 140 Millionen Menschen mehr einer gefährlichen Hitze ausgesetzt sein." Jedes Zehntelgrad macht also einen Unterschied. (Reinhard Kleindl, 22.5.2023)